20. März 2017 1 Likes

Es ist vollbracht!

Ann Leckies Imperial-Radch-Trilogie bekommt mit „Das Imperium“ das Grande Finale, das sie verdient hat

Lesezeit: 4 min.

Die Maschinen (im Shop) waren 2014 der Überraschungserfolg schlechthin aus den USA, und Ann Leckie durfte mit ihrem Debüt jeden Award einstreichen, den die SF zu bieten hat. Kürzlich ist Teil drei der großen Saga um das galaktische Imperium der Radchaai, Das Imperium (im Shop), erschienen – für mich (und Sie!) die letzte Gelegenheit, in ein einzigartiges Universum einzutauchen.

Ann Leckies Trilogie spielt in der fernen Zukunft, in der das Imperium der Radchaai seit tausenden von Jahren weite Teile der Galaxis kontrolliert. Es annektiert immer mehr Planeten, indem es gewaltige Schiffe zu ihnen schickt. Diese Schiffe werden von KIs kontrolliert, die wiederum die Kontrolle über die sogenannten Hilfseinheiten haben – Menschen von den okkupierten Planeten, die durch Implantate ans Schiff angeschlossen werden, wodurch sie zugleich ihrer Persönlichkeit beraubt werden. Auch Breq war einst so eine Hilfseinheit, doch nach der Zerstörung ihres Schiffes, der Gerechtigkeit der Torren, ist sie zugleich auch die Schiffs-KI. Klingt kompliziert? Soll es auch sein, denn in den drei Imperial-Radch-Romanen geht es nicht nur um galaktische Imperien und Intrigen, sondern auch um Selbst-Bewusstsein, um die eigene Identität und wie wir sie konstruieren und regulieren, und wie sich unser Verhältnis zu uns selbst im Laufe der Zeit verändert.

Im ersten Band steht das Imperium der Radchaai an einem Wendepunkt: durch einen Friedensvertrag mit einer ähnlich starken Macht muss das Imperium die Annexion weiterer Planeten aufgeben. Imperatorin Anaander Minaai, die seit über 3 000 Jahren regiert, indem sie Klone ihrer selbst züchtet, die telepathisch miteinander in Verbindung stehen, ist auch beim letzten Anschluss eines Planeten ans Imperium dabei, ebenso wie die Gerechtigkeit der Torren und damit Breq. Doch die Gerechtigkeit der Torren wird zerstört, und Breq macht sich auf, um so viele Minaais wie möglich zu töten. Doch – Achtung, ab hier wird gespoilert! – auf ihrem Rachefeldzug stellt Breq fest, dass die Imperatorin verrückt geworden ist. Ihre Persönlichkeit hat sich aufgespalten: ein Teil will die Expansion weiter vorantreiben, ein anderer strebt Reformen an. Die beiden Persönlichkeiten führen seit Jahrhunderten einen geheimen Krieg gegeneinander, in den Breq in Die Mission (im Shop) widerwillig hineingezogen wird.

Breq ist die Personifikation all dieser Ereignisse, an denen sie beteiligt war und ist: sie ist zugleich Opfer, Instrument und Produkt der Expansionspolitik des Imperiums. Doch sie ist keine Radchaai und deswegen in der Lage, uns einen Blick von außen auf das Ende der Expansionspolitik zu gewähren. Wenn die Radchaai einen Planeten annektieren, machen sie dessen Bewohner, die nicht getötet oder zu Hilfseinheiten werden, zu Radchaai, wodurch ethnische Unterschiede bedeutungslos werden (zumindest auf dem Papier), und integriert die lokalen Religionen. Das Wort „Radchaai“ bedeutet „Bürger“, oder vielmehr „Bürgerin“, denn das weibliche Pronomen „sie“ ist mangels einer genderlosen Alternative Standard. (Die Radchaai unterscheiden nicht zwischen den Geschlechtern, und wann immer Breq es mit Völkern zu tun bekommt, die solche Unterscheidungen treffen, liegt sie mehr als einmal bei der Einsortierung ihrer Gesprächspartner in diese Schubladen falsch, sodass wir bis zum Ende nicht immer wissen, welches Geschlecht Breqs Gegenüber denn nun hat. Statt ein neues Pronomen zu erfinden, nutzt Leckie einfach durchgehend die weibliche Form, um uns vor Augen zu halten, dass in den meisten irdischen Sprachen das männliche Pronomen die Standardform ist. Allein damit hat sie meiner Meinung nach jeden Award verdient, den sie gewonnen hat!) Diese Schein-Einheitlichkeit maskiert jedoch eine sehr viel kompliziertere Realität: Jede Bürgerin hat das Recht auf Nahrung, ein Dach über dem Kopf und medizinische Versorgung, doch die Macht liegt bei den alteingesessenen Familien, die die neuen Bürger oft ausbeuten.

Was passiert also, wenn ein Volk, das seine Aufgabe darin sieht, der Galaxis Ordnung und Zivilisation zu bringen, plötzlich niemanden mehr hat, dem es das bringen könnte – und das nach und nach die ökonomischen Auswirkungen der eingestellten Expansionspolitik zu spüren bekommt? Und wie können die Radchaai ihre Grundwerte von „Gerechtigkeit, Anstand und Wohlstand“ damit vereinen, dass sie Menschen zu Hilfseinheiten versklaven und ausbeuten? Als Breq Anaander Minaai mit diesen Fragen konfrontiert, antwortet diese, dass das Imperium wahrscheinlich zerfallen wird, denn die Aufgabe der bisherigen Politik bedeutet auch, dass die Bürgerinnen ihren Lebenswandel von Grund auf ändern müssen. Diese Änderungen schildert Ann Leckie in Die Mission und Das Imperium, die eine Art Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Inkarnationen einer Person zeigen.

Die Imperial-Radch-Trilogie zeigt uns jedoch nicht nur die Ereignisse auf der großen Bühne, sondern auch die kleinen, individuellen, alles natürlich durch die Augen und Ohren Breqs vermittelt. Sie kämpft mit der Trauer um den Verlust ihrer Mannschaft und ringt um ihre Identität als Nicht-Schiff, Nicht-Hilfseinheit, Nicht-KI. Leckie zeigt hier, wie wichtig es für uns Menschen ist, zumindest zu glauben, dass wir ein gewisses Maß an Kontrolle über unsere eigene Identität und darüber, wie andere uns wahrnehmen, haben (weswegen Leckies Kritiker ihr vielleicht auch vorwerfen, sie und andere mit einer ähnlich liberalen Einstellung würden die Science-Fiction kaputtmachen – höre ich da einen gewaltigen Schuss Unsicherheit heraus, was ein SF-Autor zu sein hat?). Breq kämpft für Veränderungen, an die sie glaubt, und sie gibt auch dann nicht auf, wenn die Situation hoffnungslos erscheint. Am Ende hat Breq nicht nur das Universum verändert, sondern auch sich selbst. Zu beurteilen, welche diese Veränderungen nun die wichtigere ist, überlasse ich Ihnen.

Ann Leckie: Das Imperium. Imperial Radch, Band 3 • Roman • Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen • Wilhelm Heyne Verlag, München 2017 • Paperback • 448 Seiten • € 14,99 • im Shop • die ersten beiden Bände der Imperial-Radch-Trilogie sowie eine kostenlose Kurzgeschichte aus dem Radchaai-Universum finden Sie ebenfalls in unserem Shop

 

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