26. Juni 2014 1 Likes

Sehnsuchtsort Postapokalypse

„Gung Ho“ – Eine neue Comicserie über das Leben nach dem Untergang

Lesezeit: 5 min.

Das Leben in der Postapokalypse ist ein Sehnsuchtsort.

Das mag erst einmal verrückt klingen, lässt sich aber leicht untermauern. Klar, die Ursache für den Weltuntergang ist in der Regel wenig erfreulich. Da gibt es Naturkatastrophen, nukleare Kriege, Epidemien, Alien-Invasionen und Zombies. Manchmal, in den ganz düsteren Ausprägungen des Sub-Genres, fallen auch die letzten Überlebenden übereinander her, bis keiner mehr steht. Aber überwiegend geschieht im Leben nach der (fiktiven) Katastrophe etwas Seltsames: Die Menschen rücken zusammen und es entstehen kleine Gruppen, die im Überlebenskampf mehr oder weniger fest zusammenstehen. Mal sind es nur wenige, die durch die postapokalyptische Landschaft ziehen, mal sind es kleine Gemeinden, die sich verschanzen, um gemeinsam gegen die überwältigende Bedrohung von Außen zu kämpfen. Immer lauert auch in diesen Gruppen die Gefahr von Verrat, dass jemand das eigene Überleben über die Gruppe stellt. Aber im Kern geht es um ganz altmodischen Gemeinsinn, allen Widrigkeiten zum Trotz.

Das scheint also etwas erstaunlich Attraktives zu sein in unserer modernen Wohlstandswelt, in der jeder auf seiner eigenen kleinen Insel im Mittelpunkt sozialer Netzwerke sitzt, in der die Fernseher immer größer werden und die Realität ausblenden, und in der man den Namen seiner Nachbarn nicht mehr kennt. Ja, es gibt die Gaffer und teilnahmslosen Zuschauer, die Schadenfrohen und Zyniker. Aber es gibt eben auch die Wellen von Hilfsbereitschaft und Anteilnahme angesichts von großen Katastrophen oder berührenden Einzelschicksalen.

An dieser Stelle hakt das Sub-Genre der Post-Doomsday-Literatur ein. Wenn alles vorbei ist, wenn die Komplexität der Moderne verschwunden ist, kann und muss man die Ärmel hochkrempeln und das tun, was Menschen seit etlichen tausend Jahren immer ganz gut hingekriegt haben: Überleben. Gefragt ist auf einmal vor allem nützliches Wissen, gefragt sind nützliche Fertigkeiten. Schön, wenn man irgendwelche High-End-Software beherrscht oder weiß, wie Knock-out-Zertifikate funktionieren, aber wichtiger ist es zu wissen, wie man ein Brot backt oder ein Tier ausweidet. Wichtig ist, mit dem auszukommen, was die Natur bietet, wenn die Technik nicht mehr da ist.

Der pastorale Aspekt, die schlichte Sehnsucht nach einer einfachen, im Grunde idyllischen Welt ist Antrieb und Ziel. Doch der Weg dahin ist mit Dornen gepflastert.  Denn der pastorale Aspekt vermischt sich in postapokalyptischen Welten immer mit einem sozialen. Denn am besten überlebt der Mensch nun einmal in gut organisierten Gruppen. Aber wie man diese Gruppen organisiert, das ist in praktisch allen postapokalyptischen Gesellschaften keine echte Frage mehr: Als erstes verschwindet immer die Demokratie – wer rumlabert, stirbt.

Es ist kein Zufall, dass die Welle der aktuellen Post-Doomsday-Werke vornehmlich aus den USA kommt. Ebensowenig wie es Zufall ist, dass in den USA nach 9/11 die Survivalism-Bewegung massiv Zulauf bekommen hat. Eine Gesellschaft, in deren Gründungsmythos verankert ist, dass man alle Probleme eigenhändig lösen kann – auch mit Waffengewalt –, scheint prädestiniert dafür zu sein, sich für den Tag rüsten zu müssen, an dem es (endlich wieder) „drauf ankommt“, an dem man die Werte von Land und Familie mit allem verteidigt, was man hat. Da reichen sich Paranoia, Sozialneid, Waffenfetischismus und kindliche Fantasien die Hand. Es ist sogar ein Sub-Genre im Sub-Genre entstanden, in dem eine Geschichte nur noch dafür ist, die Stellen zwischen den Survival-Tipps zu überbrücken – eBook-Bestseller, die einen ratlos zurücklassen.

