23. Februar 2018 3 Likes

Genre wird hoffähig

Bei der Berlinale findet man Genre diesmal auch in den Hauptreihen

Lesezeit: 3 min.

Spricht man „Isle of Dogs“ schnell, bzw. etwas vernuschelt aus, hört sich der Titel von Wes Andersons neuestem Film an wie „I Love Dogs“, was nicht nur ein netter Gag ist, sondern einen Aspekt dieses ausgesprochen hübschen Films auf den Punkt bringt. Als Eröffnungsfilm der Berlinale wurde Andersons zweiter per Stop-Motion-Animation entstandener Film gezeigt, eine einerseits ungewöhnliche, aber doch auch offensichtliche Wahl. Ungewöhnlich, weil es sich um einen Animationsfilm handelt, der zudem in einem dystopischen Japan spielt, in dem Hunde als Ursache allerlei Krankheiten und sonstiger gesellschaftlicher Übel ausgemacht wurden und von der Katzen liebenden Regierung ins Exil verbannt werden. Womit schon deutlich wird, warum die Wahl dieses Films für die Berlinale eine leichte war, denn die unterschwellige Thematisierung von Exil und Flüchtlingen, von Vertreibung und Unterdrückung passt perfekt ins Selbstbild der Berlinale als politisches Festival, das sich auch in diesem Jahr bestätigt.

Genre-Kost, auf deren Suche wir uns an dieser Stelle wie jedes Jahr machen, findet sich dagegen nur sporadisch, doch wie im Fall von „Isle of Dogs“ ist es kein Zufall, dass praktisch alle mehr oder weniger als Genre zu bezeichnenden Filme, die in den Hauptreihen des Festivals laufen, auch politische gesellschaftliche Subtexte verfolgen.


Isle of Dogs © 2018 Twentieth Century Fox

So etwa auch im Panorama-Beitrag „Yocho/ Foreboding“ von Kiyoshi Kurosawa. Schon im letzten Mai in Cannes hatte der japanische Regisseur ein Bühnenstück von Tomohiro Maekawa als Vorlage für einen minimalistischen Alien-Invasionsfilm benutzt, der entfernt an die Muster des Klassikers „Invasion der Körperfresser“ erinnert. Sowohl in „Before We Vanish“ als nun auch in „Yocho“, kommen die Aliens nicht in Gestalt von schleimigen Kreaturen oder mit riesigen Mutterschiffen, sondern bereiten die Invasion auf leisen Sohlen vor. Die Aliens treten in Menschengestalt auf und haben zunächst nur ein Ziel: Zu begreifen, wie die Erdbewohner ticken, zu erfassen, was unter Begriffen wie Familie, Würde, Liebe oder Tod zu verstehen ist. Zu diesem Zweck legen sie den Finger auf die Stirn eines Menschen und rauben ihm oder ihr das Wissen um dieses Konzept.


Yocho © YOCHO Project Partners

Ein ebenso ungewöhnlicher, wie spannender Ansatz, der wie die besten Genrefilme sein exaltiertes Konzept nicht einfach nur dazu benutzt, um Spannung zu erzeugen, sondern um von Menschen, ihren Träumen und Ängsten zu erzählen. Dass das Andere den Menschen dabei nicht in Gestalt merkwürdiger, vielleicht auch hässlicher Kreaturen erscheint, sondern wie ein Spiegelbild wirkt, verstärkt den Eindruck noch, dass die Protagonisten hier mit einem Blick in die eigene Seele konfrontiert werden – und nicht zuletzt mit den darin wohnenden Abgründen.

In nicht weiter präzisierter Zukunft spielt auch der ebenfalls im Panorama gezeigte Film „Hojom/ Invasion“, in dem der iranische Regisseur Shahram Mokri in einer einzigen, elaborierten Einstellung von der Rekonstruktion eines Verbrechens erzählt. Ein Mann wollte aus der Zone ausbrechen, einer nicht näher definierten Welt, in der die Sonne nicht mehr scheint und wurde dabei ermordet. Mit Zeugen und Verdächtigen stellt die Polizei das Verbrechen nach, sucht nach Antworten, die doch nur neue Fragen öffnen. In einer Art Möbiusschleife kreist der Film um sein zentrales Rätsel, ohne zu einer Antwort zu finden, aber vielleicht ist das genau der Punkt. Zunehmend scheint das iranische Kino, das früher vor allem für einen extremen Realismus bekannt war, sich Genremustern zu bedienen – so auch die satirische Groteske „Khook“, die im Wettbewerb zu sehen war – um damit über die Gegenwart des Landes zu erzählen und wohl auch, um die Zensur zu umgehen, die bei Genrefilmen ja bekanntermaßen schnell den Überblick verliert, siehe Tarkowskis „Stalker“ und viel anderes.


Hojom © Abdolreza Nikou

Angesichts viel zu vieler Themen- oder Thesenfilme, die nicht nur auf Festivals, sondern auch im alltäglichen Kinobetrieb ihre Bedeutung allzu direkt ausstellen, sich eher darüber definieren, dass sie ein wichtiges Thema auf die moralisch korrekte Weise behandeln, als über ästhetische Faktoren, böte das Genrekino viel spannendere Möglichkeiten, Substanz und Stil miteinander zu verbinden. Aber das wissen Freunde des Genrekinos ja schon lange.

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