Von elektronischen Penissen, total verbeulten E.T.s und mehr
Science-Fiction auf dem Fantasy Filmfest Nights 2022
Es gibt, außer, dass ein Tag drangehängt wurde und die Veranstaltung beim Stuttgarter Termin leider ins nicht ganz so komfortable EM-Kino verlegt wurde, nicht viel zu sagen. Alles ist beim Alten geblieben: Ein bunter Mix aus Filmen, leider null Rahmenprogramm, man hat nie wirklich das Gefühl, dass man einem Festival beiwohnt. Trotzdem gut, dass es da ist.
Für uns relevante Titel:
1. Saloum (Senegal 2021)
Worum geht’s? Während sich im Jahr 2003 vor ihren Augen in Guinea-Bissau ein Staatsstreich ereignet, wollen Chaka, Rafa und Minuit, ein Trio, das als Banguis Hyänen bekannt ist, den Drogenboss Felix ausfindig machen. Als bei der Flucht ihr mit einer Menge Gold beladenes Flugzeug eine Kugel abbekommt und der Treibstofftank ausläuft, müssen sie am Sine-Saloum-Delta notlanden. Ein freundlicher Mann namens Omar bietet ihnen in seinem Ferienrefugium Zuflucht, dass allerdings nicht ganz so idyllisch ist, wie es auf dem ersten Blick scheint …
Lohnt sich? Leider pendelt sich der Genrebastard, der derzeit heftigen Presse-Hype erfährt und auch von der Veranstaltern als der ganz heiße Shit angepriesen wurde, eher bei „kann man gucken“ an. Ich glaub, die Euphorie rührt zum einen daher, dass „Saloum“ dank seinem Herkunftsland einen dicken Exoten-Bonus gut hat (wann sieht man schon mal einen Film aus Senegal?), zum anderen daher, dass Regisseur Jean Luc Herbulot in seinem Erstling absolut alle Knöpfe drückt und mit farbenprächtigen Bildern aus einem fremden Land, einer hyperdynamischen Kameraführung, einem schnellen Schnitt, Schrifttafeln, Voiceover, einem furiosen, beatlastigen Soundtrack, der landestypische Töne mit modernen Elektronik-Beats vereint, einem „coolen“ Protagonisten-Trio und einer wild mäandernden Story derart auf den Kultfilm-Stempel schielt, dass man schnell gewillt ist sich zu ergeben und vor lauter Überwältigung gar nicht so recht realisiert, dass das alles so neu nun wieder nicht ist und zudem zur Geschwätzigkeit neigt. Letzteres wird leider auch nicht dadurch ausgeglichen, dass der Film im letzten Drittel in reine Monster-Action kippt - Herbulot gehört leider zu den (viel zu vielen) Regisseuren, die bei Actioninszenierungen auf möglichst nervöse und viel zu nahe Bilder setzen, was aber die Wirkung des Gezeigten natürlich deutlich schmälert. Wann nur, oh wann nur, wird hier endlich die große Erkenntnis kommen?
Das Ganze bewegt sich jedenfalls irgendwo zwischen Guy Ritchies Gangsterfilmen, Robert Rodriguez’ „From Dusk Till Dawn“ (1996) und John McTiernans Überklassiker „Predator“ (1987) ohne eine eigene Stimmen zu finden, die Beigabe von etwas afrikanischer Folklore ändert daran nichts. Dank einer knackigen Laufzeit von gerade mal 84 Minuten, kriegt man „Saloum“ ganz gut über die Bühne - es gibt immer was zu gucken, die Musik des Franzosen Reksider ist wirklich toll und ein paar Dialoge sitzen, aber wie heißt es so schön: Don’t believe the hype.
