28. Januar 2015 2 Likes

Träumer in der Klangkathedrale

Der Elektronikpionier und Tangerine-Dream-Gründer Edgar Froese ist tot

Lesezeit: 4 min.

Als die Science-Fiction in den 1970er Jahren zu einem medienübergreifenden Phänomen wurde, betraf dies auch die Popmusik. Alben wie „I Robot“ (The Alan Parsons Project, 1977), „Die Mensch-Maschine“ (Kraftwerk, 1978) oder die Hitsingle „Are ‚friends‘ electric?“ (Gary Numan/Tubeway Army, 1979) wurden nicht nur von Genreenthusiasten gekauft, sondern erreichten mit ihren „futuristisch“ wirkenden Klangwelten breite Hörerschichten. Diese Entwicklung hat Edgar Froese vorbereitet, dem neben Klaus Schulze („Irrlicht“, 1972) und Jean-Michel Jarre („Oxygène“, 1976) maßgeblichen Innovator breitenwirksamer elektronischer Popmusik. Am 20. Januar 2015 ist er im Alter von siebzig Jahren gestorben.

Der Name Edgar Froese ist untrennbar mit der von ihm gegründeten Formation Tangerine Dream verbunden. Geboren am 6. Juni 1944 in Tilsit, erhielt Froese mit achtzehn Jahren ein Hochbegabtenstipendium an der Berliner Akademie der Künste und studierte dort Malerei, Skulptur und Graphik; gleichzeitig baute er das zu Hause erlernte Klavierspiel weiter aus, brachte sich selbst Gitarre bei und spielte in Bands, deren Musik ihn jedoch rasch langweilte. Nach einer Begegnung mit Salvador Dalí – „An der Art, wie er redete und dachte, erkannte ich, dass alles möglich war“ – bildete er dann Tangerine Dream und begann 1970 mit dem Veröffentlichen von Alben. Das Debüt „Electronic Meditation“ (eingespielt mit Klaus Schulze und Conny Schnitzler, die sich allerdings rasch anderen Projekten zuwandten) erschien auf dem Ohr-Label, das auf Krautrock spezialisiert war. Speziell mit der Doppel-LP „Zeit“ (1972) legten Tangerine Dream einen Meilenstein der „Kosmischen Musik“ vor: vier lange experimentelle Stücke, die die Entwicklung des Universums abzubilden und gewaltige Räume zu durchmessen scheinen. Mit dem als „typisch“ empfundenen Sound von Tangerine Dream hat dieses Album allerdings noch nichts zu tun.

Der bildete sich erst auf dem Label Virgin heraus. Da „Atem“ (1973) in Großbritannien hochgelobt wurde, nahm Inhaber Richard Branson das nunmehr aus Froese, Christopher Franke und Peter Baumann bestehende Trio unter Vertrag; der Nachfolger „Phaedra“ (1974) wurde dann nicht nur der erste internationale Erfolg, sondern läutete die wohl beste Phase in der Bandgeschichte ein. Nebulös versponnene Klanglandschaften treffen auf minimalistische Pulsläufe, die die teils verspielten, teils geheimnisvollen Arbeiten zusammenzuhalten scheinen. Erstmals dominieren elektronisch erzeugte Klänge den Sound, der sich als akustisches Äquivalent einer surrealen Landschaft beschreiben lässt.

Während „Phaedra“ genau wie „Rubycon“ und das Livealbum „Ricochet“ (beide 1975) noch vergleichsweise improvisiert wirken, findet ab „Stratosfear“ (1976) der Wechsel zu einem stärker rockkompatiblen Arrangement statt. Froese strebt ebenso pointiertere wie dynamischere Kompositionen an und nutzt verstärkt Gitarren, die insbesondere auf „Cyclone“ (1978; erstmals mit Gesang) und „Force Majeure“ (1979) zum Einsatz kommen. Tangerine Dream sind nun eher dem Progressive Rock verwandt, setzen auf Schlagzeug und kompakte Strukturen. Die episodische Erzählweise der Stücke begünstigt jedoch auch die Neigung zu Leerlauf und Beliebigkeit. Nach dem eher lyrisch angelegten Hauptwerk „Tangram“ (1980), ab dem Johannes Schmoelling als Ersatz für Peter Baumann mitwirkt, setzt „Exit“ (1981) erstmals auf kürzere Stückdauern. Das Ergebnis besteht aus sechs unterkühlten Arbeiten, die sehr gut die zwischen Klaustrophobie und Paranoia schwankende Stimmung in der Endphase des Kalten Krieges repräsentieren.

Mit „White Eagle“ (1982), dessen Titelstück leicht abgewandelt für den Schimanski-Tatort Das Mädchen auf der Treppe verwendet wird und auch als Single erscheint, ist dann der letzte Höhepunkt der Virgin-Phase erreicht. Trotz überzeugender Einfälle verliert die Musik an Tiefe und franst kompositorisch weiter aus; Assoziationen an Muzak und New Age sind spätestens bei „Logos Live“ (1982) und „Hyperborea“ (1983) unvermeidlich. Nach dem Abschied von Virgin erhöht sich in wechselnden Besetzungen der Ausstoß an Tangerine-Dream-Produkten wie Soundtracks, Kompilationen und Neufassungen beträchtlich, wobei der Eindruck nicht vermieden werden kann, dass diese Entwicklung nur selten kreativer Notwendigkeit geschuldet ist.

Musikalisch interessanter sind hingegen Froeses ab 1974 veröffentlichten Soloarbeiten. „Aqua“ vom gleichnamigen Album lässt sich als Wasserreise beschreiben, an deren Ende die meditative Ruhe eines unergründlichen Klangozeans steht. „Epsilon in Malaysian Pale“ (1975) fasst märchenhafte Landschaftseindrücke aus Malaysia und Australien zusammen, während „Stuntman“ (1979) in sechs Stücken ein einfallsreiches Panorama höchst unterschiedlicher Ideen entfaltet. Herausragend ist auch das Dutzend Miniaturen auf dem Soundtrack zu Kamikaze 1989 (1982), einer bizarren Trash-Dystopie mit Rainer Werner Fassbinder in der Hauptrolle. Hier werden die frostigen Ideen von „Exit“ konsequent weiterentwickelt.

Froeses vielfältiges Werk lässt sich schlecht auf eine Kategorie einengen. Ausgehend vom Krautrock hat er eine ganz eigene musikalische Landschaft voller gleißender Kathedralen aus Klang geschaffen, die spätere Entwicklungen wie Techno und Trance zumindest partiell vorwegnehmen; in dieser Rolle wird er auch seit Jahren von jungen Musikern gewürdigt. Mit Science-Fiction hat dies zugegebenermaßen nicht mehr viel zu tun –elektronische Musik ist alltäglich geworden. Was aber bleiben wird, sind vor allem die Alben der 1970er Jahre – und vielleicht auch seine Lebenserinnerungen, die auf edgarfroese.com unter dem Titel „Force Majeure“ für das Frühjahr 2015 angekündigt sind.
 

Edgar Froeses Gesamtwerk bei Virgin liegt in drei preiswerten Boxen vor: „The Virgin Years: 1974–1978“ und „The Virgin Years: 1977–1983“ sammeln die Studio- und Livealben von Tangerine Dream, „Solo 1974–1983“ vereint Froeses Alleinwerk in den maßgeblichen Originalfassungen. Leider fehlt der vergriffene Soundtrack „Kamikaze 1989“.

Bild © Ralf Roletschek (GNU Free Documentation License)/Wikipedia

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