„The Gorge“ – Eine Schlucht voller Langeweile
Wo bleibt Paul W.S. Anderson, wenn man ihn (dringend) braucht?
An sich klingt das ja ganz gut und relativ frisch: Zwei Scharfschützen, ein Ami und eine Litauerin, die für Russland arbeitet, bringen sich im Rahmen eines megageheimen Geheimauftrags an den gegenüberliegenden Wachtürmen einer nebeligen Schlucht im Nirgendwo in Stellung. Der Auftrag: Levi (Miles Teller) und Drasa (Anya Taylor-Joy) müssen die Welt vor dem bewahren, was da am Grund lauert. Die beiden dürften keinen Kontakt miteinander aufnehmen, doch sie freunden sich trotzdem über die Entfernung hinweg allmählich an. Die Freundschaft resultiert in Liebe, doch als Levi nach einer gemeinsamen Nacht am über den Abgrund gespannten Seil wieder zurück in seine Behausung will, stürzt er in die Schlucht – Drasa springt mit einem Fallschirm hinterher …
Was hätte man alles draus machen können. Wie toll wäre es zum Beispiel gewesen, wenn „The Gorge“ eine actionreiche Liebesgeschichte auffächern würde, die von irgendwie sympathischen, aber waschechten, optisch etwas schrägen Soziopathen mit Freude am Töten erzählt, die am Grunde der Schlucht ein von aalglatten Talkshow-Politikern gehütetes Sci-Fi-Horrormysterium lüften – etwa, dass da Bürgergeld-Empfänger und Asylanten im Austausch gegen einen aphrodisierenden Power-Verbrenner-Kraftstoff an eine außerirdische Macht verfüttert werden.
Aber nein – Levi und Drasa sind schöne Menschen. So schön, dass man sich schon nach wenigen Minuten vor Scham über die eigenen Unzulänglichkeiten am liebsten selbst peitschen möchte. Und die beiden sind zwar gut in ihrer Profession, sogar die besten, nein, natürlich die Allerbesten, aber nicht wirklich glücklich, denn beide sind nicht nur schön, sondern ebenso gute Menschen. Das wird dadurch signalisiert, dass Levi jeden Tag Poesie schreibt und Drasa ein inniges Verhältnis zu ihrem krebskranken Vater hat, der auf dem Friedhof hockt und Ziehharmonika spielt. Mehr erfährt man über die beiden Figuren, denen man 128 Minuten Lebenszeit opfern soll, nicht. Und so spielen sich die ersten 60 Minuten weitgehend auf dem Niveau einer Foto-Lovestory der Bravo ab. Das Interessanteste ist noch die Frage, ob den Machern bewusst war, dass das Verhältnis der Meistermörder von leichten Daddy Issues umwabert wird, immerhin ist Teller rund ein Jahrzehnt älter als Taylor-Joy und verkörpert einen ähnlich „kantigen Typen“ wie ihr Filmdad.
Jedenfalls wird während der Turtelei in einem kurze Intermezzo angeteasert, was die beiden in der Grube so alles erwartet und right, kaum drinnen ändert der Film komplett die Richtung und wird zur Verfilmung eines Spieles, das es nicht gibt und man darf dabei zuschauen, wie sich schöne Menschen in finsteren Settings durch allerhand mutierte Wesen ballern und dann erfahren, dass hinter allem ein dubioses Großunternehmen namens Dark Lake steckt, das Supersoldaten züchten will.
Moooment! Schöne Menschen ballern sich durch mutierte Wesen und hinter allem steht ein finsteres Megaunternehmen, das verantwortlich für zweifelhafte Experimente ist? Woran erinnert uns das vor allem? Right! An die „Resident Evil“-Videospiel-Verfilmungen des ewig unterschätzten Briten Paul W.S. Anderson. Während dieser in seiner zwischen 2002 und 2016 entstandenen „Resident Evil“-Reihe aber mit opulenter, verspielter Bilderpracht begeistert, wirkt die fast monochromatische Optik von „The Gorge“ schnell fad.
Anderson inszenierte aus einem ähnlichen Stoff mit Mut und jeder Menge Stilwillen kompakte (kein Beitrag dauert länger als 100 Minuten) Quasi-Pop-Art-Kunstwerke, Scott Derrickson frühstückt ohne eigene Impulse, aber dafür maximal aufgeblasen, einfach Altbekanntes (neben „Resident Evil“ kommen einem auch „Last of Us“ oder „Silent Hill“ in den Sinn) ab und sorgt damit dafür, dass sein Film schon bald bei anderen längst vergessenen Filmen in der tiefen Schlucht des Megaunternehmens Apple TV+ landen wird.
The Gorge • Großbritannien/USA 2025 • Regie: Scott Derrickson • Darsteller: Miles Teller, Anya Taylor-Joy, Sigourney Weaver, Sope Dirisu, William Houston, James Marlowe • Apple TV+
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