21. Februar 2018 3 Likes

Elektrisiert

Naomi Aldermans „Die Gabe“ ist der Roman der neuen Frauenbewegung

Lesezeit: 5 min.

Donald „Pussy Grabber“ Trump und Harvey Weinstein, Women’s March und #metoo-Bewegung: man könnte meinen, Naomi Aldermans Roman „Die Gabe“ (im Shop) sei als Reaktion auf 2017 geschrieben worden. Tatsächlich erschien Aldermans Roman bereits 2016 in Großbritannien und machte dort unter anderem die Juroren des Baileys Women’s Prize for Fiction auf sich aufmerksam, den Alderman im Juni 2017 verliehen bekam. Als „Die Gabe“ dann im Oktober letzten Jahres in den USA erschien, schlug der Roman ein wie eine Bombe. Es war das Buch zur Stimmung im Land - ja, zur Stimmung auf der ganzen Welt. Jetzt ist  „Die Gabe“ auf Deutsch erhältlich - aber wer ist Naomi Alderman eigentlich, und was macht ihr Buch so brisant und aktuell? 

Naomi Alderman wuchs in einer streng orthodoxen jüdischen Familie im Norden Londons auf. Sie studierte Philosophie, Politik und Wirtschaft in Oxford, wurde Anwältin und zog mit Mitte zwanzig nach New York. Dort erlebte sie den Anschlag auf das World Trade Center hautnah mit. Als sie die Twin Towers von ihrem Bürofenster aus einstürzen sah, beschloss sie, nach England zurückzukehren. Sie belegte Kreatives Schreiben an der University of East Anglia und verfasste ihren ersten Roman, „Disobedience“ (auf Deutsch 2008 als „Ungehorsam“ im Berlin Verlag erschienen), der eine lesbische Liebesbeziehung zweier orthodoxen Jüdinnen schildert (und mich Rachel Weisz und Rachel McAdams in den Hauptrollen verfilmt wurde - Kinostart ist im Frühjahr). Damit gewann sie den Orange Award for New Writers, den Sunday Times Young Writer of the Year Award und den Waterstones Writer for the Future Award. Es folgten zwei weitere Romane, ehe sie 2016 Buch Nummer vier, „Die Gabe“, veröffentlichte. Parallel dazu schrieb sie Computerspiele und Apps wie „Perplex City“ und „Zombies Run“.

Ihre Erfahrungen als Frau in der männlich dominierten Gaming-Branche seien ebenfalls in „Die Gabe“ eingeflossen, sagte sie in einem Interview mit BuzzFeed. Auf Conventions und Tagungen sei sie mehr als einmal für „das Marketing-Mädchen“ gehalten worden, und wenn sie und ihr männlicher Partner ihre Spiele gemeinsam präsentieren wollten, bekam sie des Öfteren eine Absage – man wollte nur ihren Kollegen, weil der angeblich der bessere Redner sei. Ihren Einwand, dass sie die BBC-Radioshow „Science Stories“ moderiere, habe man dann einfach übergangen.

Durch das Rolex Mentorship Programme, das Künstler aus verschiedenen Bereichen zusammenbringt und es ihnen ermöglicht, sich ein Jahr lang miteinander auszutauschen, kam Alderman in Kontakt mit Margaret Atwood – und holte eine gut zehn Jahre alte Idee wieder aus der Schublade: die Geschichte von einer Umkehrung der Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau. Gefördert und unterstützt von der Autorin von „The Handmaid’s Tale“ überarbeitete Alderman ihr Manuskript. Als das Buch dann 2016 erschien, traf es weltweit einen Nerv.

