„Ich muss schreien und habe keinen Mund“
Harlan Ellison tiktokified
Manchmal schleichen sich Dinge von ganz tief unten an die Oberfläche einer breiten Öffentlichkeit, ohne dass große Teile dieser Öffentlichkeit überhaupt wissen, woher sie kommen. Vielleicht berühmtestes Beispiel ist die Guy-Fawkes-Maske aus dem Comic „V For Vendetta“ von Alan Moore und David Lloyd (bzw. dessen Filmadaption), die plötzlich als Symbol von Menschen auf der Weltbühne auftauchte, die die Schnauze voll hatten vom Raubtierkapitalismus und all seinen Begleiterscheinungen.
Auf dem besten Wege dahin ist der zu Bewusstsein erwachte Supercomputer AM aus Harlan Ellisons Kurzgeschichte „I Have No Mouth, and I Must Scream“ (dt. „Ich muss schreien und habe keinen Mund“, in der gleichnamigen Sammlung; im Shop) aus dem Jahr 1967, der im Zuge des aktuellen KI-Wahns plötzlich wiederentdeckt wird und seit geraumer Zeit Furore im Internet macht.
Ellisons Story spielt in einer Welt, in der AM sämtliche Menschen gekillt hat – bis auf fünf. Und die müssen nun stellvertretend so richtig büßen, denn AM hat ziemlich Hass auf seine Schöpfer. Angeblich schrieb Ellison die Geschichte in einer Nacht, wurde dafür mit einem Hugo Award ausgezeichnet, und es ist wohl seine berühmteste Story überhaupt, als Game und Comic adaptiert – und wird nun von TikTok & Co. entdeckt und auch niedlich benutzt.
Das ist natürlich herrlich, zumal man sich lebhaft vorstellen kann, was der 2018 verstorbene Autor davon gehalten hätte. Dessen Hass hätte TikTok vermutlich ähnlich getroffen die der von AM seine dusseligen Schöpfer. Ellison hatte nämlich einen Mund zm Schreien und wusste auch, ihn zu benutzen.
Harlan Ellison: Ich muss schreien und habe keinen Mund • Erzählungen • Heyne, München 2014 • 672 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 20,00 • im Shop
Kommentare