Nippon Connection – das 21. Japanische Filmfestival
Leider nochmal online, aber trotzdem (wie immer) toll
Juhu! Corona ist im Abflauen, „der Sommer wird gut“ (über den Herbst spricht derzeit aber niemand so wirklich gerne), das normale Leben kehrt allmählich wieder zurück. Für Veranstalter größerer Events waren die letzten Wochen trotz absehbar positiver Entwicklung natürlich mit massiver Planungsunsicherheit verbunden, weswegen die 21. Nippon Connection ein weiteres Mal im Netz abgehalten wurde. Einerseits nicht so schön, live ist immer besser, eh klar, anderseits macht die vielköpfige Truppe um Marion Klomfaß im Netz ebenso eine ausgesprochen gute, sehr professionelle Figur und erfreute die Fans japanischer Kost erneut mit einer toller Filmauswahl und einem Begleitprogramm mit rund 40 (!) Veranstaltungen – von Spirituosen-Tastings und Kochkursen bis hin zum Vortrag eines Machers von Filmgeräuschen war wirklich alles dabei. Wenn man Kritik anbringen möchte, dann die, dass man sich angesichts des umfangreichen Programms jedes Mal ein bisschen wie ein überfordertes Kind im Süßwarenladen fühlt – lecker, lecker, lecker, will alles! Kreisch!
Und klar, nie froh – dafür kann das Festival aber natürlich nichts – stimmt der Umstand, dass man viele der gezeigten Filme wohl nur auf dem Festival sehen wird. Mein ewiges Gemecker über den schweren Stand asiatischer Produktionen in Deutschland erspar ich euch an dieser Stelle mal, allerdings sieht`s auch im Ausland lange nicht so prickelnd aus, wie man sich das in seinen heißen, feuchten Fan-Träumen regelmäßig herbeilechzt. Egal.
Was gab’s an Sci-Fi-relevantem?

• Bolt (2019, R: Kaizo Hayashi)
Fukushima-Aufarbeitung in – zumindest im ersten Drittel – faszinierenden Bildern. Eine Gruppe Männer wird ins Innere des havarierten Kernkraftwerks geschickt, um einen Bolzen am Drucktank festzuziehen, der das Austreten von kontaminiertem Wasser verhindern soll. Dank der Strahlungsgefahr darf sich allerdings niemand länger als eine Minute am Tank aufhalten – der fatale Ausgang der Mission ist bekannt. Packend ist der erste Teil des dreiteiligen Films dank zwischen realistisch und kunstvoll pendelnder Optik und einem semidokumentarischen Tonfall trotzdem, leider versinkt „Bolt“ in den folgenden Abschnitten in gut gespielten, aber allzu sprödem Drama ohne großen Nachhall. Wenig glücklich zudem die Entscheidung alle drei Teile formal wie inhaltlich höchst unterschiedlich umzusetzen (der letzte Abschnitt macht sogar ein Abbiegung in Richtung magischer Realismus), was das Gesamtkonstrukt zusammenhangslos wirken lässt.

• My Blood and Bones In A Flowing Galaxy (2019, R: Sabu)
Kiyosumi wäre gerne ein Held wie sein Vater, der bei der Rettung einer verunglückten Familie ums Leben kam. Eines Tages bemerkt der schüchterne Junge, dass die verschlossene und rätselhafte Hari einige Klassen unter ihm terrorisiert wird und beschließt sich für sie einzusetzen. Der Anfang einer Freundschaft – wäre da nicht Haris Vater …
Was für eine fiese Ratte von Film. Gut, Fans von Sabu ahnen, dass das zwar unterhaltsame, aber wenig belangreiche Außenseiterdrama, welches die ersten Hälfte ausmacht, nicht so melancholisch-romantisch bleiben wird, aber in was für finstere und grausame Gefilde die Handlung kippt, überrascht dann doch ein wenig (zumal der Antagonist aussieht wie ein Kreissparkassenvorstand). Da macht das attraktive, sympathische, sehr süße Hauptdarsteller-Duo gleich doppelt Sinn, einerseits natürlich schwer posterkompatibel, anderseits dürften selbst zynische Zeitgenossen solche zauberhaften Gesichter nicht blutigst eingedellt sehen wollen. Da tut jeder unsichtbare wie sichtbare Schlag gleich weh. Klar, eigentlich handelt es sich um die Adaption eines 2016 erschienenen Romans von Yuyuko Takemiya, aber es würde nicht wundern, wenn Sabu maßgeblich auf den Stoff eingewirkt hat, denn dermaßen abrupte Wechsel im Tonfall kennt man von ihm ja bestens. Was der Film mit Sci-Fi zu tun hat? Während der Handlung wird ein schön getrickstes UFO, das für Einsamkeit und Isolation steht, auf unterschiedliche Art und Weise als Leitmotiv verwendet.

