5. September 2017 1 Likes

40 Jahre Marathon im All

Am 5. September 1977 startete Voyager 1 zu einer Reise durch das Sonnensystem und darüber hinaus

Lesezeit: 9 min.

Für die meisten von uns ist heute einfach nur Dienstag. Für die Mitglieder der einzigen interstellaren Mission der Menschheit ist heute Einsatztag 14.610. Der Dienstplan sieht eine Feier vor, denn heute ist das 40-jährige Startjubiläum ihrer Sonde Voyager 2. Sie hat inzwischen unser Sonnensystem verlassen und ist das einzige von Menschenhand gemachte Objekt im Raum zwischen den Sternen. Sie sendet, wie auch ihre Schwestersonde Voyager 2, immer noch jeden Tag Daten zur Erde. Sie ist über 20.882.000.000 Kilometer von der Erde entfernt. Es dauert 19 Stunden und 20 Minuten, bis die Glückwünsche, die die NASA an sie losgeschickt hat, Voyager 1 erreichen.

Dass die beiden Voyager-Sonden noch funktionieren, 35 Jahre nach ihrer garantierten Dienstzeit, ist eines der Wunder unserer Zeit. Sie wurden mit dem Know-how der 70er gebaut und werden mit Codes gesteuert, der in Computerjahren gerechnet aus der Steinzeit stammt. Sie senden mit der Leistung eines Kühlschranklämpchens. Sie haben einen Arbeitsspeicher von 64 Kilobyte – kein modernes Smartphone würde damit funktionieren. Ihnen geht langsam der Saft aus, und alle paar Millionen Kilometer spinnt eines der Instrumente, aber abgesehen davon sind sie bemerkenswert gut in Schuss für eine Umgebung, in der -253° C herrschen. Da draußen, wo Voyager 1 jetzt ist, pfeift einem nur noch der Wind längst verloschener Sterne um die Ohren. Etwas komfortabler haben es da die wenigen NASA-Mitarbeiter, die sich noch um die Sonde kümmern. 1977 umfasste das Team 5.400 Mitglieder, alle verewigt auf Plaketten im Inneren der Sonden. Diese Namen werden zusammen mit den berühmten Goldenen Schallplatten ins All getragen und sind eines Tages vielleicht alles, was von uns übrig bleiben wird.

Dabei schien es beim Start von Voyager 1 so, als wäre die Mission vorbei, noch ehe sie begonnen hatte. Schon der Start ihrer Schwestersonde zwei Wochen zuvor war nicht problemfrei verlaufen, dafür sorgten die temperamentvollen Titan-IIIE-Centaur-Raketen. Bei Voyager 1 war eine Treibstoffleitung in der zweiten Stufe undicht. Es war nicht klar, ob die Sonde es in den Erdorbit schaffen würde, und ob sie noch genug Treibstoff hätte, um ausreichend schnell auf die Flugbahn zum Jupiter einzuschwenken. Die Centaur hatte zum Glück etwas mehr Treibstoff geladen als nötig aber es bestand die Gefahr, dass sie leer lief und noch im Erdorbit explodierte, wenn die Triebwerke auch nur eine Sekunde zu lang zündeten. Doch es gelang. Die Centaur hatte noch für drei Sekunden Treibstoff im Tank, als das Triebwerk abschaltete. Die Geschwindigkeit reichte aus. Voyager 1 war auf dem Weg zum Jupiter. Am Einsatztag 28 drehte sie ihre Kamera und schoss das erste Bild, auf dem Erde und Mond ganz zu sehen sind.