2. Incredible But True (Frankreich 2022)
Worum geht’s? Alain und Marie sind auf der Suche nach einem neuen Haus. Als sie in einem Vorort ein Kaufobjekt entdecken, das laut Makler im Keller etwas beherbergen soll, was ihr Leben auf den Kopf stellen kann, schlägt das Paar spontan zu. Vor allem Marie ist fasziniert von der Entdeckung und besucht immer wieder das Kellergeschoss. Als Alains schräger Chef Gérard mit seiner promiskuitiven Freundin Jeanne zum Essen eingeladen wird, möchte ihnen Alain am liebsten von der unglaublichen Entdeckung berichten. Aber Marie ist entschlossen, das Geheimnis im Keller für sich zu bewahren und entwickelt immer manischere Züge …
Lohnt sich? „Incredible But True“ ist ein Film über menschliche Obsessionen wie Schönheit, Jugend, Sex, Geld und Status und hat dabei eigentlich gar nichts Neues zu sagen, was Quentin Dupieaux („Rubber“, „Monsieur Killerstyle“) bewusst ist, weshalb er den „gewichtigen“ Teil seiner Geschichte smarterweise in einer von Bach unterlegten Zeitraffer-Sequenz abspult. Er konzentriert sich lieber drauf seine irrwitzigen Ideen konsequent durchzuspielen, bestimmte Situationen, zu konfigurieren und zu schauen, was passiert. Wie wirkt sich das aus, wenn man einen Schacht im Keller findet, mit dem man durch die Zeit reisen und sich gleichzeitig verjüngen kann? Was passiert, wenn sich jemand einen elektronischen, App-gesteuerten Penis mit Teleskopfunktion und eingebauter Kamera implantiert? Dupieaux Film ist eigentlich mehr eine Versuchsanordnung, aber er begegnet seinen Versuchskaninchen mit Respekt und Empathie und einer großen Portion Humor. Ein weiteres Kleinod von einem ziemlich einzigartigen Filmemacher.
3. Hatching (Finnland, Schweden 2022)
Worum geht’s? Tinja, eine 12-jährige Turnerin, die ihrer Mutter (eine Frau, die davon besessen ist, der Welt durch ihren beliebten Blog das Bild einer perfekten Familie zu präsentieren) unbedingt gefallen will. Eines Tages findet Tinja ein mysteriöses Ei, das sie mit nach Hause nimmt. Plötzlich schlüpft aus dem Ei eine kleine Kreatur …
Lohnt sich? Eigentlich hat man Coming-of-Age-Geschichten dieser Art schon oft gesehen. Das Übernatürliche, das in den Alltag der jungen Protagonisten Einzug hält, bedeutet natürlich Wandel und Ausbruch und so überrascht der Handlungsverlauf natürlich kein bisschen: Die Geburt von Tinjas Monster, das daherkommt wie E.T., dem mit einem Zaunlatte kräftig das Gesicht umgebaut wurde, markiert den Beginn von Tinjas allmählichem Erwachsenwerden und ihren Ausbruch aus der eiskalten, sterilen Rosentapetenwelt, die die überergeizige Mama um sie herum gebaut hat. Doch der trockene, stellenweise ziemlich morbide Witz, die toll aufspielende Besetzung (besonders der Darsteller von Tinjas kleinen Bruder glänzt: Ein größeres Arschlochkind wird’s dieses Jahr nicht zu sehen geben) und die exzellenten, vermutlich überwiegend handgemachten, Effekte, lassen schnell vergessen, dass „Hatching“ nicht nur nichts Neues erzählt, sondern stellenweise auch mit einer etwas zu heißen Nadel gestrickt wurde.
4. Fresh (USA 2021)
Worum geht’s? Noa hasst Online-Dates. In der Regel haben die Typen eine Menge mehr geschmacklose Angewohnheiten und Leichen im Keller als eine Frau verkraften kann. Neuestes Beispiel: Ihre (im Netz ganz sensibel wirkende) Verabredung lädt sie in ein tristes „Cash Only“-Diner ein. Zahlen muss sie dann sowieso selbst und nach zähem Smalltalk endet der Abend mit rassistischen und sexistischen Beleidigungen. Menschen, die an die echte Liebe glauben, sind einfach nur Idioten. Ihre beste Freundin und Boxpartnerin Mollie ist ganz ihrer Meinung: Ein Leben als Single ist viel entspannter. Doch plötzlich taucht Steve auf. Im Supermarkt macht er sie so entwaffnend uncharmant an, dass bei Noa auf der Stelle hin- und weg ist. Doch Mollie horcht auf: Der Typ ist nicht mal bei Instagram! Verdächtig! Noah nimmt aber trotzdem seine Einladung auf einen Überraschungswochenendtrip an, was Folgen hat, böse Folgen …
Lohnt sich? Wer kennt sie nicht, die apokalyptischen Schriften von Autoren wie Byung-Chul Han, George Seeßlen und anderen über die bösen Sozialen Medien, die die Menschheit langsam aber sicher ins Verderben führen? Wer hat es nicht schon mal über sich ergehen lassen müssen, das miesepetrige Geseier von Papa, Mama, Opa oder Oma oder anderen Familienangehörigen deutlich älteren Semesters, dass doch früher alles besser war und man damals „einfach rausgegangen ist und sich getroffen hat“ und weiteres Blabla. Natürlich, soziale Medien bringen viel, viel Negatives mit sich, das kann man kaum verneinen, die Untiefen dürften mittlerweile aber alle sattsam bekannt sein. Was viel eher mal begriffen werden sollte: Facebook & Co. werden nicht mehr verschwinden und somit ist es deutlich angebrachter sich – endlich – mehr Gedanken über einen nachhaltigen Umgang damit zu machen, sich zum Beispiel zu überlegen, ob man nicht bereits früh in den Schulen einen sinnvollen Umgang damit lehren sollte oder wie man Organisationen gegen Hatespeech besser fördern kann.
