29. Dezember 2019 2 Likes

Der Wolf und das Licht

Das Indie-Abenteuer „Lost Ember“ schickt uns auf eine Entdeckungsreise in die Weiten archaischer Naturmythen

Lesezeit: 5 min.

Ausgerechnet ein Wolf, könnten einige nicht nur forst- und landwirtschaftlich kundige Leser mit Blick auf Lost Ember anmerken. Schließlich gelang es kaum einem Tier, ähnlich irrationale Antipathien zu provozieren wie dem im Rudel lebenden Streuner, mit dem es schon die Märchenkultur alles andere als gut gemeint hat. Abseits aller mehr oder minder dummen Klischees und sogar politischen Instrumentalisierungen, verschlägt es uns in Lost Ember in einen realitätsfremdelnden Kosmos, in dem wir in Gestalt eines Wolfes ein fantastisches, gänzlich ungefährliches Abenteuer erleben und die sanfte Seite dieses edlen Jägers als Symbol einer Besinnung auf die Natur und ihrer Spiritualität genießen.

Schon die Vorgeschichte der Produktion des Adventures hat es durchaus in sich. Lost Ember war nämlich eigentlich bereits vor gut fünf Jahren angekündigt, allerdings damals noch als Projekt einer Gruppe Studierender, die sich im Lauf ihrer Arbeit tatsächlich dazu entschlossen, ihr Baby zu einem größeren kommerziellen Game aufziehen zu wollen. Dank einer recht erfolgreichen Kickstarterkampagne mit über 300.000 Euro Finanzspritze, gelang dieses Unterfangen für die nun unter dem Namen Mooneye firmierenden Hamburger, sodass Lost Ember seit Ende November für PS4, Xbox One und PC endlich das Licht der Welt erblickte (eine Portierung für Switch soll bald folgen).

Licht ist auch das perfekte Stichwort, da wir zu Beginn die Bekanntschaft mit einem herumirrenden Lichtpunkt machen, der nach wenigen Augenblicken auf einen herumlungernden Wolf trifft, den er um Hilfe bittet. Schnell stellt sich heraus, dass es sich bei dem Lichtpunkt um eine verstorbene Seele handelt, die auf dem Weg in die Stadt des Lichts (einer Art himmlischer Ruhestätte) ist und es sich beim Wolf wiederum um eine Reinkarnation einer ebenfalls verstorbenen Seele handelt, der jedoch der Weg in besagte Stadt des Lichts aufgrund eines Ereignisses verwehrt blieb. Wolf und Licht schließen somit kurzerhand einen Pakt und bereisen die weitläufige Naturlandschaft einer Welt, in der einst archaische Völker lebten, deren Kultur längst ausgestorben ist. Sinnbild dessen sind verfallene Pyramiden und andere monumentale Bauten, die uns mehrfach innerhalb der Wälder, Gebirgszüge oder Höhlensysteme des Abenteuers begegnen.

Das eigentliche Gameplay des gut 4-5 Stunden dauernden Spielerlebnisses beschränkt sich wie bei vielen vergleichbaren Indie-Adventures wie Journey, Fe, Rime, Abzu oder Sea of Solitude auf sehr wenige Elemente. In Gestalt des Wolfes begleiten wir schnellen Schrittes den Lichtpunkt durch nur vermeintlich offene Areale, die bei näherer Betrachtung grafisch geschickt eingegrenzt wurden und so ein zielloses Herumsuchen limitieren. Gut sichtbare Rauchsäulen markieren unsere Checkpoints, die wir über das gesamte Spiel der Reihe nach abzusuchen haben. Sie markieren Erinnerungsfetzen vergangener Ereignisse und treiben die Story voran. Um die Erinnerungen ausfindig zu machen, reicht es nicht immer, einfach nur dem Weg zu folgen. Hin und wieder versperren uns Hindernisse wie Seen, Gebirge oder eingestürzte Gemäuer das Weiterkommen, die unser Wolf nicht überwinden kann.

Hier greifen wir auf ein weiteres zentrales Gameplay-Element zurück, nämlich die Übernahme anderer Tiere mithilfe unserer Seele. Ein eingeblendeter Tastendruck genügt und unser Wölfchen schlüpft in die Haut mehrerer herumwuselnder Tierarten wie Büffeln, Fischen, Vögeln oder Steinböcken, um sich deren Fähigkeiten temporär zu Eigen zu machen und so besagte Hindernisse zu überwinden. Anspruchsvoll ist das aber nie und eigentlich stehen in jeder Situation auch nur die Tiere – rein zufällig – in der Gegend, die man wirklich braucht, um weiterzukommen.

