22. Oktober 2024

„Tomb Raider. The Legend of Lara Croft“ auf Netflix

Ein typischer Fall von „love it or hate it“

Lesezeit: 5 min.

Lara Croft will die Dämonen ihrer Vergangenheit hinter sich lassen. Weg mit Ballast, weg mit den Artefakten im Familienbesitz. Doch bei der Auktion stiehlt ein Unbekannter das letzte archäologische Kleinod, das Lara gemeinsam mit ihrem verstorbenen Mentor Conrad Roth gefunden hat. Die junge Frau fackelt nicht lange und nimmt die Verfolgung auf. Und die entwickelt sich zu einer Reise um den halben Globus, bei der am Ende die Welt gerettet werden muss.

Hand aufs Herz: Lara Croft gehört seit ihrem Spieledebüt 1996 zu den beliebtesten aber auch zu den meist diskutierten Heldinnen. Für die einen war und ist sie bis heute ein Sexsymbol, für die anderen eine feministische Ikone. Fest steht: Innerhalb eines Vierteljahrhunderts hat sich nicht nur die Optik der toughen Archäologin verändert. Von der hauteng bekleideten Abenteurerin mit den unverkennbaren Polygon-Atombrüsten ist seit dem Reboot des Gaming-Franchise nicht mehr viel übrig. Mit „Tomb Raider“ begann 2013 stattdessen der Siegeszug der „neuen“ Lara – kein reines Sexsymbol, sondern die hübsche, intelligente, kämpferische junge Frau von Nebenan. Ein Twen wie du und ich, wer mag das nicht?

Seit dem Ende von „Shadow of the Tomb Raider“ (2018) ist es allerdings merklich ruhiger um die britische Aristokratin geworden. Zwar befindet sich ein neues Spiel sowie eine Real-TV-Serie in der Planung und können Fans demnächst die ersten sechs Spiele in einer remasterten Version zocken. Doch der Elefant im Raum bleibt: Wie passt die „neue“ Lara mit dem Original der späten 90er-Jahre zusammen? Wie lässt sich ihre Wandlung vom mitfühlenden, Gräber hassenden Twentysomething zur skrupellosen Artefaktenjägerin in knapper Kleidung erklären? Diese Lücke möchte Showrunnerin Tasha Huo („The Witcher. Herkunft des Blutes“, 2022) in „Tomb Raider. The Legend of Lara Croft“ schließen.

Wenig überraschend setzt die Serie nach „Shadow of the Tomb Raider“ ein. Während Jonah (Earl Baylon) und Abby (Roxana Ortega) ihre Hochzeit planen, stürzt sich Lara (Hayley Atwell) von einem Abenteuer ins nächste. Doch statt nach Relikten Ausschau zu halten, prügelt und betrinkt sie sich. Nur so kann sie die Lücke füllen, die Conrad Roths Tod in „Tomb Raider“ gerissen hat, nur so lässt sich scheinbar das Loch ertragen, in dem sie nach dem Sieg über Trinity gefallen ist. Mit dem Verkauf der archäologischen Schätze aus ihrem Familienbesitz scheint die Möglichkeit greifbar nahe, einen Schlussstrich unter die Ereignisse zu ziehen.

Aus den Augen, aus dem Sinn, endlich keine Schuldgefühle mehr. Kann es so einfach sein? Traumabewältigung ist nie einfach, das Thema in der Serie daher gar nicht so fehl am Platz wie manche Fans meinen. Zumal Lara und ihr Gegenspieler Charles Devereux (Richard Armitage) ihre belastende Vergangenheit eint. Auch er möchte den Tod seines Vaters rächen, auch er einem uralten Orden Einhalt gebieten, bevor dieser die Menschheit in den Abgrund reißen kann. Dafür zieht der Bösewicht im Gegenzug zu Lara alle moralischen Register, um unendliche Macht zu erhalten – auch wenn dabei das Ende der Welt eingeläutet wird.

