15. Februar 2018 2 Likes

Restore the World

Review: Das Classic-RPG „Lost Sphear“

Lesezeit: 5 min.

Klassische RPGs sind nach wie vor sehr beliebt. Viele erwachsene Gamer verbinden mit Titeln wie Secret of Mana (jetzt auch wieder als Remake in aller Munde), Chrono Trigger oder den frühen Final Fantasy-Episoden einige ihrer schönsten Spieleerinnerungen und da nicht jeder Nachwuchszocker automatisch ein Geschichtsverweigerer ist, erblicken auch heutzutage noch Titel wie I am Setsuna oder nun dessen geistiger Nachfolger Lost Sphear das Licht der digitalen Welt. Beide Classic- bzw. Retro-RPGs stammen aus der Entwicklerschmiede von Tokyo RPG Factory, wobei sie ein konsequent anachronistisches Design verbindet, das sich allerdings gleichzeitig auch der Gegenwart verpflichtet fühlt.

Konkret bedeutet das, dass wir gerade in Lost Sphear, das jüngst für PS4, Switch und PC erschienen ist, viele Segnungen eines komfortableren Gamings wie freies Speichern, eine Vorspulfunktion für die Dialoge oder das Fehlen von nervigen Zufallskämpfen dankend annehmen können und die bewusst retrohafte, dennoch sehr pittoreske Grafik zumindest einen leicht modernen Anstrich aufweist. Doch wer beispielsweise mit Textblöcken ohne Sprachausgabe ebenso wenig anfangen kann wie mit völlig statischen Charaktermodellen, deren Emotionen sich außerhalb der Texte nur über schwebende Frage- oder Ausrufezeichen erschließen lassen, dürfte bei Lost Sphear definitiv an der falschen Adresse sein.

Die Story des gut 20-stündigen Abenteuers fällt sehr genretypisch aus. Die drei Freunde Kanata, Lumina und Locke werden aus ihrem beschaulichen Leben in ihrer kleinen Stadt herausgerissen, als eines Tages immer mehr Orte ihrer Welt einfach verschwinden und nichts als weiße Flecken auf der Landkarte übrigbleiben. Außerdem erscheinen immer mehr Monster in der eigentlich friedlichen Gegend und so wächst die Angst vor einer nahenden Apokalypse.

Da Kanata nach einem seltsamen Traum dazu plötzlich über die Fähigkeit verfügt, mithilfe eingesammelter Erinnerungen Orte, Menschen und Objekte wieder zurückzuholen, begeben sich die drei auf eine Reise über den gesamten Globus. Ganz im Stil der oben genannten Titel, dürfen wir bald auch auf ein Schiff und später auch auf einen hochtechnisierten Gleiter zurückgreifen, um schneller von einem Kartenpunkt zum nächsten zu gelangen. Natürlich treffen unsere Helden auf ihrem Weg mehrere neue Mitstreiter mit ihrer jeweils eigenen Backstory und Motivation, sodass die Party bis auf acht Charaktere anwächst, die wir für die Kämpfe jeweils zu einer maximal vierköpfigen Truppe frei zusammenstellen können.

Erzählerisch bewegt sich Lost Sphear mit seinen sympathischen, aber trotz vieler Dialoge nicht zwingend tiefgründigen Figuren und den üblichen Klischees a la arroganter General, dusslige Soldaten, größenwahnsinniger Oberschurke oder auch Twists wie einem völlig vorhersehbaren Verrat im Mittelfeld der Story-Liga. Das liegt vor allem daran, dass uns die Macher mit ihren permanent ausschweifenden Dialogorgien, die oft genug jeden Spielfluss ersticken, ordentlich Nerven abverlangen.

Viel zu häufig liegen zwischen minutenlangem und völlig sinnlosem Blabla buchstäblich nur wenige Schritte, die wir mit unserer Party machen dürfen, bis die nächste unnötige Sequenz beginnt. Auch wenn für die Dialoge in weiser Voraussicht der Entwickler eine Vorspulfunktion vorhanden ist  – die Autoren hätten den Redefluss zügeln müssen. Trotzdem unterhält die Story um Verlust, Freundschaft und Wagemut unter den angegeben Vorzeichen sowie der Inkaufnahme einiger Merkwürdigkeiten wie z.B. kleineren Logiklöchern oder unnötigem Hin-und-Herlaufen zwischen manchen Ereignissen.