• Special Actors (2019, R: Shinichiro Ueda)
Die größte Enttäuschung des Festivals. Regisseur Shinichiro Ueda veröffentlichte 2017 mit „One Cut of the Dead“ (2017) ein Debüt, das sich gewaschen hatte. Die quirlige, technisch beeindruckend – ganze 37 Minuten (!) wurden als Plansequenz realisiert – umgesetzte Komödie war zugleich klassischer Zombiestoff wie leidenschaftliche Liebeserklärung an die wundervolle Welt des B-Films. Das Erstlingswerk entwickelte sich nicht nur zum Kritikererfolg, sondern gleichfalls zum nicht nur feuchten, sondern klatschnassen Traum des Produzenten: Bei einem Budget von $25.000 wurden satte $30,5 Millionen weltweit eingespielt. Bei solch einem Erfolg wundert es natürlich nicht allzu sehr, dass beim Nachfolger zumindest eine gewisse Ähnlichkeit zum Vorgänger da ist und wieder Gruppendynamik im Vordergrund steht: Dieses Mal dreht sich alles um Statisten, die bei einer spezielle Agentur angestellt sind, die unter anderem trauernde Gäste auf Beerdigungen oder klatschendes Publikum auf Theaterpremieren vermittelt. Doch eines Tages werden die sympathischen Vortäuscher beauftragt, eine junge Frau vor einem UFO-Kult zu retten. Was nicht ganz einfach wird, denn der junge Kazuto, der mehr oder weniger im Mittelpunkt des Geschehens steht, fällt immer in Ohmacht, wenn er nervös wird …
Es ist nicht so, dass „Special Actors“ nicht seine Momente hat, „Rescueman“ zum Beispiel, eine japanisch synchronisierten Low-Budget-US-Serie, die Kazuto immer wieder auf 1000fach abgenudelter VHS schaut, wenn er davon träumt ein Held zu sein, würde man gerne einmal in voller Länge sehen, so drollig-trashig ist das alles umgesetzt. Ebenso verleitet die Dreistigkeit, mit der der Kult, hinter dem sich natürlich hundsgewöhnliche Geschäftsmänner stecken, die Anhänger hinters Licht führt, zum schmunzeln – da werden abstruse Objekte aus dem Weltall zu Schweinepreisen verhökert oder die Leute mit sanften Druck zur Teilnahme an Geburtstagen von außerirdischen Gottheiten überredet, wo dann natürlich weiterer Aderlass angesagt ist. Ein bisschen kommen da die frischen Erinnerungen an gewisse abstruse gesellschaftliche Auswüche vom letzten Jahr hoch, die sich nicht allzu weit weg von Uedas cartoonesker Abzocker-Bande bewegt haben.
Das Problem: Das Leichtfüßige des Vorgängers geht dem Nachfolger total ab. Der Film wirkt aufgeblasen, überbevölkert und verfügt über ein rumpeliges Timing, was sich vor allem im überlangen Finale schmerzlich bemerkbar macht.

• Beyond the Infinite Two Minutes (2020, R: Junta Yamaguchi)
Filme wie dieser stellen mich immer vor einem Dilemma. Eigentlich möchte ich natürlich gerne drüber schreiben, aber ein Teil von mir möchte gleichzeitig, dass die Leser das gleiche „Wow!“-Erlebnis haben wie ich, nach dem Abspann ebenfalls mit leuchtenden Augen da sitzen und denken: „Was hab ich da denn gerade gesehen? Meine Herren war der vielleicht mal geil!“ und das funktioniert bei einer Achterbahnfahrt dieser Art nun mal am besten, wenn nicht zuviel vorab gequatscht wird. Da das Juwel in nächster Zeit vom britischen Label Third Window Films veröffentlicht wird, sind leuchtende Augen also durchaus eine Option, deswegen nur vage: Spielfilm-Debüt der Theatergruppe Europe Kikaku, denen es an Selbstbewusstsein nicht mangelt: Nicht nur, dass die Jungs und Mädels unter Anleitung von Hausregisseur Junta Yamaguchi für kein Geld in den nicht genutzten Räumen eines Cafés einen Science-Fiction-Film gedreht haben, man realisierte das Projekt, eine Zeitreisegeschichte (!), zudem noch fast ohne Schnitte (!!). Herausgekommen sind dabei siebzig mächtig beeindruckende, mitreißende, vor Charme nur so sprühende Minuten, die man am liebsten gleich noch mal und noch mal und noch mal und noch mal anschauen möchte.