Um die Apokalypse aufzuhalten, rennt, fährt und fliegt Lara durch acht temporeich erzählte Episoden. Denen mangelt es nicht an der nötigen Action, sie sind aber technisch nicht ganz auf dem Niveau anderer Netflix-Produktionen. Tut das dem Spaß an dem Abenteuer einen Abbruch? Mitnichten! Das Kreativteam zeigt an vielen Stellen, dass es mit dem Tomb-Raider-Lore vertraut ist. In manchen Szenen ist es das vielleicht sogar zu sehr, was den Zugang für Neueinsteiger etwas erschwert. Wenn Lara zum Beispiel Zip (Allen Maldonado) erzählt, dass sie den schlimmsten Ort der Welt besuchen muss und die Kamera sie danach beim Parcours hoch über den Dächern von Paris zeigt, passt das einerseits zum britischen Humor der Heldin. Andererseits wird damit auf Ereignisse angespielt, die nur Hardcorefans kennen, in diesem Fall die Geschehnisse aus Dan Abnetts und Nik Vincents Roman „Tomb Raider. The Ten Thousand Immortals“.

Zip ist ein gutes Stichwort: Das Technikgenie hatte bereits mehrere Auftritte in den Computerspielen und schließt sich Lara aus fast ebenso vielen Gründen an. Wie er jedoch zu ihrer Clique nach der Reboot-Trilogie gestoßen ist, bleibt vorerst unklar. Hier löst Tasha Huo bislang nicht ihr Versprechen ein, die unterschiedlichen Timelines der Spiele miteinander zu verbinden. An anderen Stellen gelingt ihr das bedeutend besser. So erfahren Zuschauer:innen etwa, wie Lara in den Besitz ihrer beiden treuen Pistolen geraten ist – und wann sie damit zum ersten Mal einen urzeitlichen Gegner erledigt hat. In dieser Hinsicht ist „Tomb Raider. The Legend of Lara Croft“ ein Fest für all diejenigen, die die Spielereihe nicht erst seit der Survivor-Trilogie kennen.

Was das Fandom jedoch spaltet sind ein paar von Huos kreativen Freiheiten, die sie sich in der ersten Staffel herausnimmt. Einen Teil der Gemeinde stört sich etwa daran, dass Lara plötzlich ein Gewissen hat, wenn sie auf Gegner schießt, ein anderer an das angesprochene Trauma – auch wenn sich beides durch den Kontext erklären lässt. Ein weiterer, heiß diskutierter Punkt: Roths bislang unbekannte Tochter, die einst Laras beste Freundin war. Dass es sich bei Camilla Roth (Zoe Boyle), Agentin bei Interpol, um die beste neue Figur der TR-Reihe handelt oder sich die toughe junge Kommissarin in die Riege der starken Frauen einreiht, die Lara in der Survivor-Trilogie begegnet ist, geht bei der Diskussion fast unter.

Apropos zweite Staffel: Tasha Huo hat diese schon längst geplant. Ob und wann sie bei Netflix erscheint steht leider wie so oft in den Sternen. Der Cliffhanger am Ende der achten Episode verspricht jedoch ein Wiedersehen mit einer Figur, die in „Rise of the Tomb Raider“ und „Shadow of the Tomb Raider“ schmerzhaft vermisst wurde. Allein deswegen bleibt zu hoffen, dass sich die Kalifornier:innen einen Ruck geben und auch das folgende Abenteuer produzieren lassen.

„Tomb Raider. The Legend of Lara Croft“ ist eine actionreich erzählte, voller britischen Humor gespickte Animationsserie, die mit den Figuren und den Ereignissen der erfolgreichen Spielereihe spielt. Lara darf hier endlich all das verarbeiten, was sie in den Reboot-Spielen erlebt hat – und daran wachsen. Ob man das mag oder nicht, sei dahin gestellt. In der Hinsicht ist die Serie ein Paradebeispiel für „love it or hate it“. Aber das sollte niemanden davon abhalten, mit den acht Folgen Spaß zu haben.

Tomb Raider. The Legend of Lara Croft • USA 2024 • Mit den englischen Originalstimmen von: Hayley Atwell, Allen Maldonado, Earl Baylon • Seit 10. Oktober auf Netflix • Empfohlen ab 16 Jahren

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.