18. August 2016 4 Likes

Digitale Klone und Donald Trump

Im Gespräch mit „Unsterblich“-Autor Jens Lubbadeh

Lesezeit: 9 min.

Jens Lubbadeh studierte Biologie und arbeitet heute als freier Journalist in Hamburg. Seine Texte wurden in „Technology Review“, „GEO International“, „Zeit Wissen“, „Gehirn & Geist“, der „Süddeutschen Zeitung“, dem „Greenpeace Magazin“ und dem „Spiegel“ sowie auf „SpiegelOnline“ veröffentlicht. 2013 wurde er für seine Technology-Review-Story „Die Masse macht’s“ mit dem Herbert Quandt Medien-Preis für Wirtschaftsjournalismus ausgezeichnet. Im selben Jahr kam das Buch „Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?“ heraus, eine Sammlung seiner SPON-Kolumne mit Frederik Jötten. Unter dem Titel „Unsterblich“ (im Shop) ist gerade Jens Lubbadehs Science-Fiction-Romandebüt bei Heyne erscheinen. Hinter einem der am schönsten aufgemachten SF-Bücher des Jahres verbirgt sich ein Cyberpunk-Krimi über die Blended Reality des Jahres 2044, wo die reale und die virtuelle Welt so weit verschmolzen sind, dass digitale Klone von Menschen eine Art Unsterblichkeit möglich machen. Dass eines Tages die virtuelle Simulation von Marlene Dietrich verschwindet, ist dann nur der Anfang einer heftigen Erschütterung dieser Zukunft. Den amerikanischen Ewigen-Experten Ben Kari führt der Fall der verlorenen Diva bis nach Hamburg und Berlin. Im Interview spricht Jens Lubbadeh über Pokémon Go, William Gibson, den Unterschied zwischen den Technik-Standorten USA und Deutschland, die Berechenbarkeit unseres Alltags und die nukleare Gefährdung durch Donald Trump.

Hallo Jens. Hätte es einen bessern Erscheinungstermin für deinen Roman über die Zukunft einer flächendeckenden Blended Reality geben können, als kurz vor dem Release von „Pokémon Go“, das in aller Munde ist derzeit?

Ha ha, stimmt. Der Gedanke kam mir auch schon.

Ist das Konzept des Spiels durch seine massentaugliche Grenzerweiterung an der Schnittstelle von realer und virtueller Welt zukunftsweisender, als der Hype erahnen lässt?

Ja. Ich glaube, Augmented Reality wird viel größer werden als Virtual Reality.

Was war bei dir eigentlich zuerst da: Die Faszination Science, oder die Faszination Science-Fiction?

Die Faszination Science-Fiction. Ich habe als Jugendlicher sehr viel Sci-Fi gelesen und gesehen. Sie hat wahrscheinlich dann die Neugier auf Wissenschaft und Technik geweckt.

Erzählst du uns etwas über deine persönlichen SF-Vorlieben? Du nutzt ja z. B. „Blade Runner“ in „Unsterblich“ mehrfach als Bezugspunkt und hast den Namen Gibson vermutlich nicht zufällig für eine Figur verwendet …

Die Wahl des Namens Gibson für einen der Charaktere in „Unsterblich“ ist unterbewusst passiert, der Bezug zu William Gibson war mir tatsächlich nicht klar. Aber es stimmt, ich verehre William Gibson. „Neuromancer“ (im Shop) ist einer der prophetischsten Science-Fiction-Romane, die ich kenne. Auch „Idoru“ hat mich sehr beeindruckt. William Gibson hat außerdem eine ganz starke Erzählerstimme (mit der ich anfangs aber auch meine Schwierigkeiten hatte). Mit Philip K. Dicks (im Shop) Kurzgeschichten bin ich sehr früh in Berührung gekommen, ohne zu wissen, dass sie von einem seinerzeit verkannten Meister der Science-Fiction stammen (ich habe mich als Kind wahllos durch die Sci-Fi-Abteilung meiner Stadtbibliothek gelesen). An Dick beeindruckt mich vor allem die Kraft seiner Ideen, die als Filme besser funktionieren als geschrieben. Robert Silverberg (im Shop) habe ich auch viel gelesen, bei ihm fand ich die psychologische Dimension beeindruckend. An diesen Vorlieben kann man schon erkennen, dass ich vor allem Science-Fiction mag, die sich nicht nur mit der Veränderung der Technik beschäftigt, sondern vor allem mit der Frage, was das mit dem Menschen und der Gesellschaft tut. „Blade Runner“ ist dafür ein Paradebeispiel.

