24. April 2022 2 Likes

Bunte Dystopie: „Catwoman - Lonely City“

Ein Ausnahmecomic von Eisner-Gewinner Cliff Chiang

Lesezeit: 4 min.

Als Panini-Redakteur rauschen Monat für Monat eine Menge Comics mit Batman und Co. durch mein System. Doch als ich vor und nach dem Jahreswechsel die ersten Kapitel von Cliff Chiangs neuer Comic-Miniserie „Catwoman: Lonely City“ las, deren Auftaktband dieser Tage auf Deutsch erschienen ist, wollte ich sofort das Meisterwerk-Signal über Gotham anwerfen. Dieses eigenständige Update für Frank Millers Klassiker „Batman: Die Rückkehr des Dunklen Ritters“ ließ mich beeindruckt innehalten. Seitdem tue ich nichts anderes, als den Comic ungeachtet meiner Mitarbeit an seiner deutschen Ausgabe aus tiefster Überzeugung abzufeiern und weiterzuempfehlen. Denn „Catwoman: Lonely City“ ist der eine Superhelden-Comic, den man dieses Jahr auf keinen Fall verpassen sollte.

Cliff Chiang begann seine Comic-Laufbahn als Redakteur für u. a. DCs legendäres Vertigo-Imprint, wo er an Titeln wie Neil Gaimans „Die Bücher der Magie“ und Warren Ellis’ „Transmetropolitan“ mitwirkte. Ende der 1990er startete der 1974 geborene Amerikaner nach und nach als Zeichner durch. Heute zählt er „Human Target“, „Green Arrow/Black Canary“, „Wonder Woman“ und einige mehr zu seinem Schaffen, zudem adaptierte er mit Autor Joshua Dysart das Musikalbum „Greendale“ von Neil Young als Graphic Novel. Schließich lancierte der in Brooklyn lebende Chiang mit Brian K. Vaughan die eigenständige, gefeierte Science-Fiction-Serie „Paper Girls“, für die er als bester Zeichner mit dem Eisner Award ausgezeichnet wurde und mit deren Streaming-Adaption Amazon demnächst Netflix’ „Stranger Things“ Konkurrenz machen will. Und nun also eine Catwoman-Dystopie …

Das erste Album von „Catwoman: Lonely City“ setzt in einem Gotham City der nahen Zukunft ein. Selina Kyle, auch als Superdiebin Catwoman bekannt, hat ihre große Liebe Batman in ihren Armen sterben sehen, danach zehn Jahre im Gefängnis abgesessen und wird nun entlassen – in ein Gotham, das Harvey Dent als Bürgermeister regiert und kontrolliert. Seine Polizisten sind mit der Technologie des Dunklen Ritters ausgestattet, und so wurde Gotham unter dem früheren Two-Face zum Überwachungs- und Polizeistaat. Catwoman ist 55, als sie aus dem Knast kommt, ihre Knie und ihr Rücken sind kaputt, ihre Haare von Grau durchsetzt, und ihre Stadt nicht mehr dieselbe. Dennoch will Selina es noch einmal allen zeigen, die der Meinung sind, dass es Gothams einstmals beste Diebin nicht mehr bringt. Außerdem lassen Batmans letzte Worte Selina nicht los, laut denen sie mit etwas aus der heute abgeriegelten Bat-Höhle die Stadt retten soll. Also schart Catwoman für einen letzten Coup nicht nur in Gotham Unterstützerinnen und Unterstützer aus ihrer kriminellen Vergangenheit um sich …

Als Frank Miller 1986 seinen Meilenstein „Batman: Dark Knight Returns“ alias „Batman: Die Rückkehr des Dunklen Ritters“ realisierte, war das ein echter Game-Changer für Medium und Genre. Millers Geschichte eines alt und grau gewordenen Bruce Wayne, der in einem futuristisch-dystopischen Gotham noch einmal als knallharter Batman gegen das Böse antritt, wurde zu einem der einflussreichsten Superhelden-Comics der Moderne. Mehr noch: alle großen Batman-Werke, die seitdem entstanden, haben unabhängig vom Medium stets ein ganzes Stück DKR in ihrer DNA, angefangen bei den Verfilmungen von Tim Burton und Christopher Nolan. Und wann immer wir einen Blick in die zumeist düstere Zukunft einer Comic-Ikone werfen, lauert der Vergleich mit Mr. Millers Überwerk praktisch um die nächste Ecke.

Auch Cliff Chiang und „Catwoman: Lonely City“ gehören zu Millers Erben. Es wäre blauäugig, die Parallelen nicht zu sehen. Doch seit „Die Rückkehr des Dunklen Ritters“ sind 35 Jahre vergangen. Die Welt und die Comic-Welt haben sich weitergedreht. Chiang und die Prämisse seiner unabhängigen Catwoman-Story mögen von Miller inspiriert sein, letztlich präsentiert Chiang unter dem Kanon-fernen Black Label von DC jedoch eine Zukunftsvision Gothams, die für sich steht – und den 2020ern nicht zuletzt mit vielfältigen Protagonistinnen und Protagonisten Rechnung trägt. Und obwohl es um Polizeigewalt, politische Korruption und den Hightech-Überwachungsstaat geht, was ganz echte Probleme unserer Gegenwart aufgreift, positioniert sich „Catwoman: Lonely City“ von Anfang an als buntes, witziges, optimistisches Werk. Sicher, die Katze hat ihre Krallen, und das Leben in Bürgermeister Dents Stadt ist hart. Aber Chiangs bunte, leuchtende Farben und die Attitüde, die er Selina und ihrer Crew verpasst, verlieren sich nicht in der grimmigen Düsternis Millers und vieler anderer, schaffen bei aller Dystopie einen Gegenpol. Chiang erweckt eine Zukunft zum Leben, in der vieles im Argen liegt, und widmet sich einer Antiheldin, die einiges hinter sich hat – und doch vermittelt dieser Comic eine positive Grundstimmung und optimistische Geisteshaltung.

Dass Cliff Chiang spätestens seit „Wonder Woman“ und „Paper Girls“ einer der besten visuellen Storyteller des Mediums und dazu noch ein hervorragender Kolorist ist, trägt zum Genuss jeder Seite der Geschichte bei, die am Ende vier amerikanische Hefte bzw. zwei deutschsprachige Alben umfassen soll. All das macht „Catwoman: Lonely City“ nicht einfach nur zu einer unterhaltsamen Catwoman-Story im langen, ewigen Schatten von Frank Miller und Batman, sondern zu einem der besten Panel-Produkte zwischen Superhelden und Science-Fiction, die man dieses Jahr lesen kann. Ich bin schon jetzt gespannt, was die abschließenden Kapitel für uns bereithalten, und freue mich auf die Arbeit am Abschlussband über die einsame Stadt und die gar nicht so einsame Katze.

Abb.: © 2021, 2022 DC Comics. All Rights Reserved / dt. Ausgabe Panini

Cliff Chiang: Catwoman – Lonely City 1 • Panini, Stuttgart 2022 • 108 Seiten • Hardcover: 20 Euro

 

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