11. Juli 2020 3 Likes

…Und die Geister scheiden sich weiter

Unser Test zu „Deadly Premonition 2: A Blessing in Disguise“

Lesezeit: 5 min.

Sperrig, total absurd und gerade deshalb ein echter Kult: So könnte man knapp Hidetaka Suehiros 2010 erschienenes Survival-Horror-Abenteuer Deadly Premonition charakterisieren, das sich – voller Liebe zu Twin Peaks und Akte X – mit einer offenen Spielwelt präsentierte und uns mit der Ermittlung eines Mordes an einer jungen Frau in einem merkwürdigen US-Kaff betraute. Spätestens mit Blick auf den Anzug fühlte man sich wie Dale Cooper höchstselbst beim Genuss von Kuchenspezialitäten. Allerdings ging das inhaltlich mutige Konzept voller typisch Lynchesker Alltagssurrealität einher mit grausamer Grafik und einem Avatar- und Autohandling, das mit „aus der Hölle“ eigentlich noch ganz freundlich umschrieben ist. Eine leicht verbesserte Folgeversion konnte die Hassliebe vieler Spieler kaum ändern und so gibt es nur wenige Titel, über die so uneinheitliche Wertungen und Kritiken nachzulesen sind wie zu Deadly Premonition – entsprechend „schwankende“ Verkaufszahlen inbegriffen.

So grenzt es zehn Jahre nach dem Erstling an ein Wunder, dass seit dem 10. Juli tatsächlich eine Fortsetzung (dummerweise vorerst exklusiv nur für die Switch) in den Läden steht. Die hört auf den Zusatz A Blessing in Disguise und verströmte bereits in den ersten, fast ohne konkrete Story- und Gameplayeinsichten auskommenden Trailern ganz den unzugänglichen Charme von früher. Wie damals steht FBI-Agent Francis York Morgan (ein Mann mit mehreren Persönlichkeiten wohlgemerkt) im Mittelpunkt des Geschehens, den es diesmal ins sonnendurchflutete Louisiana verschlägt.

Genauer: In das kleine Nest Le Carré, wo Morgan spontan die Beine hochlegen und ja, Kuchen essen wollte. Doch schon zu Beginn seines unverhofften Urlaubs erfährt der Schnüffler vom Mord an einer Teenagerin und setzt sofort alles daran, ihren Mörder aufzustöbern. Dass sich die Liste an Zeugen wie Verdächtigen schnell äußerst umfangreich ausnimmt und wir wie beim Erstling auf jede Menge seltsame Leute treffen, die selbst den ohnehin nicht ganz „normalen“ York (fast) wie einen der ihren aussehen lassen, versteht sich bei Deadly Premonition von selbst. Unterstützt wird York bei seiner Suche nach Indizien, die sich bald um grausame Rituale und ähnliche unappetitliche Praktiken drehen wird, übrigens von der smarten Teenagerin Patricia Woods, die als Tochter des örtlichen Ordnungshüters großer Crime-Fan (wie etwa der Serie CSI) ist und York als NPC dabei hilft, mit der schrulligen Kleinstadt zurechtzukommen.

Da die Begegnungen mit den Charakteren zu den größten Positivaspekten des Gameplays zählen, wollen wir nicht viel dazu verraten. Aber wer etwa ein Herz für hochgewachsene Friedhofswärter, bowlingversessene Witwen, Barkeeper in Unterhose oder Typen wie The Mirror hat, der uns nicht nur Waffen verkauft, sondern mit Voodoo im Bunde steht, ist in Le Carré goldrichtig. Die 2005 angesiedelte Story um York erhält übrigens einen bemerkenswerten Zusatzkniff, der das Geschehen noch reizvoller macht.

Denn kapitelweise (wie etwa gleich zu Beginn) springt das Spiel vor ins Jahr 2019, wo wir nun mit Yorks Kollegin Aaliyah Davis die Ereignisse von früher aufarbeiten. Auch wenn Aaliyah nicht wirklich den eigenwilligen Charme ihres Kollegen mitbringt, sorgt der Perspektivtwist für einige spannende wie natürlich skurrile Momente, wenn etwa ein sichtlich vom Krebs gezeichneter York selbst zum Verhör gebeten wird, um das plötzliche Auftauchen einer lange verschollenen Leiche zu klären. Fans des Erstlings dürften dank dieser Erzählkonstruktion besonders jubeln; schließlich funktioniert Teil 2 somit als Pre- und Sequel gleichermaßen, da die Handlung von Teil 1 zwischen den beiden Zeitpunkten spielt(e).

