3. Oktober 2019

Und das soll die Zukunft sein?

Ang Lees „Gemini Man“ ist in vielerlei Hinsicht seltsam

Lesezeit: 4 min.

60 FPS! 3D! Eine komplett im Computer entstandene Figur! Wenn schon vor Start eines Films fast nur über technische Superlative gesprochen wird, dann liegt meist etwas im Argen. Klar, es ist aufregend, technologische Neuerungen zu erleben, das Experimentieren mit State-of-the-Art-Technologien, aber wenn es sich nicht gerade um einen kurzen Clip handelt, der nur dazu dient, eben diese Technologien vorzustellen, geht es im Kino im Kern eben doch um die Geschichte, die Figuren, die Atmosphäre.

Der taiwanesisch stämmige Regisseur Ang Lee, der sich die meiste Zeit seiner Karriere mit subtilen Dramen einen Namen gemacht hat, ist seit einigen Jahren ganz vorne, wenn es um das Ausloten neuer Technologien geht. „Life of Pi“ entstand unter massivem Einsatz von Green Screen und einem im Computer entstandenen Tiger, bei „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ verwendete er zum ersten Mal eine höhere Bildrate, die mit ihrer extremen Schärfe für unsere über ein Jahrhundert an eine Filmlaufgeschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde gewöhnten Augen eine ungewöhnliche, extreme und deswegen oft auch irritierende Schärfe erzeugt.


Da steht einer hinter mir, richtig? „Gemini Man“, Paramount

In diese Richtung experimentiert Lee auch bei „Gemini Man“, den man angesichts eines Budgets von an die 200 Millionen Dollar wohl als teuersten Experimentalfilm der Geschichte bezeichnen kann. Und gleichzeitig als teuerstes B-Movie, denn die Story ist aus dem Schlag durchgedrehter High Concept-Action, mit der Produzent Jerry Bruckheimer sich in den 80er und 90er Jahren einen Namen machte. Und aus jener Zeit stammt auch die Idee für den Film, doch damals war die Technik noch nicht so weit. Jetzt steht zwar die Technik zur Verfügung, aber da an der Story kaum gearbeitet wurde, fühlt sich das Ergebnis umso mehr wie ein Relikt aus vergangenen Tagen an: Will Smith spielt den alternden Scharfschützen Henry Brogan, der im Auftrag der Regierung unliebsame Elemente eliminiert und sich nun zur Ruhe setzten will. Wie man aus der Filmgeschichte weiß, ist das leichter gesagt als getan, dunkle Elemente wollen Brogan eliminieren und setzen einen ganz besonderen Gegner auf ihn an: Einen Zwilling bzw. einen Klon, der wie Will Smith vor circa 25 Jahren aussieht, also in etwa wie der Fresh Prince. So dünn die Geschichte ist, so überzeugend sieht das aus. Wüsste man es nicht, man würde nicht ahnen, dass der junge Brogan kein echter Schauspieler ist, sondern eine komplett im Computer entstandene Figur.


Aus welcher Sitcom bist du denn entsprungen? „Gemini Man“, Paramount

Zur visuellen Überzeugungskraft trägt fraglos bei, dass das ganze in 3D und einer erhöhten Bildfrequenz zu sehen ist: Der ohnehin immer leicht unwirkliche Look von 3D, wird hier durch den seltsamen Look, der durch eine Projektionsgeschwindigkeit von 60 Bildern pro Sekunde entsteht, noch verstärkt. So scharf ist das Ganze, so fließend die Bewegungen, dass man sich oft tatsächlich so fühlt, als stände man mit den beiden Will Smiths in einem Raum. In den besten Momenten von „Gemini Man“ entsteht tatsächlich eine bemerkenswerte Intensität, gelingen Lee, seinem Kameramann Dion Beebe und all den Programmieren im Hintergrund spektakuläre Bilder, wie man sie noch nie gesehen hat.

Die meiste Zeit wundert man sich jedoch über eine mehr als dünne Geschichte, die die üblichen Themen einer Klon-Story antippt – Frankenstein-Thematik, Verantwortung des Schöpfers, das künstliche Wesen, das seine Menschlichkeit entdeckt etc. – aber im Kern merkwürdig unterentwickelt wirkt. Und das lässt viel zu viel Raum, um sich auf die seltsame Technik zu konzentrieren, die Bilder, die schärfer sind als die Realität und gerade deswegen so irreal wirken. Zum Teil liegt diese Irritation sicher daran, dass das menschliche Auge und Gehirn einfach anderes gewohnt sind. Genauso, wie man sich inzwischen leider an die schlechtere Klangqualität einer MP3 gewöhnt hat oder gar nicht mehr merkt, dass eine saftlose Tomate aus den Gewächshäusern Hollands nicht mehr wie eine richtige Tomate schmeckt, genauso würde man sich wohl auf Dauer sicher auch an die höhere Bildfrequenz gewöhnen, wenn denn mehr Filme so gedreht werden würden. Aber wäre das wünschenswert? Schon die 3D-Technik, die durch ihre Räumlichkeit unserem wirklichen Sehen ja angeblich näher kommen soll, wirkt vor allem unecht. Vielleicht sollte man also einfach aufhören zu versuchen, etwas zu simulieren, was in seiner Komplexität nicht zu kopieren ist, nämlich die menschliche Wahrnehmung. Und wenn schon, dann doch Bitte mit Geschichten, die so spannend sind, dass die Technik in den Hintergrund tritt und nicht so sehr im Vordergrund steht wie bei Ang Lees höchst sonderbarem „Gemini Man.“

„Gemini Man“ startet am 3. Oktober 2019 im Kino. Alle Abb. Paramount.

Gemini Man • USA 2019 • Regie: Ang Lee • Darsteller: Will Smith, Mary Elizabeth Winstead, Clive Owen, Benedict Wong

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