26. Mai 2023

Genre in Cannes

Von „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ bis „Asteroid City“

Lesezeit: 3 min.

Nicht erst seit Genrefilme wie „Herr der Ringe“ oder „Avatar“ bei den Oscars berücksichtigt werden und etliche der größten Streamingerfolge Genremuster variieren, scheint dieser einst eher stiefmütterlich behandelte Bereich des Kinos breite Akzeptanz gefunden zu haben. Bei Festivals wie der Berlinale gab es einst die legendäre Mitternachtsreihe, bei der gern asiatische Actionkracher gezeigt wurden, zu deren Vorführungen sich immer auch zahlreiche Angestellte der Charlottenburger Asia-Restaurants einfanden.


„Project Silence“

In Cannes wird diese schöne Tradition weitergeführt, gerne beginnen hier die Spätvorstellungen auch mal erst um halb eins. Und wenn es sich dann um einen indischen Film wie „Kennedy“ handelt, der fast zweieinhalb Stunden lang ist (für indische Verhältnisse also eher kurz…), dann kann die Vorstellung schon mal bis drei Uhr morgens dauern. Was in diesem Fall besonders gut zur Hauptfigur eines an Schlaflosigkeit leidenden Ex-Cop passt, der für tot gehalten wird jedoch immer noch für das korrupte System passt.

Ebenfalls eine Mitternachtspremiere war der koreanische Katastrophenfilm „Project Silence“, der mit kurzen Handstrichen eine handvoll Protagonisten skizziert, die auf einer im Nebel versinkenden Brücke in einen riesigen Unfall geraten. Ebenfalls vor Ort: Eine Horde genmanipulierter Hunde, die im titelgebenden Projekt zu kontrollierbaren Kampfmaschinen umgepolt werden sollten, was natürlich schiefgeht.


„Indiana Jones und das Rad des Schicksals“

Zunehmend finden sich aber auch Genrefilme in den offiziellen Sektionen, sogar ein Film wie „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ darf an der Croisette seine Weltpremiere feiern. Dass selbst Steven Spielberg keine Lust mehr hatte den inzwischen 80jährigen Harrison Ford als Actionheld zu inszenieren, sagt eigentlich alles: Mehr als nostalgische Gefühle wagt dieses Produkt nicht. Passt allerdings gut auf diese Internetseite, denn zum einen mussten die Computer rotieren, um Ford für einen Prolog, in dem er 1945 – wie immer – gegen Nazis kämpft, zu verjüngen, zum anderen gibt es auch inhaltliche Science-Fiction-Momente. Dies sind die wenigen originellen Minuten des Films, die allerdings die letzte halbe Stunde ausmachen und deswegen hier natürlich nicht gespoilert werden sollen.


„Le Regne Animal“

Als Eröffnungsfilm der Nebenreihe Un Certain Regard, in der vor allem jüngere Regisseure eine Chance bekommen, oft mit Debütfilmen, lief „Le Regne Animal/Animal Kingdom“, ein dystopischer Film von Thomas Cailley. Romain Duris und Paul Kircher spielen Vater und Sohn, die in einer Welt leben, in der immer mehr Menschen mutieren und sich in unterschiedliche Tierarten verwandeln. Teile der Bevölkerung lehnen diese Mutanten ab, andere plädieren für den Versuch eines Miteinander. Eine klassische Außenseitermetapher also, wie sie von den „X-Men“ bis „Let the Right One In“ schon oft durchgespielt wurde. Selten aber im europäischen Arthouse-Kino, vor allem aber selten mit so herausragenden Schauspielern.


„Asteroid City“

Genretechnisches Highlight des diesjährigen Festivals war jedoch Wes Andersons „Asteroid City“, der im Wettbewerb gezeigt wurde. In erster Linie ist jeder Film von Wes Anderson natürlich in erster Linie ein Vertreter des Genres Wes Anderson, in diesem Fall aber auch Film, der zwar in den 50er Jahren spielt, aber in die Zukunft blickt. Eine kleine Ort in der amerikanischen Wüste ist Schauplatz, ein Asteroid wurde hier einst gefunden, wegen dem sich nun eine bunte Gruppe Junior Astronauten, Wissenschaftler und andere Wes Anderson-Charaktere zusammenfinden, um den Tag des Asteroiden zu feiern. Der dummerweise von der Ankunft eines Aliens gestört wird, was Rätsel aufwirft, auf die es keine Antwort gibt. Ebenso wenig zu den großen Fragen des Lebens, scheint Anderson in einer wie stets komplizierten, verschachtelten Erzählstruktur anzudeuten. In drei Akten erzählt, als fiktives Theaterstück, bei dem immer wieder hinter die Kulissen geblickt wird, die Künstlichkeit der Inszenierung aufgezeigt wird. Selten gab es einen Anderson-Film, der so enigmatisch wirkte, womit er vielleicht exakt sein Thema spiegelt. So oder so: Ein Highlight des Kinojahres.

Abb. ganz oben: „Asteroid City“

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