Antiheldinnen, Avantgardisten und Einsiedler
Phantastik-Comic-Neuheiten im Juli
Bill Sienkiewicz‘ und Frank Millers „Elektra Assassin“ ist endlich wieder erhältlich, ebenso Francois Schuitens frühe „Métal hurlant“-Phase, und eine italienische Comic-Anthologie mit Lovecraft-Adaptionen ist dann am besten, wenn sie nicht vom Weg abweicht.
Bill Sienkiewicz, Frank Miller: Elektra Collection
„Watchmen“, „The Dark Knight Returns“, „Elektra Assassin“ – 1986 war der beste Jahrgang für Superhelden. Kaum zu glauben, dass Frank Millers und Bill Sienkiewicz‘ „Elektra“-Run auf Deutsch zuletzt vor fast 20 Jahren erschienen ist, angesichts heutiger Transmediationen aller erdenklicher Übermenschen-Stoffe für Groß und Klein. Aber endlich serviert Panini eine bildhübsche Gesamtausgabe, die dieses Klassikers würdig ist. 1981 erfand Miller Elektra für den „Daredevil“-Kosmos – eine Ninja und Auftragskillerin und eigentlich tragische Nebenfigur, die durch den Tod ihres Vaters, der als griechischer Botschafter bei einer Geiselnahme ums Leben kam, vom moralischen Kurs abgekommen ist. In „Elektra Assassin“ kämpft sie, ummantelt von Kalte-Kriegs-Ängsten und düsterstem Noir-Pessimismus, gegen den abnormen Feind „The Beast“, der die Welt ins nukleare Armageddon zu reißen droht, und durfte nie wieder so enigmatisch glänzen. Miller befand sich auf dem kreativen Höhepunkt, und Sienkiewicz‘ komplexer, nicht zuletzt direkt kolorierter Zeichenstil war von solch aufregender Kunstfertigkeit, wie sie dem heutigen Zeitdruck der Industrie gar nicht mehr standhalten könnte. 1990 folgte mit Lynn Varley „Elektra lebt“ und konnte mit dem vorherigen Meisterwerk natürlich nicht mithalten. Nichts als Freude, dass die perfekte Edition diesen Vergleich zulässt, es ist ja alles da.
Bill Sienkiewicz, Frank Miller: Elektra Collection • Panini, Stuttgart 2025 • Hardcover • 400 Seiten • 75,00 Euro
Luc & Francois Schuiten: Hohle Welten – Panzerung
Francois Schuitens und Benoît Peeters‘ „Geheimnisvollen Städte“ sollte man eigentlich täglich besuchen. Kann man auch, sie liegen bei Schreiber & Leser vollständig und in vorbildlicher Aufmachung vor. Nun heißt es, Schuitens Frühwerk zu erschließen. Das ist noch nicht von Fragen des Raums und architektonischen Entwürfen ganzer Parallelwelten bestimmt, zeugt aber schon eindrucksvoll vom Gespür für allegorisch aufgeladene, groteske Szenarien. Geschrieben wurden die Kurzgeschichten noch von Schuitens Bruder Luc und erschienen von 1977 bis 1982 im legendären Talentebrunnen „Métal hurlant“. Die unter „Hohle Welten“ rubrizierten Storys, die in drei Alben erscheinen werden, sind über die Settings locker miteinander verbunden und insofern ein erster Schritt zur epischen Verweisstruktur des späteren „Städte“-Zyklus. Nicht nur die ausgereifte Ästhetik (Schuiten war da kaum älter als zwanzig) überrascht: Wie sich über den mal dystopischen, mindestens zivilisationskritischen Kern ein sanfter schwarzer Humor legt, der vieles Max Ernst verdankt, ist die reinste Wundertüte, die den großen Durchbruch in den 80ern schon ankündigt.
Luc & Francois Schuiten: Hohle Welten – Panzerung • Schreiber & Leser, Hamburg 2025 • 72 Seiten • Hardcover • 22,80 Euro
D. D. Batian, Sergio Vanello: H. P. Lovecraft: Die Musik des Erich Zann
Nach „Das Grab“ der zweite Band einer dreiteiligen italienischen Comic-Sammlung mit adaptierten Kurzgeschichten Lovecrafts. Enthalten sind neben der Titel-Story noch „Das Bild im Haus“ sowie eine sich als Hommage verstehende Eigenkreation Sergio Vanellos, die heillos esoterisch geraten ist und mit ihrer plakativen Frauenmörder-Thematik auch keine Verbindung zu Lovecrafts Arbeiten aufweist. Beeindruckender sind dafür die anderen beiden Storys, die das Künstler-Duo zu einem stimmungsvoll aquarellierten Albtraum verdichtet. Zu dem Eindruck mag beisteuern, dass man auf der Textebene nicht von Lovecrafts Prosa abweicht. „Berge des Wahnsinns“ in diesem Look – ein kosmischer Traum.
D. D. Bastian, Sergio Vanello: H. P. Lovecraft: Die Musik des Erich Zann und weitere Geschichten • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 104 Seiten • Hardcover • 19,80 Euro
Lee Loughridge, Andrew Robinson, Alex Riegel: Standstill
Ein zwiespältiges Vergnügen: In erster Linie ist die Miniserie „Standstill“ ein zynischer SF-Thriller über die soziopathische Hauptfigur Ryker Ruel, der zufällig an ein Hightech-Gerät des Pentagon geraten ist, mit dem er die Zeit anhalten kann. Damit lässt sich viel blutiger Schabernack treiben, und das bekommen von übergriffigen Fluggästen über Burger-King-Filialen bis zu pakistanischen Terroristen viele Halunken zu spüren. Autor Lee Loughridge bemüht sich (wenn auch vergeblich) um einen lakonischen Ellroy-Ton, und Andrew Robinsons detaillierte Zeichnungen werden vom ungewöhnlichen Querformat ideal in Szene gesetzt. Leider bricht die Erzählung in zwei Hälften und wandelt sich zur konfusen Motivschlacht unzähliger Genre-Bausteine, was durch den deutlich nachlässigeren Zeichenstil Alex Riegels, der ab dem vierten von acht zusammengefassten Heften übernimmt, auch visuell unterstrichen wird. Das hat jedoch einen tragischen Grund: Bei den Waldbränden in L.A. hat Andrew Robinson fast all seine Besitztümer verloren, darunter auch das Gros der Zeichnungen und Skizzen zu „Standstill“. Man sollte diese Edition besser als Versuch betrachten, diese traumatische Erfahrung mit künstlerischem Trotz auf Abstand zu halten.
Lee Loughridge, Andrew Robinson, Alex Riegel: Standstill • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 256 Seiten • Hardcover • 35,00 Euro
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