Am 15. Dezember 1977 holte Voyager 1 ihre Schwestersonde ein und kam knapp anderthalb Jahre später zuerst im Jupiter-System an. In nur 30 Tagen im März 1979 passierte sie den Gasriesen und seine Monde. Von Jupiter selbst, von dem man seit dem Vorbeiflug von Pioneer 10 1973wusste, dass er ein extrem starkes Magnetfeld hatte, hielt sich die Sonde wohlweislich fern. (Dabei ist es Jupiter, dem sie ihr langes Leben verdankt: alle Systeme an Bord sind darauf ausgelegt, seine mörderisches Magnetfeld zu überstehen.) An Jupiters Monde Io, Ganymed, Europa und Kallisto wagte Voyager 1 sich näher heran. Während der knapp 30 Stunden, die die Sonde brauchte, um die großen Monde zu passieren, schickte sie Zehntausende Bilder zur Erde – mit einer Übertragungsrate von gerade einmal 115,2 kbit/s. Die Bilder sind auch heute noch atemberaubend: durch Voyagers Augen sahen wir zum ersten Mal Jupiters schwach ausgeprägten Ring und die gewaltigen Blitze auf seiner Nachtseite. Wir entdeckten zwei neue Monde, Metis und Thebe, erste Hinweise auf einen Ozean auf Europa, und die ersten aktiven Vulkane auf einem anderen Himmelskörper, Io. Als Voyager 1 das Jupiter-System verlies und Kurs auf Saturn nahm, kam Voyager 2 gerade an und setzte die Beobachtungen am 25. April 1979 fort. So lange hatten wir den größten Planeten unseres Sonnensystems noch nie vor der Kamera. Jupiter veränderte alles, auch, wie wir uns selbst sahen. Die Wissenschaftler analysierten Daten von fremden Welten mit Augen, die in Jahrmillionen der Evolution an unseren irdischen Horizont angepasst worden waren. Um wirklich zu verstehen, was da draußen vor sich ging, mussten wir erneut sehen lernen.


Vulkane auf Io

Jupiter gab beiden Voyager-Sonden noch ein besonderes Geschenk mit: Geschwindigkeit. Der Gasriese beschleunigte sie auf die nötige Geschwindigkeit, um das Sonnensystem zu verlassen. Doch zunächst ging es weiter zum Saturn. Voyager 1 kam im November 1980 dort an, Voyager 2 im August 1981. Sie untersuchten die Ringe und fanden heraus, dass es sehr, sehr viel mehr gibt als ursprünglich gedacht; der innerste Ring beginnt bereits rund 7.000 Kilometer über dem Äquator. Das Ringsystem erwies sich auch als komplexer, als ursprünglich angenommen. Der F-Ring beispielsweise besteht aus zwei Ringen, die miteinander verflochten sind wie ein Zopf – etwas, von dem man stets gedacht hatte, das sei unmöglich. Und was es mit den mysteriösen „Speichen“ auf sich hat, die Voyager 2 in den Ringen entdeckte, wissen wir bis heute nicht mit Sicherheit. Durch Voyagers Kamera sahen wir zum ersten Mal die Oberfläche Rheas. Die Sonden entdeckten die Monde Prometheus, Pandora und Atlas. Titan erwies sich optisch als Enttäuschung, weil seine Atmosphäre so dicht ist, dass man die Oberfläche nicht sehen kann. Voyager fand heraus, dass es gerade diese dichte Atmosphäre ist, die den Teleskopen vorgegaukelt hatte, er sei der größte Mond im Sonnensystem – der Pokal ging schließlich an Ganymed.


Saturns unmöglicher F-Ring

Bis Saturn hatten die beiden Sonden durchhalten sollen, alles danach war ein Bonus. Einsatztag 1.030 markierte das Ende der Primärmission, und nun trennten sich auch die Wege der beiden Sonden: Voyager 1 drehte ab und flog „nach oben“ aus der Ebene der Ekliptik hinaus. Voyager 2 holte am Saturn Schwung für den Weg zum Neptun; sie sollte die „Grand Tour“ durchs Sonnensystem machen. Alle 176 Jahre stehen die äußeren Planeten in einer Konstellation, die es einer Sonde ermöglicht, alle der Reihe nach anzufliegen und sich mit einem sogenannten Gravity Assist von einem zum anderen zu „hangeln“, ohne dabei zu viel Treibstoff zu verbrauchen. Dieser Umstand hatte das Voyager-Projekt erst ermöglicht: nach dem „Space Race“ standen der NASA Budgetkürzungen ins Haus. Da kam eine spritsparende, aber prestigeträchtige Mission ins äußere Sonnensystem gerade recht. Statt der ursprünglich geplanten fünf Sonden bewilligte man zwei – sollte eine ausfallen, könnte die andere übernehmen. Trotz knapper Kassen taten die Ingenieure, was sie konnten, um einen Totalausfall zu verhindern: sie verstärkten hier eine Antenne, trugen da eine Isolationsschicht mehr auf. Jedes System an Bord gibt es doppelt; fällt ein Instrument aus, schaltet sich automatisch das Backup ein. Das Team war auf alles vorbereitet, selbst auf den Großen Galaktischen Ghoul, der angeblich zwischen den Sternen lauert und Raumsonden frisst (Kapitel 8 des „Voyager Neptune Travel Guide“). Dennoch war es ein Schock, als sich der Kameraarm von Voyager 2 kurz nach dem Verlassen des Saturn-Systems nicht mehr bewegen ließ. Statt der Vulkane auf Enceladus, die Voyager 1 entdeckt hatte und von denen man vermutet, dass sie den E-Ring speisen, schickte die Sonde nur Bilder vom schwarzen All. Bis Uranus hatte man das Problem allerdings im Griff. Vermutlich hatte sich ein Teil der Kunststoffisolierung in der Mechanik verklemmt, war dann aber dank der niedrigen Temperaturen so brüchig geworden, dass der Arm wieder freikam. Voyager 2 war wieder im Rennen.