Das Kampfsystem baut auf dem Grundgerüst des (inhaltlich nicht mit Lost Sphear verbundenen) Vorgängers I am Setsuna auf und punktet mit ein paar netten Überarbeitungen. Wie für viele RPGs üblich, müssen wir in den Schlachten vor einer Aktion mit Magie, Waffe oder Spezialattacke darauf warten, dass sich der jeweilige ATB-Balken unserer Figuren in unterschiedlicher Geschwindigkeit auflädt und so ein flüssiger Mix aus eigenen und gegnerischen Attacken entsteht.

Doch in Lost Sphear können wir auch zwischen den Aktionen unsere vier Akteure ohne Einschränkungen innerhalb des Kampfbildschirms bewegen und uns so eventuell einen offensiv wie defensiv nicht unerheblichen taktischen Vorteil verschaffen. Für weitere Variabilität und Abwechslung sorgen nach ein paar Stunden Spielzeit die sogenannten Vulcosuits, eine Art Roboterrüstung mit weiteren Aktionsmöglichkeiten, auf die wir allerdings nur solange zurückgreifen können, wie es die Anzeige eines extra dafür vorhandenen Punktekontos zulässt (das wir merkwürdigerweise mit Übernachtungen in den völlig untechnisierten Dorfhotels wieder aufladen können).

Leider verpasst es der Titel, diese und weitere Feinheiten des Kampfsystems genau zu erklären, denn speziell die Ausrüstung verschiedener Zusatzfähigkeiten oder das Artefaktsystem, bei dem wir auf der Weltkarte verschiedene Bauwerke zur Freischaltung von weiteren Fähigkeiten an vorgegebenen Orten errichten können, fällt im Detail fast überladen aus. Bei allem Verständnis für Komplexität: Gerade in einem eigentlich so simpel präsentierten Retro-Game wirkt das tendenziell deplatziert.

Die Kämpfe finden ausschließlich in storyrelevanten Dungeons statt, die wir aber zwecks Level-Grinding immer wieder besuchen können. Am Ende der flächenmäßig eher überschaubaren Areale, in denen auch einige kleinere Knobeleinlagen wie Tür-Schalter oder Ebenenbeams warten, geht es gegen einen größeren Endboss. Hier setzt einer der größten Kritikpunkte des Gameplays an, nämlich das Balancing. Während die Standardgegner nämlich selbst gegen Ende fast immer zu leicht ausfallen und nur durch teils unfaire Sofort-Kills halbwegs Gefahr ausstrahlen, geraten die Endbosse, etwa mit ihren oft genug starken Statuszaubern, zu unverhältnismäßig harten Hindernissen, die in dieser Mischung Frust hervorrufen.

Und ein weiterer Tropfen Wasser im Wein: Der malerischen Welt mangelt es an Sidequests oder echten Mini-Games. Zwar dürfen wir als Sammler seltener Kochrezepte oder in einem arg einfachen Fischfang-Spielchen auf Beutejagd gehen. Das ist allerdings deutlich zu wenig und in sich zu reduziert, um wirklich für zusätzlichen Spaß zu sorgen.

Fazit

Auch wenn die einzelnen Kritikpunkte negativ ins Gewicht fallen, sollte man insgesamt aber nicht zu hart mit dem jüngstem Streich von Tokyo RPG Factory ins Gericht gehen. Lost Sphear gelingt schließlich mitsamt seinen behutsamen Modernisierungen, einer sympathischen Story inklusive charmanter Präsentation sowie ordentlich umgesetztem Kampfsystem in der Nachfolge von I am Setsuna ein letztlich gutes Classic-RPG, das sich Fans solcher Titel definitiv zulegen können. Wenn dann beim nächsten Mal das Balancing besser wird, mehr Quests hinzukommen, ein paar unnötig komplizierte Features entschlackt sind und die Figuren in ihrem Mitteilungsbedürfnis gezähmt werden, steht als Ergebnis sicher ein rundum befriedigendes Rollenspiel-Erlebnis.

Lost Sphear • Tokyo RPG Factory/Square Enix • Classic-RPG

Abb. © Tokyo RPG Factory/Square Enix

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