Aber was ist A Blessing in Disguise nun eigentlich abseits der Mysterystory und der gut geschriebenen sowie solide (wahlweise auf Deutsch) vertonten Dialoge? Wie damals bewegen wir uns mit York durch eine charismatische, dennoch insgesamt überschaubare Kleinstadt, in der wir neben einem aktiven Tag-Nacht-Zyklus inklusive entsprechendem Verhalten der Bewohner auf Dinge wie unsere Ernährung, Schlaf oder gar eine halbwegs intakte Körperhygiene achten müssen, um nicht unnötig anzuecken. Die Missionen sind folglich ebenso um die Zeitmechanik gestrickt, da wir eben nicht mitten in der Nacht in Geschäfte gehen oder vor Öffnung der Bar dort unsere Nachforschungen aufnehmen können. Die gestalten sich meist als Absuchen eines Tatorts, wobei York die dummerweise oft unnötig gestreckte Sucherei selbst schlussfolgert und die Story so vorantreibt.

Für das Abenteuer nötige Geld nehmen wir über Missionen und Freizeitaktivitäten ein, zu denen so spaßige Dinge wie Skateboarding (eine von Yorks größten Passionen), Jagen via Sumpfboot oder Bowling gehören. Wir erkunden also wie in einem Action-Adventure mit Open World-Anteil die Stadt, führen die Geschichte anhand der Hauptmissionen weiter oder blödeln herum und genießen auch dank zunehmender Schnellreisepunkte das skurrile Flair von Le Carré, indem wir wie in anderen Open World-Spielen Gegenstände sammeln und unsere Fähigkeiten (auch Waffen oder unsere körperliche Robustheit) ausbauen.

Wer sich jetzt fragt, wo da der Action- und insbesondere der Horroranteil abgeblieben wäre, dem sei versichert, dass York sehr wohl und oft zur Waffe greifen muss. Tagsüber sind es vor allem Wildtiere wie Alligatoren oder – ja, wirklich – diebische Eichhörnchen, denen wir mit unserer Knarre das Fell oder die Schuppen über die Ohren ziehen müssen. Wer sich lieber mit nicht-tierischen Gegnern anlegt, bekommt es nachts mit den Dämonen aus einer düsteren Parallelwelt zu tun, die sich in bedrohlichem Rot über das Städtchen ausbreitet. Das fällt zwar durchaus gruselig aus, hält aber keinem Vergleich zu echten Horror-Kollegen wie Silent Hill oder Resident Evil stand. Wer sich wirklich fürchten will, greift lieber zu anderen Titeln.

Die Steuerung ist bei all dem erneut eher zweckmäßig und zickt ebenso wie die fürchterliche Technikperformance oft rum. Gewöhnt man sich mit etwas Übung an die ungelenken Bewegungen Yorks und das nicht immer leichte Anvisieren von Gegnern, drücken ausufernde Ladezeiten zwischen den Szenarien, viele Texturnachlader und eine schlicht atemberaubend miese Framerate das Spielgefühl dauerhaft. Dazu fehlt es den Missionen in den locker 30-40 Spielstunden schnell an Abwechslung und das Ermitteln hätte definitiv mehr Eigeninitiative und Kombinatorik vertragen können, ohne gleich in ein echtes Detektivspiel abzudriften. Weitere Unzulänglichkeiten wie eine zu leise Tonspur und die altbackene, unschön hölzerne Grafik trüben den eigentlich gar nicht schlechten Gesamteindruck weiter.

Wie beim Vorgänger entfaltet Teil 2 seinen Zauber nur dann, wenn man sich den Hommagen (speziell natürlich Twin Peaks) hingibt und ein Faible für Spiele hat, die bis in den Soundtrack hinein eben nicht nach komplett durchkalkulierter Blockbusterlogik ablaufen. Der Plot weiß auch ohne ausgefeiltes Gameplay zu fesseln und einige der Bewohner von Le Carré bekommt man sicher nicht so schnell aus dem Kopf. Das ist immerhin mehr, als man über viele Produktionen ähnlicher Couleur konstatieren kann.

Fazit

In jeder Hinsicht eigenwilliger, technisch lauer Mysterymix aus Action-Adventure, Open World und Survival, für den man wie beim Erstling definitiv Geduld und eine Liebe zu ungewöhnlichen Titeln mitbringen muss.

Deadly Premonition 2: A Blessing in Disguise • TOYBOX Inc. • Action-Adventure/Survival-Horror • Switch

Abb. © Rising Star Games/Nintendo

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.