Wie schwer fiel es dir, bei der Arbeit am Roman den Journalisten herauszuhalten? Oder hat der Journalist viel mehr beim Schreiben geholfen?

Ich habe von der journalistischen Recherche zu den Möglichkeiten von Virtual und Augmented Reality und Big Data profitiert. Und natürlich habe ich mittlerweile jahrelange Erfahrung mit Texten und eine Professionalität im Umgang mit Sprache entwickelt. Aber das journalistische Arbeiten läuft anders ab als das fiktionale Schreiben: Man recherchiert, spricht mit Fachleuten, hat seine Fakten, auf denen man dann den Text aufbaut. Beim fiktionalen Schreiben stehen Charaktere, die Welt und die Geschichte im Vordergrund, nicht die Information. Man muss sich alles ausdenken, sehr viele Entscheidungen treffen, und dauernd das immer komplizierter werdende Gefüge aus Figuren und Plot beachten. Das erfordert viel mehr Konzentration und Zeit – und übrigens auch Mut – als ich das vom journalistischen Arbeiten her kannte. Ich dachte ja anfangs, ich könnte mein journalistisches Schreibtempo eins zu eins aufs fiktionale Schreiben übertragen, wurde aber schnell eines Besseren belehrt. Umgekehrt hat meine journalistische Arbeit vom fiktionalen Schreiben profitiert. Nicht, weil ich mir jetzt meine Artikel ausdenke. Sondern weil ich ein besseres Gespür für Geschichten, Spannung und Dramaturgie des Textes habe und mehr Mut zu meiner eigenen Erzählerstimme habe. Storytelling ist ja momentan im Journalismus auch sehr angestrebt.


Fotos © Random House/Christina Körte

In „Unsterblich“ ist die USA wieder einmal das Zentrum der fortschrittlichen Quantensprünge. Wieso sind das in Realität und Fiction stets die Vereinigten Staaten, und selten Japan – und nie Deutschland?

Tja, die alte Debatte. Eigentlich entstehen in Deutschland ja sehr viele tolle Erfindungen, siehe MP3. Die Wertschöpfungskette ist hierzulande nur nicht besonders gut. Tolle Erfindungen bleiben entweder ganz im akademischen Raum kleben, wo es den Akteuren vielleicht an der spielerischen Vision, dem Mut oder den Möglichkeiten mangelt. Und wenn sie den Sprung in die Anwendung schaffen, sind es die Großkonzerne, die dort alles dominieren – dann wird alles im ernsten Ingenieurhaften oder Wirtschaftlichen zerrieben. Wir haben hier zu wenig dazwischen, sprich: flexible, kleine, mutige Startups mit großem Innovationspotenzial. Die Gründerszene könnte hier stärker sein. In Berlin ist da was entstanden, was so ein bisschen an Silicon Valley herankommt. Einen Grund, warum das hierzulande fehlt, sehe ich in der Angst vor dem Scheitern. Ich war mal auf der ‚Failcon’, einer Messe für gescheiterte Firmengründer (die Idee kommt natürlich nicht aus Deutschland, sondern den USA). Sinn der Messe: Gescheiterte Firmengründer sollen sich austauschen können. Als ich mit den Leuten dort gesprochen habe, sagten eigentlich alle, wie sehr es in Deutschland als Makel gilt, wenn man eine neugegründete Firma in den Sand gesetzt hat. In den USA hingegen ist es eine Auszeichnung, weil es zeigt, dass man eine Vision hatte und den Mut, sie umzusetzen. Jede gescheiterte Firma sind unbezahlbare Erfahrungen für die Zukunft. „Wieder scheitern. Besser scheitern“ – Samuel Beckett. Diesen Geist könnten wir hier dringend gebrauchen.