Miranda

Acht Jahre später, im Januar 1986, erreichte Voyager 2 Uranus. Vor ihrer Ankunft wussten wir über den siebten Planeten unseres Sonnensystems nur, dass er hellblau ist, dünne Ringe hat und dass er auf der Seite liegt, sein Südpol ist der Sonne zugewandt. Voyager 2 entdeckte elf weitere Monde im System, ehe sie Uranus am 24. Januar 1986 passierte. Dabei übermittelte sie die meisten der bis heute bekannten Bilder und Daten über diesen Planeten, darunter, dass er ein Magnetfeld mit zwei Nord- und zwei Südpolen hat. Vier Tage später kam es zur größten Katastrophe in der bemannten Raumfahrt, als die Challenger explodierte. Um dieses Desaster irgendwie zu verarbeiten, konzentrierte man sich bei der NASA ganz auf Voyagers Erkundung des Uranus-Mondes Miranda, auf dem man statt Kratern über Krater Verwerfungen, Spalten und Brüche entdeckte – war Miranda geologisch aktiv? Bis heute weiß man nicht genau, wie der Mond sein ungewöhnliches Aussehen erhalten hat, vermutet aber, dass er dem Uranus zu nahe gekommen ist, sodass er beinahe auseinandergebrochen wäre.

Am 14. Februar 1987, Einsatztag 2.635, änderte Voyager 2 den Kurs. Neues Ziel: Neptun. Während der zweijährigen Flugzeit musste die NASA ihr Deep Space Network erweitern und größere Radioteleskope bauen, um die schwachen Signale der Sonden weiterhin empfangen zu können. 1989 erreichte Voyager 2 als erste und bisher einzige Sonde den äußersten Planeten unseres Sonnensystems. Es war ihr letztes Ziel, und einmal mehr schickte sie Unglaubliches zur Erde. Bei ihrem Vorbeiflug am 26. August 1989 in einer Entfernung von nur 4.828 Kilometern sah Voyager 2 Hurrikane, die mit mehr als 2.000 Km/h den Äquator entlangziehen – die schnellsten bis dahin gemessenen Windgeschwindigkeiten im Sonnensystem. Sie entdeckte Polarlichter, viel komplexer als die irdischen. Sie sah sich Triton an und stellte fest, dass er bemerkenswert aktive Geysire hatte, die flüssigen Stickstoff speien, der sich dann als weißer Schnee auf der braunen Oberfläche absetzt. Vermutlich stammt Triton aus dem Asteroidengürtel und wurde schon sehr früh in der Geschichte des Sonnensystems von Neptun eingefangen. Und er war nicht alleine: Voyager 2 entdeckte neun weitere Monde und vier Ringe.