• The Town of Headcounts (2020, R: Shinji Araki)
Auf der Flucht vor Kredithaien landet Aoyama an einem mysteriösen Ort, der gesellschaftliche Außenseiter aufnimmt. Die Bewohner brauchen sich um nichts kümmern, Unterkunft, Verpflegung, Ausflüge, Sex – all inklusive! Es müssen lediglich ein paar Regeln befolgt werden, aber wen schert schon zum Beispiel die Aufgabe des eigenen Namens oder dass man den Ort aus freien Stücken nicht mehr verlassen darf, wenn man dafür sorgenfrei vor sich hin gammeln darf? Als Aoyana aber eine junge Frau kennen lernt, die ihre verschwundene Schwester sucht, gerät die heile Welt allmählich ins Wanken …
Regie-Debüt, das irgendwo zwischen Gesellschaftsatire, Drama, schwarzer Komödie und Science-Fiction umherwandert und wirkt, als ob hier jemand ein paar an sich ganz gute Ideen hatte, aber nicht so recht wusste, was damit machen. Das Erkunden der fremdartigen, interessant gestalteten Welt in der ersten Stunde macht zwar durchaus Spaß, aber sobald sich der Film dazu entscheidet den Story-Modus einzulegen und vor allem sobald klar wird (und das wird recht schnell klar), worauf das alles hinausläuft, erlahmt das Interesse, denn das, was der Film glaubt, am Ende atemberaubend Wichtiges mitzuteilen zu müssen, ist so neu nun echt nicht.

• Extraneous Matter – Complete Edition (2021, R: Kenichi Ugana)
Mit einem Mal erscheinen seltsame, octopusartige, außerirdische Wesen in den Wohnungen der Menschen. Eigentlich gruselig, aber die glibbrigen Aliens lösen ein gesteigertes Lustempfinden beim Homo Sapiens aus, deswegen schon ok und bald Teil des Alltags. Doch eines Tages nimmt die explosionsartige Vermehrung eine dramatische Wende …
Aus einer Kurzfilmserie entstandener Mix aus Shin’ya Tsukamotos Großstadt-Alpträumen und den wilden Tentakel-Animes, die in den 1990er-Jahren für erzürnt pochende Stirnadern bei den Jugendschützern dieser Welt sorgten (Klassiker, der in jedes gut sortierte Kunstfilm-Regal gehört: „Urotsukidoji“). Natürlich hat Regisseur Kenichi Ugana im Kern ein hehres Anliegen und erzählt von Liebe und Einsamkeit in der Großstadt und man kauft’s ihm sogar ab, die lustvoll ausgespielte Tentakelsex-Erotik macht aber deutlich, dass hier jemand eben auch ordentlich rumferkeln wollte. Sleaze mit einem gewissen Anspruch also? Geht klar!

• I’m Really Good (2020, R: Hirobumi Watanabe)
Eigentlich kein Science-Fiction-Vertreter, aber die Zukunft spielt trotzdem eine gewichtige Rolle: In den 60 Minuten passiert im Grunde nicht viel: Man erlebt einen Tag im Leben der Grundschülerin Riko. Wie sie zur Schule läuft, isst, mit ihren Freunden und Freundinnen spielt, was halt kleine Kinder so machen. So weit so völlig unspektakulär, aber mit tollen Darstellern, Liebe zum Detail und – natürlich – kariessüß. Allerdings wird dieser Einblick in eine glückliche, sorgenfreie, unschuldige Kindheit in unregelmäßigen Abständen immer wieder durch Mitteilungen aus dem Radio unterminiert, die sich vor allem um die in Zukunft stark sinkenden Pensionen drehen. Für weitere Irritationen sorgt ein Vertreter für Schulbücher, der einzige im ganzen Film auftauchende Erwachsene. Der wird nervös, als er von dem kleinen Mädchen erfährt, dass ihr Vater bei der Polizei arbeitet. Bei Rikos Freundin Nanaka laufen sich die beiden ein zweites Mal über den Weg, dabei wird aber deutlich, dass das aufgeweckte Kind den schmierigen Gesellen offenbar bereits beim ersten Mal durchschaut hatte und so muss der böse Wolf wieder abdampfen. Die Gefahr ist damit aber natürlich nicht gebannt, Artgenossen werden in Zukunft lauern …
Die erzeugten, kurzen Dissonanzen verleihen der Idylle jedenfalls einen gewisse Nachdruck, die Momente unbeschwerten Kinderglücks werden zu einer Insel über der die dunkle Wolke Zukunft hängt, es schwingt mit, dass diese frühen Jahren vielleicht tatsächlich die einzige komplett unbelastete, wirklich glückliche Zeit ist, die Riko und ihre Freunde und Freundinnen, die irgendwo auch ein wenig für alle unsere damaligen Ichs stehen, je haben werden.
Sehr eigen, aber wirklich gut!
Großes Bild ganz oben: „Bolt“
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