26. Februar 2018 2 Likes

Die Mond-Feuerwehr im Einsatz

Eine exklusive Leseprobe zu Andy Weirs neuem Roman „Artemis“

Lesezeit: 9 min.

Nur noch eine Woche, dann ist es soweit – am 05. März erscheint Andy Weirs lange erwarteter zweiter Roman „Artemis“ (im Shop) auf Deutsch. Um Ihnen die Wartezeit bis zum Erscheinungstermin zu verkürzen, stellen wir Ihnen hier noch einmal eine exklusive Leseprobe aus „Artemis“ zur Verfügung, in der Jazz Bashara, Andy Weirs geniale Protagonistin erzählt, was zu tun ist, wenn es auf dem Mond mal brennt …

 

Nach dieser speziellen Lieferung erledigte ich ein paar alltäglichere Transporte und Zustellungen. Meist ging es vom Hafen zu Privatadressen. Außerdem gelang es mir, einen Auftrag für einen Haufen Kisten von einer Wohneinheit zurück zum Hafen zu ergattern. Ich half den Leuten gern beim Umzug, normalerweise gaben sie anständige Trinkgelder. Dieser Umzug war allerdings eher bescheiden – ein junges Paar, das auf  die Erde zurückkehren wollte.

  Die Frau war schwanger. In der Mondschwerkraft kann man kein Kind austragen – das führt zu Geburtsfehlern. Und man kann hier auch kein Kind aufziehen. Das hätte schreckliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Knochen und Muskeln. Ich war mit sechs Jahren umgezogen, damals das Mindestalter für ständige Bewohner. Später wurde das Mindestalter auf zwölf Jahre erhöht. Musste ich mir Sorgen machen?

  Ich war gerade zum nächsten Auftrag unterwegs, als mein Gizmo kreischte. Es war nicht das Klingeln eines Anrufs, auch nicht das Piepsen einer Nachricht, sondern ein wahrhaftiger Alarmschrei. Ich zog es aus der Tasche.

                             FEUER: CP12-3270 LOCKDOWN AUSGEFÜHRT.                      ALLE FREIWILLIGEN IN DER NÄHE ERFORDERLICH.

»Scheiße«, schimpfte ich.                                                   

  Sofort legte ich den Rückwärtsgang ein und setzte zurück, bis ich einen Abschnitt im Gang fand, wo ich Trigger wenden konnte. Dann beschleunigte ich und fuhr in Richtung der Rampen.

  »Jazz Bashara ist unterwegs«, sagte ich in mein Gizmo. »Augenblicklicher Standort: Conrad Plus 4.«

  Der zentrale Sicherheitscomputer registrierte meine Meldung und zeigte mir eine Karte von Conrad. Ich war einer von vielen Punkten, die sich alle CP12-3270 näherten.

  In Artemis gibt es keine Feuerwehr. Wir haben Freiwillige. Rauch und Feuer sind hier allerdings so gefährlich, dass jeder Freiwillige wissen muss, wie man mit einem Atemschutzgerät umgeht. Die EVA-Meister und die Auszubildenden gelten automatisch als Freiwillige. Ich weiß, darin liegt eine gewisse Ironie.

  Der Brand war auf Conrad Plus 12 ausgebrochen, acht Stockwerke über mir.

  Mit quietschenden Reifen fuhr ich die Rampen hinauf und immer weiter hinauf, bis ich CP12 erreichte, dann raste ich durch die Gänge zum dritten Ring. Von dort aus musste ich die Parzelle finden, die sich ungefähr zweihundertsiebzig Grad von der nördlichen Richtung entfernt befand. Es war nicht weit, und eine Gruppe von EVA-Meistern war bereits vor Ort.

  An der betreffenden Adresse blinkte ein rotes Licht über der massiven Tür. Auf dem Schild stand: QUEENSLAND GLAS.

  Auch Bob war schon da. Da er hier vor Ort den höchsten Rang bekleidete, trug er die Verantwortung. Mit einem knappen Nicken begrüßte er mich.

  »Also, Leute, hört zu!«, rief er. »In der Glasfabrik hat es einen größeren Brand gegeben, und der im Raum verfügbare Sauerstoff ist verbraucht. Dort drinnen sind vierzehn Menschen, alle haben es bis zum Schutzraum geschafft. Es gibt keine Verletzten, und der Schutzraum funktioniert wie vorgesehen.« Er postierte sich vor der Tür. »In diesem Fall können wir nicht wie sonst abwarten, bis sich der Raum abkühlt. Die Fabrik stellt mittels einer Reaktion zwischen Silicium und Sauerstoff Glas her, deshalb gibt es da drin große Druckbehälter mit Sauerstoff. Wenn die Tanks explodieren, fängt der Raum zwar die Explosion ab, aber die eingeschlossenen Menschen haben keine Chance. Wenn wir von außen frischen Sauerstoff einführen, fliegt ebenfalls alles in die Luft.« Er scheuchte uns von der Tür weg zu einem freien Bereich. »Wir brauchen hier ein Zelt, das luftdicht mit der Wand rings um die Tür abschließt. Innerhalb des Zelts benötigen wir einen aufblasbaren Ziehharmonikatunnel. Und wir brauchen vier Rettungshelfer.«