„Die Gabe“ ist „Der Report der Magd“ unserer Zeit: junge Frauen auf der ganzen Welt entdecken fast zeitgleich, dass sie ein Organ im Körper haben, das es ihnen ermöglicht, Stromschläge abzugeben. Lange Zeit war es inaktiv, doch nun erwacht es plötzlich, und junge Frauen können es in älteren „erwecken“ Auf einmal sind sie das „starke Geschlecht“, und die Männer ihnen physisch unterlegen. Doch das führt nicht etwa zu einer schönen neuen Welt – im Gegenteil: die Kapitel zählen die Jahre bis zur Katastrophe herunter. Geschrieben ist das Ganze von einem fiktionalen Historiker, Neil Adam Arden (ein Anagramm zu Naomi Alderman), der viele Jahre in der Zukunft in einem historischen Roman darüber nachzudenken wagt, wie es eigentlich dazu kam, dass in seiner Zeit die Rollen so verteilt sind, wie sie verteilt sind; alles ganz höflich verpackt mit viel „Bitte“ und „Danke“ in den Briefen an seine fiktionale Förderin Naomi.

Es ist nicht schwer zu erkennen, warum „Die Gabe“ das Buch schlechthin für die neue Frauenbewegung ist, die überall auf der Welt im letzten Jahr aktiv geworden ist. Die Themen des Romans - Macht und Machtmissbrauch, (sexuelle) Gewalt gegen das „schwächere“ Geschlecht, der Rollentausch und wie wir ihn im Roman wahrnehmen - resonieren mit dem allgegenwärtigen Gefühl, dass sich jetzt endlich etwas ändern muss; dass Männer nicht länger darüber entscheiden dürfen sollten, ob eine Schwangere abtreiben darf oder nicht; dass Macht nicht länger als Schutzwall bei Verbrechen dienen darf. Dementsprechend fallen die Besprechungen aus den USA und Großbritannien aus:

The Power is an instant classic of speculative fiction. – Justine Jordan, The Guardian

Alderman has written our era’s “Handmaid’s Tale”, and, like Margaret Atwood’s classic, “The Power” is one of those essential feminist works that terrifies and illuminates, enrages and encourages. – Ron Charles, The Washington Post

Superficially, The Power is a study of what changes when the balance of power is inverted, but beneath its speculative surface, it reveals itself to be an investigation into what doesn’t change, and why. It’s powerful, paradigm-shifting stuff, well and truly deserving of the Women’s Prize for Fiction it won following The Power‘s publication in the UK. – Niall Alexander, Tor.com

The Power not only revitalizes the revolutionary power of speculative fiction; it does what the best literature does, helping us see that the world could be different. This is exactly the complex, difficult, unsparingly truthful imagining we need to do now. – Deborah Forbes, electricliteature.com

The Power doesn’t necessarily hold the answers to what organizing principle we should rally around instead, except in the most simplified, biblical terms: safety, peace, love. It does audaciously depict, however, the most extreme results of a movement that seeks rather than interrogates power: That if feminism has become a means for domination, it has lost its way. – Bridget Read, Vogue

Seit dem Erscheinen der amerikanischen Taschenbuchausgabe ist „Die Gabe“ unter den Top 100 in der Kategorie „Political Fiction“, „Feminist Theory“ und „Dystopie“ auf amazon.com. Die New York Times empfahl den Roman auf ihrer Top-10-Empfehlungsliste 2017. Und Ex-US-Präsident Barack Obama nannte „Die Gabe“ Anfang des Jahres auf Platz eins seiner „Reading List“, die er auf Facebook teilte. Jane Featherstone von Sister Pictures, die die Serie „Broadchurch“ mitproduziert haben, hat die Filmrechte an Aldermans Roman gekauft und arbeitet an einer Adaption des Stoffes als Fernsehserie. Naomi Alderman wird wohl als Autorin und Produzentin daran beteiligt sein. Dass ihr Roman so perfekt zu unserer Zeit passt, ist kein Zufall, so Alderman im BuzzFeed-Interview:

All of the bollocks that has happened to women, or that has just been revealed to have been happening for ages, is somehow related to the novel. […] I think some of the things in the world have not changed and that is why you can mistake it for having been written yesterday. I think actually one thing that has really changed is that women are really fucking angry.

In die Zukunft blickt die Autorin aber optimistisch:

I feel like there is a very exciting wave of energy amongst women right now to keep pushing forward. So I don’t know what will happen, but I’m excited to find out.

Naomi Alderman: Die Gabe • Roman • Aus dem Englischen von Sabine Thiele • Wilhelm Heyne Verlag, München 2018 • 464 Seiten • Preis des E-Books: € 13,99 • im ShopLeseprobe

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