Mit seinen mehr als zwölf Tierarten ist die zeitweise Verwandlung also ein nettes Feature, welches der epischen Naturatmosphäre zuträglich ist, aber spielerisch kaum viel bringt. Wer will kann zwar mit allen Tieren nach kleineren Sammelitems wie versteckten Pilzen oder Relikten suchen, doch wirklich sinnvoll oder nachhaltig ergiebig für das Spielerlebnis sind diese eher aufgesetzten Suchereien nicht. Sie wirken mangels Auswirkungen sogar wie der letztlich gescheiterte Versuch, dem Titel neben Story und Erkundung eine vermeintlich zusätzliche Spieltiefe zu verleihen, die er gar nicht nötig hat.

Die größte Stärke entfaltet die Kampagne ohnehin im Storytelling. In den statisch in die Spielwelt hineinprojizierten Erinnerungen unserer Figur erfahren wir mehr über unser früheres Ich, das als Tochter eines mächtigen Generals einer Stammesgesellschaft angehörte, in der Unterdrückung und Unterwerfung zur Tagesordnung gehörten. Motiviert von einer persönlichen Katastrophe, rebelliert die Tochter namens Kalani gegen den herrschenden Kaiser und zwingt so ihren Vater, sich für eine Seite zu entscheiden. Eingebettet ist der Familienkonflikt in weitschweifende Dimensionen rund um Religion und Naturexistenz, was der Story dazu verhilft, selbst eine Art Archemythos des Menschseins und damit einhergehender Konflikte zu exemplifizieren.

Mehr sollte man über die trotz stark reduzierter Inszenierung sehr eindringlich vorangetriebene Geschichte nicht verraten, da sie neben der stimmungsvoll zugespitzten Spielwelt das Wesentliche ist, was Lost Ember als überdurchschnittliches Projekt zusammenhält. Speziell die Kombination des „Heldengespanns“ passt wunderbar zur mythischen Grundlage der Erzählung, die von allumspannenden Themen wie Verlust, Liebe, Angst und den Kampf um Freiheit und Erlösung getragen wird. Während unser tierischer Avatar die entdeckten Fragmente der eigenen Vergangenheit scheinbar ohne Regung zur Kenntnis nehmen muss, übernimmt das Licht die Funktion eines Kommentators, der versucht, die Ereignisse zu deuten und zusammenzubringen.

Beide Positionen ergeben gerade gegen Ende absolut Sinn und es gelingt den Machern trotz handelsüblicher Indie-Stilmittel wie gediegenen Klavierklängen, viel Stille und eines zwar idyllischen, aber stark reduzierten Designs Momente erratischer Schönheit zu kreieren, die zu Herzen gehen. Wie viele Genrekollegen beweist eben auch Lost Ember, dass ein stimmiges (Erzähl-)Konzept selbst ohne üppiges Gameplay oft mehr bewirkt als texturverliebte Highend-Grafik und spielerische Anforderungen.

Wer sich also von diesem Gemisch davontragen lässt, kann gut mit einigen eher kleineren Fehlern leben, die ein Lowbudget-Projekt wie dieses eben nicht gänzlich ausmerzen kann. Die meist sehr groben Texturen weisen oftmals Nachladefehler auf, die Kamera lässt uns in engen Gängen häufig erstmal bei der Orientierung im Stich und die Animationen der Tiere hätten bei aller gelungener Atmosphäre sicher noch mehr Liebe zum Detail vertragen können. Auch nicht optimal: Der für einen solchen Indie-Titel zum Start etwas hohe Preis von gut 30 Euro ist zwar unter den eingangs geschilderten Umständen verständlich, mit Blick auf die Spielzeit und den geringen Wiederspielwert ist es aus Käufersicht aber ebenso akzeptabel, mit dem Erwerb zu warten, bis der Preis ein wenig gesenkt wurde.

Damit wir uns aber nicht falsch verstehen: Wer ein Faible für digitale Naturmystik und anrührendes Storytelling ohne aufgeblähten Pomp hat, wird wie schon bei so vielen wenig abwechslungsreichen Indie-Perlen der letzten Jahre (wie den oben genannten) auch bei diesem Streifzug seine Freude haben. Dem Image des Wolfs sollte Lost Ember daher in jedem Fall positiven Auftrieb geben.

Fazit

Malerisch mythische Naturreise, die emotional berührt, aber spielerisch leider hinter ihren aufgezeigten Möglichkeiten bleibt.

Lost Ember • Mooneye Studios • Action-Adventure • PS4/Xbox One/PC (bald auch Switch)

Abb. © Mooneye Studios

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