„Fresh“, der Debütfilm von Mimi Cave (ein Name, den man sich nicht nur leicht merken kann, sondern auch merken sollte) greift das ganze Getrete gegen das Web 2.0 jedenfalls auf und dreht den Spieß genüsslich um. Auch wenn sich auf Dating-Apps offenbar nur selbstbesoffene Trottel rumtreiben, auch wenn plötzlich eintrudelnden Dickpics nicht gerade froh machen: In eine bis zum Anschlag pervertierte Welt und in allergrößte Lebensgefahr gerät Noah ganz ohne Internetkram, denn ihr Traumprinz aus dem Supermarkt entpuppt sich als ein Art Mad Scientist, der Frauen in den Kerker seines völlig aus der Zeit gefallenen, leicht retrofuturistisch wirkenden Wochendhauses schleppt, mit gutem Essen mästet und sich eine lebende Fleischfarm hält: Auf Bestellung werden den Opfern schmackhafte Körperteile abgetrennt, sozusagen Gliedmaßen geerntet, und für viel Geld an einen Zirkel der Oberschicht verhökert, wobei er selbst einem guten Happen aber ebenso wenig abgeneigt ist. Die Beschreibung lässt Splatterfans jetzt wahrscheinlich die Blutwurst in der Hose stramm werden, aber Pech gehabt: Die ganz grobe Kelle lässt Cave stecken, „Fresh“ ist die meiste Zeit ein pechschwarzhumoriges Kammerspiel mit glänzend aufgelegten Darstellern, knackigen Dialogen und einer unaufdringlich feministischen Note, zu der ich jetzt aber nichts weiter sagen möchte, da ich aufgrund eines massiven Spoilers nicht selbst Körperteile verlieren möchte. Überhaupt: Am besten auf den Trailer verzichten, einfach angucken und Spaß haben.
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5. X (USA 2022)
Zum Schluss noch eine kleine Bemerkung zu „X“, der Kino-Rückkehr des beliebten, aber nicht ganz unumstrittenen Indie-Regisseurs und Drehbuchautoren Ti West, der die letzten fünf Jahre mit dem Drehen von Serienepisoden (u.a. „Tales From The Loop“) verbracht hatte. Auch hier gilt: Don’t believe the hype! „X“, der von einer Pornofilmcrew in den 1970ern erzählt, die auf einer abgelegenen Farm der Reihe nach abgemurkst wird, ist unter dem Strich sicher Wests unterhaltsamster Film seit seinem gefeiertem Debüt „House of the Devil“ (2009), allerdings kann sich West erneut nicht, wenngleich nur in zurückgenommener Form, seine mit Referenzen durchtränkten Metaebenen-Spielereien verkneifen, die die Filme seit seinem Erstling zu einem sehr zwiespältigen Vergnügen gemacht haben und so rascheln in der ein oder anderen Dialogszene dann doch arg die Drehbuchseiten. Außerdem geriert sich West wieder als Genreexperte, wirkt aber wie ein zwischen überheblich und verklemmt pendelnder Dozent. Wie reizvoll wäre es doch gewesen, dem Pornofilm der 1970er-Jahre, den Golden Age of Porn, auf Augenhöhe zu begegnen (die Besonderheit war, dass es gut spielende Darsteller mit Broadway-Erfahrung und höchst talentierte Regisseure wie Radley Metzger gab). Aber nein, lieber werden wieder die üblichen Klischees abgefrühstückt, die eh alle beim Thema Sexfilm im Kopf haben. Bedauerlichweise wird zudem nur wenig aus den ungewöhnlichen Bösewichten, ein uraltes Ehepaar, gemacht, dass in dieser schematisch abgespulten Geschichte seltsam deplatziert wirkt.
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