Wolkenbänder auf Neptun

Nach Neptun war Schluss. Am Einsatztag 3.949, dem 14. Februar 1990, schlug Voyager 2 einen Kurs ein, der sie „nach unten“ aus der Ebene der Ekliptik heraustragen sollte. Beiden Sonden sind seitdem auf ihrer Interstellaren Mission, die offiziell am 1. Januar 1990 begann. Am Einsatztag 4.038 bekam Voyager 1 noch eine besondere Aufgabe: Sie drehte ihre Kameraarm um 180° und fotografierte aus sechs Milliarden Kilometern Entfernung ein letztes Mal ihre Heimat. Aus insgesamt 60 Aufnahmen setzten die Forscher das berühmte „Familienfoto“ unseres Sonnensystems zusammen, auf dem die Erde nur als blasser blauer Punkt zu erkennen ist. Danach wurden die Kameras an beiden Sonden endgültig abgeschaltet. Inzwischen sind sie längst blind geworden.


„Hier lebt jeder, den Sie lieben. Jeder, den sie kennen. Jeder, von dem Sie je gehört haben. Jeder einzelne Mensch in der Geschichte der Menschheit hat hier gelebt und ist hier gestorben. Für mich unterstreicht das unsere Verantwortung, freundlicher miteinander umzugehen, und diesen blassblauen Punkt zu schützen und zu bewahren. Er ist das einzige Zuhause, das wir je gekannt haben.“ – Carl Sagan über den „Pale Blue Dot“

Auch die anderen Instrumente werden nach und nach abgeschaltet, um Strom zu sparen. Diejenigen, die noch aktiv sind, liefern nach wie vor wertvolle Daten über die Grenze unseres Sonnensystems. 2014 stellte das Missionsteam fest, dass Voyager 1 am 25. August 2012 – Einsatztag 12.789 – die Heliopause erreicht hatte und sich damit als erstes von Menschenhand gemachtes Objekt im interstellaren Raum befindet. Die Sonde sorgte außerdem für eine weitere Überraschung: das Magnetfeld der Milchstraße zeigt offenbar in dieselbe Richtung wie das des Sonnensystems. Deswegen sind wir von der Erde aus nicht in der Lage, durch eine Messung dieser Magnetfelder die Grenze zum interstellaren Raum zu bestimmen. Zudem bildet die Heliosphäre, also die „Blase“ des Sonnenwindes, in der wir uns befinden, eine Art Schutzschirm gegen die hochenergetischen Partikel des interstellaren Windes. Voyager 2, die die Grenzzone zwischen Heliosphäre und interstellarem Raum noch nicht passiert hat, soll diese These in ein paar Jahren bestätigen.

Wie lange wir noch Kontakt zu Voyager 1 und 2 haben werden, ist unklar. Beide Sonden verlieren etwa vier Watt Leistung pro Jahr. Niemand weiß, wie lange die Instrumente noch funktionieren werden. Die Garantie ist vor 35 Jahren abgelaufen. Bis 2025 sollen die Instrumente abgeschaltet werden; spätestens 2030 werden die Sonden wohl endgültig verstummen. Sie werden jedoch weiterhin auf ihrer Flugbahn unterwegs sein, hinaus ins All. Voyager 1 legt jeden Tag 1,4 Millionen Kilometer zurück. In etwa 520 Jahren wird sie die Oortsche Wolke erreichen, in 28.000 Jahren wird sie sie hinter sich gelassen haben. In 40.000 Jahren nähert sie sich dem Stern Gliese 445 auf 1,6 Lichtjahre an. In 56.000 Jahren wird sie die Anziehungskraft unserer Sonne nicht mehr spüren. Voyager 2 hat Kurs auf den hellsten Stern am Himmel genommen, den Sirius. Sie wird ihn in geschätzt 296.000 Jahren in einer Entfernung von 4,3 Lichtjahren passieren. In 225 Millionen Jahren kehren die beiden Sonden dann zurück – nachdem sie einmal die Milchstraße umrundet haben. Ob wir dann noch hier sein werden?

Auf voyager.jpl.nasa.gov finden Sie mehr Informationen und Bilder rund um die Voyager-Mission. Mit der NASA-App „NASA’s Eyes“, die Sie sich hier gratis auf Smartphone oder Computer herunterladen können, können Sie in Echtzeit verfolgen, wohin die Sonden unterwegs sind und wie schnell sie fliegen. Während ich diesen Satz getippt habe, hat Voyager 1 üner 1.000 Kilometer zurückgelegt.

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