Sind der Tod und die Sterblichkeit die letzte große Grenze der Wissenschaft und der Menschheit, und sollten wir die wirklich weiter angehen?

Homo sapiens ist einfach nicht so gestrickt, dass er sich Grenzen setzen lässt. Unsterblichkeit scheitert aber wohl eher an uns selbst, weil sich unsterbliche Menschen früher oder später aus Langeweile entweder gegenseitig die Köpfe einschlagen oder aus Nervenkitzel verunfallen würden.

Siehst du die nächsten Sprünge des Fortschritts eher im digitalen und technologischen Bereich als im biologischen?

Das vermag ich nicht zu beurteilen. Im biologischen Bereich passiert gerade sehr viel. Mit Crispr ist eine Technologie am Entstehen, die Erbgutveränderungen sehr einfach und billig gemacht hat. Was das noch alles nach sich zieht, können wir momentan nur erahnen.

Ist „Unsterblich“ ein Kommentar dahingehend, dass die Menschen große digitale Errungenschaften darauf verschwenden, um sich ihre Vergangenheit zurückzuholen und nostalgisch erfahrbar zu machen?

Nein. Es ist eher ein Kommentar dahingehend, dass wir generell gerne auf das Bekannte setzen als auf das Neue.

Es gibt da diese eine auffallend zynische Stelle im Roman, in der die Lebensstrukturen der meisten Leute als völlig ausrechenbar beschrieben werden, der Alltag vieler als banal und generisch. Übertreibt da eine Romanfigur in ihrer Rolle, oder rüttelt uns der Autor, damit wir sehen, dass wir viel mehr aus unserem Leben machen müssten?

Da rüttele ich ein bisschen. Ich hoffe, nicht zu sehr, ist ja so eine Sache mit dem Rütteln. Zum einen, weil es derzeit schon passiert, dass unser Leben berechnet wird: Mit Big Data wird Precrime betrieben, Börsenkurse und Epidemien vorausgesagt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis das auf die individuelle Ebene heruntergebrochen wird. Andererseits finde ich es oft traurig zu sehen, wie roboterartig viele Menschen ihr Leben und ihre begrenzte kostbare Zeit auf diesem Planeten verbringen – ich bin davon auch nicht frei. Es geht so schnell, dass unser durchreglementierter Alltag, unsere starren Arbeits- und Konsumstrukturen uns die Aufmerksamkeit für den Augenblick, die Schönheit dieser Welt verlieren lassen. Man ist ja geneigt zu glauben, dass Kinder eine kleine Welt haben, die im Laufe des Lebens immer größer wird. Intellektuell mag das sein, emotional verhält es sich genau umgekehrt. Der Blick verengt sich mit dem Erwachsenwerden, unser Universum schrumpft sukzessive von Galaxiengröße auf unseren Job, unser Haus, unser Auto zusammen. Es gibt ja die berühmte Frage, was man tun würde, wenn man wüsste, dass man nur noch einen begrenzten Zeitraum zu leben hätte. Eine Menge Menschen würde dann sofort ihr gesamtes Leben umstellen. Nur vergessen sie: Wir haben alle vom Tag unserer Geburt an einen begrenzten Zeitraum zu leben. Wir sollten ihn nicht mit Dingen vergeuden, die uns nicht glücklich machen.


Marlene Dietrich. Foto via Wikipedia

In „Unsterblich“ haben die Menschen akzeptiert, dass Anonymität Illusion ist und das ganze Leben getrackt und gespeichert wird. Ist das deine persönliche Wertung und Prognose ausgehend vom sorglosen Umgang mit Facebook und Co. heute?

