6. April 2020 1 Likes

Streaming-Tipp: „Tales from the Loop“

Slow-Mo-Sci-Fi für Genießer

Lesezeit: 4 min.

Mal was anderes: „Tales from the Loop“ basiert weder auf einem Roman noch auf einer Spielzeugserie, sondern auf dem gleichnamige Artbook des schwedischen Künstlers Simon Stålenhag, der dort in prächtigen, an Edward Hopper erinnernde Bilder, träumerische Landschaftspanoramen zeigt, in denen futuristische Industrieanlagen– wie der so genannte Loop, die 1994 geschlossene „Anlage für Hochenergiephysikalische Forschung“ – stehen oder Roboter durch die Botanik stampfen. Den inhaltlichen Rahmen bilden in kleinen Text-Vignetten erzählte Jugenderinnerungen, Erinnerungen an eine Jugend, die es so natürlich nie gab.

Eine höchst ungewöhnliche Vorlage also und es ist dementsprechend wenig verwunderlich, dass die Serien-Adaption dementsprechend neben der Spur läuft.

Die üblichen bereits weit im Vorfeld getätigten zwanghaften Kategorisierungsversuche laufen allesamt ins Leere. Ja, „Tales from the Loop“ ist ebenfalls in den 1980er-Jahren angesiedelt, hat aber nichts von der knalligen Retro-Ästhetik des Superhits „Stranger Things“, die 80er-Jahre sind hier optisch unauffällig, eher farblos, vermutlich so, wie sie tatsächlich waren. Es finden sich auch keine Popkultur-Referenzen und die Serie ist ebenso wenig auf schnelle, kurzweilige Unterhaltung geeicht und nein, trotz abgeschlossener Folgen gibt’s keine Ähnlichkeiten zu „Black Mirror“, nirgendwo Horror-Elemente, das Geschehen ist null zynisch, ganz im Gegenteil.

Vielmehr handelt es sich bei diesem Achtteiler um ein Resultat von erstaunlicher, nahezu völliger Zwangbefreitheit: Es gibt keine große Geheimnisse, die unbedingt gelüftet werden müssen, keine Twists, keine Identitätspolitik oder sonstige Botschaften, die uns alle zu besseren Menschen machen und – was gerade bei einer Science-Fiction-Serie erstaunlich ist – es wird kein Budenzauber verkauft, Effekte werden nur eingesetzt, wenn wirklich benötigt und wirken dann völlig selbstverständlich integriert. Dass es in dieser Welt hünenhafte Roboter gibt, ist halt schlichtweg so. No big deal.

Den inhaltlichen Rahmen bietet eine Stadt überhalb der erwähnten Forschungseinrichtung, die entsprechende Auswirkungen auf die Stadt hat, in der Unmögliches möglich ist. Die Folgen sind zwar abgeschlossen, spielen aber alle in dieser Stadt, so können Einwohner, die in der einen Folge noch im Hintergrund stehen, in der Nächsten die Hauptrolle spielen.


Rebecca Hall in „Tales from the Loop“, Amazon Prime

Erzählt wird von einem kleinen Mädchen, das sich selbst begegnet, vom Tausch der Körper, vom Anhalten der Zeit, vom Wesen der Existenz, vom Verhältnis zwischen Technik und Mensch und weiterem. Der Punkt ist, „Tales from the Loop“ interessiert sich nur wenig für die übernatürliche Vorgänge – Erklärungen werden komplett ausgespart, wenn zum Beispiel die Zeit angehalten wird, geschieht das ganz unspektakulär mittels eines „on/off“-Schalters auf einer abgegriffenen Apparatur und das war’s dann schon –, sondern viel mehr für die Auswirkungen. Natürlich ist es erstmal aufregend, wenn man in einer Paralleldimension einer alternativen Version seines Ichs begegnet, aber was ist, wenn das alternative Ich mit dem Wunschtraum aller schlaflosen Nächte zusammen ist? Natürlich möchten schwer Verliebte am liebsten die Zeit anhalten, aber was ist, wenn das tatsächlich möglich wird? Und, so lustig Körpertausch-Geschichten meist sind, aber was ist, wenn der Tauchpartner nicht mehr zurück möchte, da nur im neuen Körper ein sozialer Aufstieg möglich ist?

Diesen und mehr Fragen wird in regelrecht meditativer Ruhe nachgegangen; Dramaturgie ist fast schon ein wenig zu hoch gegriffen, die Serie gleitet regelrecht durch die Episoden, es wird sich viel Zeit genommen, für Figuren, für Momente – Glühwürmchen werden beim umherfliegen beobachtet, das Knistern einer frisch erblühten Liebe spürbar gemacht. Natürlich, auf diesen ganzen speziellen Rhythmus muss man sich einlassen (was durchaus eine Herausforderung ist, an der zum Beispiel der britische Kollege vom Guardian gescheitert ist), wer es aber schafft das Smartphone zumindest mal für eine Stunde stecken und das Dargebotene schlicht und einfach auf sich wirken zu lassen, wird schnell feststellen, dass „Tales from the Loop“ eine ungemeine Sogwirkung entfaltet, dass gerade die jeder Flüchtigkeit so entgegenwirkende Gestaltung nicht nur die Figuren, sondern diese ganze sonderbare Welt zum echten, pulsierenden Leben erweckt, welches nur von Paul-Leonard Morgans Soundtrack mit zunehmender Laufzeit wieder etwas abgetötet wird. Es ist wirklich schade, dass dem Briten, der zum Beispiel mit „Dredd“ (2012) bewiesen hat, dass er ein origineller und für Science-Fiction-Stoffe geeigneter Komponist ist, hier die meiste Zeit nicht mehr als Klavier-und-Streicher-Standard einfällt.

Dennoch: Ein großer Wurf und vielleicht sogar ein zukünftiger Science-Fiction-Klassiker. Wir werden sehen.

„Tales from the Loop“ ist seit dem 03.04.2020 auf Amazon Prime abrufbar.

Tales from the Loop (USA 2020) • Showrunner: Nathaniel Halpern • Darsteller: Daniel Zolghadri, Rebecca Hall, Paul Schneider, Duncan Joiner, Ato Essandoh, Nicole Law, Jonathan Pryce

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.