Cocktail-Kultur auf dem Mond
Warum es so viel Spaß macht, eine Welt zu bauen
Ich mag Details. Kleinigkeiten sagen mir alles über Menschen, ihre Gesellschaft, ihre Hoffnungen und Ängste, den Himmel über ihren Köpfen und die Steine unter ihren Füßen.
Als ich mit der Arbeit an „Luna“ begann, wusste ich, dass ich von Grund auf eine neue Welt erschaffen musste, die den Zwängen der physischen Realität auf dem Mond folgt. Der Mond mag zwar einmal Robert A. Heinleins herbe Geliebte gewesen sein, doch seither haben wir viel über Lady Luna gelernt, und sie ist inzwischen kleiner und gemeiner geworden. Viel gemeiner. Ich wollte, dass diese Wirklichkeit die Welt und das Leben meiner Figuren bestimmt - von der geringen Schwerkraft bis hin zum Mondstaub (der tatsächlich ziemlich fies ist). Man könnte hier wohl von „Hard Science-Fiction“ sprechen, auch wenn ich diesen Ausdruck nicht mag. Doch harte Fakten prägen nun mal das Leben, die Liebe, die Eifersucht und den Ehrgeiz aller 1,7 Millionen Bewohner meines Mondes.
Und da kommt der Martini ins Spiel. Alkohol, Sex und Drogen. Das sind Grundbefindlichkeiten der Menschheit. Wer sie zu fassen kriegt, der hat den Schlüssel zu einer Welt. Was trinkt man auf dem Mond? Für mich war das eine wichtige Frage, deren Antwort mir einen Blick auf alle Aspekte meines fiktiven Universums eröffnete.
Wein? Es wäre kriminell, einen hohen Prozentsatz an seltenem Kohlenstoff und Wasser für die Kultivierung einer Pflanze zu verwenden, die keinen anderen Zweck hat als die Herstellung eines alkoholischen Getränks.
Bier? Noch schlimmer. Gerste, Weizen und Reis sind als Feldfrüchte denkbar ineffizient und nur möglich, weil die Oberfläche unseres Planeten so viel Platz bietet. Auf dem Mond ist der Platz für Landwirtschaft äußerst begrenzt. Außerdem würde man die Pflanzen bei einem Anbau an der Oberfläche der Strahlung aussetzen und ständige Mutationen (auch der Schädlinge) riskieren. Also kein Bier und wenig Getreide. Reis, Weizen, Mehl sind Genussmittel.
Und Spirituosen? Ja! Sie lassen sich aus allem herstellen. Wodka und Gin! Mit dem Schnaps tat sich für mich eine ganze Welt auf. Mein Mond pflegt eine Cocktail-Kultur! Die Untergrundstädte haben drei verschiedene Zeitzonen, also ist immer irgendwo Happy Hour. Die Familie Corta hat ihren eigenen unverkennbaren Cocktail: den Blue Moon. (Ich habe ihn probiert, ihr Lieben. Wenn ich ein Buch schreibe, tauche ich wie ein Schauspieler tief in das Bewusstsein meiner Figuren ein. Ich habe mich zu einem echten Fachmann respektive Fachidioten für Gin gemausert. Mein Favorit? Der leichte, aromatische Monkey 47 aus dem Schwarzwald. Für meine Leser tue ich alles.)
Daher auch Dior. Denn wenn man sich ein Martini-Glas vorstellt, dann in den behandschuhten Fingern von Audrey Hepburn. Und damit hatte ich alles beisammen. Ich wollte keinen Mond mit Leuten in Overall, Shorts und Unterhemden – schließlich beherrschen die Menschen dort die Kunst des 3-D-Druckens. Und wenn man Kleider drucken kann, warum nicht im Stil einer der elegantesten Epochen der Modegeschichte? Die 1950er. Dior und Balenciaga, Balmain und Jacques Fath.
So baue ich meine Welt auf. Mit Cocktails und Cocktail-Kleidern. Der perfekte Martini? Natürlich mit Gin. Ein guter London Gin, nichts zu Ausgefallenes. Glas kühlen, großzügig einschenken. Zehnmal umrühren (nicht schütteln!) und in homöopathischen Dosen Martini Bianco zugeben. Eine Olive auf einem Spieß. Chin chin!
Ian McDonald ist einer der profiliertesten Science-Fiction-Autoren der Gegenwart. Seine Romane wurden mehrfach preisgekrönt. Bei Heyne sind zuletzt „Luna“ (im Shop) und der Nachfolgeband „Luna – Wolfsmond“ (im Shop) erschienen.
Kommentare