7. Januar 2015 1 Likes

Lebende Mumien vs. Carebots

Ein Kampf, der den meisten von uns bevorsteht – Eine Kolumne von Uwe Neuhold

Lesezeit: 4 min.

Beginnen wir mit einem weit verbreiteten Missverständnis: Viele glauben, der Grund für den weltweiten Bevölkerungsanstieg liege in den hohen Geburtenzahlen der sogenannten Dritten Welt (hierzu stellt man sich gerne Fotos sieben- bis zehnköpfiger Familien im Sudan oder im Mittleren Osten vor). Das ist ein Irrtum, wie unter anderem Laurence C. Smith in seinem Beitrag zur „Edge-Frage 2013“ anmerkt: Sowohl in Afrika als auch Asien gibt es immer weniger solcher Großfamilien.

Das hat zwei Hauptgründe: Erstens die rigide Geburtenkontrolle (Ein-Kind-Gesetze in China, Zwangssterilisationen in Indien). Zweitens die Tatsache der globalen Urbanisierung: Immer mehr Menschen ziehen vom Land in die Städte – und dort geschieht, was auch bei uns passierte, nämlich dass die Familien immer kleiner werden. Der Osten und Süden sind auf dem besten Weg zu Zwei-, Ein- oder Gar-kein-Kind-Familien, wie sie in der westlichen Welt schon den Standard darstellen. Das mit den vielen zusätzlichen Babies auf der Welt stimmt also nicht. Warum aber steigen die Bevölkerungszahlen trotzdem an?

Aus einem einfachen Grund, wie etwa der dänische Statistikprofessor Hans Rosling in einer äußerst anschaulichen Präsentation zeigt: Während sich früher Geburten und Tode noch halbwegs die Waage hielten, trägt die zunehmende Lebenserwartung (basierend auf verbesserter Medizin und Hygiene) dazu bei, dass immer weniger Menschen pro Jahr sterben. Das Resultat: Die Menschheit lebt länger, wird im Durchschnitt immer älter – und sie wächst rasant.

Dieser Anstieg wird nach neuesten Studien nicht nur bis 2050 weiter gehen, sondern sich – entgegen bisheriger Prognosen – voraussichtlich doch nicht bei 9,5 Milliarden einpendeln, sondern bis Ende des Jahrhunderts auf 11 Milliarden anwachsen. Das klingt bedrohlich und ist es auch, sofern wir keine gerechtere Verteilung der Lebensgrundlagen verwirklichen oder unsere Pensionssysteme anpassen.

Hier interessiert mich vorläufig aber nur einer der zahlreichen Aspekte globaler Alterung: Wer hebt mich im Jahr 2070 aus dem Bett und bringt mich aufs Klo? Denn ich werde dann beinahe Hundert und selbst bei bester Medikation und Ernährung nicht mehr der Fitteste sein.

In unserer Gesellschaft gibt es auf diese Frage bisher nur zwei Antworten: a) Meine Kinder. Aber warum sollte ich ihnen das antun, zumal sie mit verändertem Klima, sozialen Spannungen und ihrem eigenen Alter ohnehin genug zu tun haben werden? Und b) Aus dem Ausland zugewandertes Pflegepersonal. Zwar werden wir in den nächsten Jahrzehnten aus genau diesem Grund tatsächlich einen noch stärkeren Anstieg der Migration sehen (auch die Anführer populistischer Rechtsparteien sind irgendwann auf geriatrische Hilfe angewiesen). Doch der wird bei weitem nicht ausreichen, um die alt gewordene Stammbevölkerung dauerhaft zu versorgen. Zudem versiegt – wie oben gezeigt – auch in den ärmeren Ländern zunehmend der Nachwuchs.

Wir sollten und müssen uns also verstärkt einer dritten Möglichkeit zuwenden: den Robotern.

Ich prophezeie schon jetzt, dass die Angst vor Blechmonstern, Künstlicher Intelligenz und technologischer Singularität verschwinden wird, sobald es hart auf hart geht. Denn nur mit der Hilfe von Robotern (die Tag und Nacht unbezahlt schuften) werden wir unseren hohen Lebensstandard halten und den Verlust arbeitsfähiger junger Menschen ausgleichen können. Um es ganz klar zu sagen: Wenn wir so weiter leben wollen wie bisher, müssen wir unsere Investitionen in die Roboterentwicklung massiv steigern. Besonders „CareBots“ werden dringend gebraucht, also Pflegeroboter in Krankenhäusern, Eigenheimen und Senioren-WGs.

Diese Entwicklung hat natürlich längst begonnen. Zwei unter vielen Beispielen sind der CareBot von GeckoSystems und  der Care-OP-bot 3 von FraunhoferIPA. Und sogar im kleinen, von immer mehr mozartkugelnaschenden Greisen bevölkerten Österreich stellte die TU Wien kürzlich ihren Pflegeroboter Hobbit vor.

Natürlich gibt es immer noch Vorbehalte gegen Roboter, und sie werden auch nicht verschwinden. Obwohl mittlerweile durch verbesserte Software und Sensorik die künstlichen Greifer so sanft zupacken können wie Krankenschwesterhände, befürchten die Alten, der mechanische Pfleger werde sie bei erstbester Gelegenheit in Stücke reißen. Gerade unsere Generation, die mit ausgeflippten Filmrobotern von „Colossus“ und „HAL-9000“ über „RoboCop“ und „Terminator“ bis „Matrix“ und „I, Robot“ aufgewachsen ist, wird dieses unbewusste Misstrauen wohl nie so ganz abschütteln können. Also werden viele von uns in fünfzig, sechzig Jahren als dahin vegetierende, lebende Mumien renitent im Pflegeheimbett liegen und schimpfen, sobald sich die Tür öffnet, der neueste CareBot herein rollt, seine Greifzangen ausfährt und die Einlaufspritze vorwärmt. Es wird dann tatsächlich viele Hundertjährige geben, die „aus dem Fenster steigen und verschwinden“. Wir werden Kämpfe im Krankenhauskittel erleben und Attacken greiser Ex-Programmierer gegen CareBot-Betriebssysteme.

Ich hingegen hoffe, meinen alten, schlabbrigen Körper dann von Conchita3000 verwöhnen zu lassen: einer philippinisch aussehenden Pflege-Androidin, die mich mit Karbonstahl-Armen liebevoll aus dem Bett hebt, in den iChair-Rollstuhl setzt, zur Toilette schiebt und mit Engelsgeduld wartet, bis sie mir – Popsongs des zwanzigsten Jahrhunderts flötend  – den gelifteten Hintern saubermacht.
 

Uwe Neuhold ist Autor und bildender Künstler, der sich insbesondere mit naturwissenschaftlichen Themen befasst. 

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