1. Oktober 2014 1 Likes 1

Die Macht der Worte

Max Barrys neuer Roman „Lexicon“

Lesezeit: 4 min.

Max Barry verkaufte zunächst Computer-Systeme für Hewlett-Packard, ehe er seine Schreibkarriere startete. Seit 1999 hat der 1973 geborene Australier, der heute mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Melbourne lebt, die Romane „Sirup“, „Logoland“, „Chefsache“, „Maschinenmann“ und aktuell „Lexicon“ veröffentlicht. In Ausgabe Nr. 54 des Magazins „phantastisch!“ erschien zudem Barrys Story „Springtide“ auf Deutsch.

Barrys temporeiche Geschichten mit Witz und Verstand, die nicht selten lässig Genrekost und Mainstream verbinden, zeichnen sich durch eine scharfsinnige Kritik am modernen Kapitalismus sowie dem durch die Globalisierung verbreiteten American Way of Life und dessen Auswirkungen auf den Menschen als Gesellschaft und als Individuum aus. 2013 wurde Barrys Debütroman mit Johnny Depps derzeitiger Freundin Amber Heard und Shiloh Fernandez in den Hauptrollen als Syrup verfilmt (Barrys weitere Werke wurden zumindest allesamt für Verfilmungen optioniert). Darüber hinaus ist der barhäuptige Australier der Schöpfer des Online-Simulations-Games NationStates, das von seinem starken Zukunftsroman „Logoland“ inspiriert wurde. Im Internet findet man Barry hier.

Doch zurück zu seinem literarischem Output. In seinem beneidenswert guten, extrem filmischen Debütroman „Sirup“ (1999) nahm Barry die abgedrifteten Wahnwitz-Welten von Marketing und Film aufs Korn – ein sensationeller Einstand als Romancier. Danach folgte Barrys erster Science-Fiction-Roman, der Near-Future-Thriller „Logoland“ (2003), eine grell überzeichnete Kapitalismuskritik in einer nicht allzu fernen Zukunft, in der nur Karriere, Knete und Konsum zählen, man als Nachnamen den Markennamen der Firma trägt, in der man arbeitet, und selbst Polizeiarbeit und Strafverfolgung privatfinanziert werden. Hiernach legte er „Chefsache“ (2006) vor, eine bissige Wirtschaftssatire über undurchsichtige Firmen-Apparate, die sich durch sinnloses Auftrage-Geschubse zwischen den einzelnen Abteilungen quasi selbst am Leben erhalten und oft genug Habitate voll florierendem Unsinn und anonymer Unmenschlichkeit sind.

Dass Max Barry ein scharfsinniger Beobachter und unnachgiebiger Kritiker unserer Gesellschaft samt ihrer Unsitten ist, bewies er schließlich einmal mehr in „Maschinenmann“ (2012) – einem weiteren lupenreinen Werk der Science-Fiction, das zunächst als Fortsetzungsroman auf Barrys Website erschien und nach zum Teil massiven Überarbeitungen und Umstrukturierungen in Buchform veröffentlicht wurde (im Shop). Im Roman um einen Protagonisten, den man durchaus als Sheldon Cooper der Robotik bezeichnen könnte, bekamen die Konzerne im Gesundheitswesen genauso ihr Fett weg wie die neumodische Hatz nach immer besserer Technik, dem nächsten Produkt-Upgrade oder dem neuesten Schönheits-Trend.

Nach diesem womöglich sympathischsten Cyborg-Roman aller Zeiten ist nun „Lexicon“ (im Shop) auf Deutsch erschienen, Barrys neuester Roman. Darin offeriert der sympathische Australier, der die Handlung diesmal sogar teilweise in seine Heimat verlegt hat, einen spannenden und coolen Thriller um die Macht der Worte, der wahnsinnig innovativ des Weges daher kommt. Es geht um einen Konflikt unter den Mitgliedern einer auf Sprache versierten Organisation. Die Dichter sind Menschen mit besonderem Sprachgefühl, die genau wissen, wie man andere Leute durchschaut und sie mit mehr als einfachen Worten auf vielen Ebenen und an genau dem richtigen Angriffspunkt angeht und heftig bis ins Extrem manipuliert. Hier geht es nicht um Trickbetrüger mit Engelszungen, wohlgemerkt, sondern um die brandgefährlichen X-Men unter den Menschenflüsterern, denen klar ist, was für chemische Prozesse im Hirn durch welche sprachlichen Codes angeregt werden.

All die inhaltliche Innovation in „Lexicon“ hat allerdings ihren Preis, wie beim Lesen des etwas undurchsichtig startenden Romans schnell klar wird: Denn obwohl „Lexicon“ so gut und unterhaltsam geschrieben ist wie alle von Barrys Büchern, kommt es nicht wie ein typischer Barry daher und erinnert über weite Strecken eher an ein Bastard-Kind von Barrys Kollegen Matt Ruff (und ja, natürlich wäre es für viele Autoren ein riesiges Kompliment, würde man ihren neuesten Roman mit Ruff vergleichen – und es ist bestimmt Zufall, dass eine der Hauptfiguren in einem der auf verschiedenen Zeitebenen spielenden Erzählstränge zeitweise als Emily Ruff firmiert).

Aber vermutlich passt das einfach nur gut zu Barrys Sicht der Welt und ergibt am Ende absolut Sinn: Seine Ideen hat er schließlich noch nie wiederholt oder wiedergekäut. Dafür nervt ihn der Kapitalismus viel zu sehr, wie er immer wieder deutlich gemacht hat. Deshalb ist „Lexicon“ auf den ersten Blick vielleicht nicht das, was man als nächsten Roman aus der Feder von Max Barry erwartet hat, und das enttäuscht den Fanboy ein klein wenig – doch genau aus diesem Grund ist es umso mehr das nächste logische, unterm Strich ja trotzdem ziemlich gelungene Buch von Barry, das den Leser gut unterhält mit Sprache, die zur neurobiologischen Waffe wird.

Und an der Macht von Mr. Barrys Worten ändert so ein thematischer Kurswechsel ja eh nichts.

Max Barry: Lexicon • Heyne Hardcore, München 2014 • 464 Seiten • €14,99

Kommentare

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Stimmt, "Lexicon" ist anders als Barrys bisherigen Romane - obwohl ich bisher noch nicht ganz durch bin, gefällt er mir ziemlich gut bisher!

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