Ja. Mich hat erstaunt, wie wenig Empörung nach den Enthüllungen Edward Snowdens zutage trat. Es scheint, als hätte man sich damit abgefunden. Das ist bedrückend.

Was für eine Reaktion hättest du dir gewünscht?

Ich hatte mit weltweiten Massendemonstrationen gerechnet. Und ich war auch maßlos enttäuscht von der Hacker-Community. Das muss man sich mal klarmachen: Hier wurden alle Verschwörungstheorien, die Hacker seit je her umtreiben und motivieren, von der Realität bei weitem übertroffen. Und was passiert? Sie hacken lieber Sony Pictures und die Smartphones von Scarlett Johannson und Jennifer Lawrence als die Rechner der NSA.

Die gedruckte Ausgabe deines Romandebüts nimmt man gerne in die Hand: Paperback mit Klappenbroschur, goldener Schmuckfarbe, Prägung und einem super stylischen Cover. Da drängt sich die Frage auf: Bist du schon auf E-Books umgestiegen?

Ich habe einige E-Books und lese auch zuweilen auf einem Tablet. Berufliche Dinge oder Sachbücher lese ich darauf vorwiegend, weil es einfach praktischer ist. Aber bei Büchern, zu denen ich ein emotionaleres Verhältnis habe, mag ich es klassisch. Vor allem bei einem so schönen Buch wie „Unsterblich“.

Ist Marlene Dietrich die Prominente und Persönlichkeit der Zeitgeschichte, die du am liebsten im Hier und Jetzt sehen würdest, oder war das schlicht eine Plot-Entscheidung? Wenn ja, wer steht auf deiner Liste für eine digitale Simulation als Ewiger ganz oben?

Ich habe ein Faible für alte Hollywood-Diven, was das angeht ist die Hauptfigur Benjamin Kari ganz mein Alter Ego. Marlene Dietrich war ein faszinierender Mensch mit einer interessanten und schwierigen Geschichte, sie war – zusammen mit Greta Garbo – der Prototyp der Hollywood-Diva, sie verbindet Deutschland und die USA und sie besaß eine Schönheit, in der man sich verlieren kann. Also ja, sie wäre schon eine gute Wahl für eine Simulation. Übrigens arbeiten Wissenschaftler ja tatsächlich schon daran, Verstorbene digital zu klonen. Die denken dabei vor allem an Größen wie Albert Einstein oder Gandhi. Wäre vielleicht nicht so schlecht, einen Gandhi ab und zu um Rat fragen zu können in heutigen Zeiten. Andererseits: Die Welt und ihre Herausforderungen verändern sich – könnten Gandhi und Co. uns mit dem Wissen und den Erfahrungen ihrer Zeit da wirklich weiterhelfen?

Im Roman regiert der virtuelle Klon von John F. Kennedy die USA. Heißt das im Klartext: Lieber ein digitale Simulation von JFK, als den echten Donald Trump?

Da muss ich nicht lange zögern: Ja, ich hätte tausendmal lieber einen berechenbaren digitalen JFK als einen erratischen analogen Donald Trump. Ich möchte nicht, dass die Realität zur Dystopie wird. JFK hat in der Kuba-Krise die Welt schon einmal fast an den Rand eines Atomkriegs gebracht. Es ging gut aus, weil er sich der Tragweite seiner Entscheidungen bewusst war. Bei Trump bezweifle ich das. Ich fürchte, wenn er tatsächlich Präsident werden sollte, dann müssen wir uns wieder mit dem Szenario eines Atomkriegs auseinander setzen.

Düstere Vorstellung. Planst du trotzdem schon deinen nächsten SF-Roman?

Ich arbeite schon dran. Soviel sei verraten: Es geht wieder um die Frage, was den Menschen ausmacht. Und was wir von einer alternativen Menschenversion lernen können, die es einmal gegeben hat.  

Jens Lubbadeh: Unsterblich • Roman • Originalausgabe • Heyne Verlag, München 2016 • 448 Seiten • E-Book: € 11,99 (im Shop)

 

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