Und da die Popkultur weitgehend von US-amerikanischen Themen und Vorbildern geprägt wird, ist es kein Wunder, dass diese Sehnsucht nach dem Weltuntergang auch massiv Einzug gehalten hat in Romanen, Filmen und Comics, die sich vornehmlich an Teenager und junge Erwachsene richten. Denn gerade Teenager sind zunehmend überfordert von dem, was die moderne Gesellschaft von ihnen erwartet. Vom pränatalen Screening bis zum Urnenbegräbnis ist alles verplant, „Verhaltenskreativität“ wird mit Pillen weggedröhnt und einer Next-Gen-Konsole verpflastert. Apokalyptische Szenarien, in denen die Erwachsenen einfach weg sind, erfreuen sich nicht umsonst großer Beliebtheit.

Womit wir bei „Gung Ho“ angekommen sind, einer neuen Comicserie von Benjamin von Eckartsberg (Text) und Thomas von Kummant (Zeichnungen), auf die all diese Aspekte exemplarisch zutrifft – obwohl sie in Europa spielt. Was aber ehrlicherweise nur behauptet wird – spüren kann man in Band 1 nichts davon. Im Gegenteil, die kleine Enklave, die im Mittelpunkt steht, wird sogar „Fort Apache“ genannt.

Was eigentlich passiert ist, darüber schweigen sich die Autoren beharrlich aus. Aber die Folgen entsprechen haargenau dem gängigen Bild des Genres. Fort Apache befindet sich am Rand der „Gefahrenzone“ und wird von einer Clique regiert, die sich zwar einen Anschein von Demokratie bewahrt hat, aber sehr weit entfernt ist von Gewaltenteilung und Rechtsstaat. Hierher kommen die beiden jugendlichen Unruhestifter Zack und Archer, Waisen der Apokalypse, die an der neuen „Frontier“ ihre letzte Chance erhalten sollen, sich als nützlich für den Rest der Gesellschaft zu erweisen.

Und Fort Apache ist wirklich eine Idylle reinsten Wassers. Die Bilder präsentieren einen Ort irgendwo zwischen US-Kleinstadt und Abenteuerspielplatz, in satten Farben und strahlendem Sonnenschein. Die Kids laufen in tollen Designer-Klamotten rum (auch wenn man sie nur schwer bekommen kann), haben nur Sex im Kopf – und Abends wird gegrillt. Die Frau, die der Gemeinde vorsteht, spricht stark religiös eingefärbte Worte, in der Schule gibt es nicht Algebra und Latein, sondern Waffenkunde und Paintball, und die größte Bedrohung stellen im Grunde ein paar depperte Dorfprolls und ein korrupter Lagerverwalter dar. Das Grauen, das diese Enklave angeblich vom Außen bedroht, ist kaum zu spüren, selbst wenn es im Text hier und da beschworen wird.

Das ist natürlich auch ein erzählerischer Trick, der die Ruhe vor dem Sturm signalisiert. Es spricht für die Autoren, dass sie dann nicht übertreiben und plötzlich gegen Ende des ersten Bandes einen Hurrikan blutiger Action entfesseln. Es gibt nur einen kurzen, brillant inszenierten Einbruch des Schreckens ins Lager, der kaum den Erwartungen entsprechen dürfte, die normalerweise an einen solchen Stoff gestellt werden. Man ahnt höchstens, dass man nur die Spitze eines Eisbergs zu Gesicht bekommen hat.

Aber die Gefahr von Außen, die Action, ist in „Gung Ho“ deutlich spürbar nur Mittel zum Zweck, eine Konvention, die zum Genre gehört wie der Shoot-Out zum Western. Denn im Kern geht es eher um die Utopie einer buchstäblich post-modernen Gesellschaft, die auf der Suche nach sich selbst ist, nach dem Wesen dessen, was eine Gesellschaft ausmacht. Es ist ein Gegenentwurf der Zukunft mit den Mitteln der Vergangenheit – und natürlich auch eine Verklärung. Denn ob die Postapokalyse sich tatsächlich als der Ort entpuppt, den die Sehnsucht verheißt, sei mal dahingestellt.

Benjamin von Eckartsberg/Thomas von Kummant • Gung Ho 1: Schwarze Schafe • Cross Cult, Ludwigsburg 2014 • 88 Seiten • € 22,–

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