  Die gut ausgebildete Freiwillige Feuerwehr machte sich sofort an die Arbeit. Aus Leerrohren bauten sie ein würfelförmiges Gerüst, dann klebten sie rings um die feuerfeste Tür Plastikplanen an die Wand, zogen sie über das Gerüst und verklebten die Ränder miteinander. Die hintere Klappe blieb offen.

  Schließlich hievten sie einen Ziehharmonikatunnel in das Zelt. Das war keine leichte Aufgabe, denn im Gegensatz zu dem improvisierten Zelt waren aufblasbare Tunnel dazu gedacht, einem höheren Druck standzuhalten. Sie waren dick und schwer und dienten dazu, Menschen aus Schutzräumen zu retten, vor denen völliges Vakuum herrschte. Das schien in diesem Fall ein wenig übertrieben, aber das war eben die Ausrüstung, die wir hatten.

  Das Zelt war nicht sehr groß, und der Tunnel nahm den größten Teil davon ein. Bob deutete auf die vier kleinsten Freiwilligen. »Sarah, Jazz, Arun und Marcy, ihr geht da rein.«

  Wir vier traten vor. Die anderen setzten uns Luftflaschen auf den Rücken und gaben uns Atemschutzmasken und Schutzbrillen für die Augen. Nacheinander überprüften wir die Ausrüstung und zeigten Bob den erhobenen Daumen.

  Dann drängelten wir uns in das Zelt. Es war eng. Bob stellte noch einen Metallzylinder hinein. »Der Schutzraum ist an der Westseite. Dort drinnen sind vierzehn Menschen.«

  »Verstanden, vierzehn«, erwiderte Sarah. Als voll lizenzierte EVA-Meisterin hatte sie den höchsten Rang und befehligte das Rettungskommando. Die anderen Freiwilligen klebten von außen das Zelt zu und ließen nur eine Ecke ein wenig offen.

  Als Nächstes öffnete Sarah das Ventil des Zylinders, worauf sich im Zelt ein Nebel aus Kohlendioxid ausbreitete. Das war ein recht unsauberer Weg, den Sauerstoff zu verdrängen, aber wir mussten nicht besonders gründlich vorgehen. Es reichte aus, den prozentualen Anteil so weit wie möglich zu drücken. Nach einer Minute schloss sie das Ventil wieder, und die Leute draußen versiegelten auch die letzte Ecke des Zelts.

  Sarah tastete die Tür ab. »Heiß«, sagte sie. Kein Wunder, wir wollten eine Tür zu einem Raum öffnen, der kurz vor der Explosion stand. Zwar brachten wir keinen frischen Sauerstoff hinein, aber es war trotzdem beunruhigend.

  An der Schalttafel der Tür gab Sarah den Entsperrcode der Feuerwehr ein. Ja, es war ein Code. Sobald in einem feuerfesten Raum ein Alarm anschlägt, werden die Türen und Lüftungen sofort verriegelt. Wer drinnen ist, kommt nicht mehr heraus. Die Leute müssen in den Schutzraum, andernfalls sterben sie. Finden Sie das brutal? Das ist es nicht. Ein Feuer, das sich in der Stadt ausbreitet, wäre viel schlimmer als der Tod einiger Menschen in einem versiegelten Raum. Beim Brandschutz macht Artemis keine halben Sachen.

  Auf Sarahs Befehl ging die Tür auf, und die Hitze aus dem Raum schlug ins Zelt. Mir brach sofort der Schweiß aus.

  »Jesus«, stöhnte Arun.

  In der Fabrik hing dichter Rauch. Einige Ecken glühten rot vor Hitze. Wäre noch Sauerstoff in dem Raum gewesen, dann hätten sie lichterloh gebrannt. An der hinteren Wand konnte ich den Umriss eines industriellen Schutzraums erkennen.

  Sarah verschwendete keine Sekunde. »Jazz, du kommst mit. Arun und Marcy, ihr bleibt hier und haltet das hintere Ende fest.«

  Ich folgte ihr. Vorne nahm sie eine Seite des Nottunnels, ich die andere. Arun und Marcy taten das Gleiche am hinteren Ende. Sarah ging los, ich hielt mit ihr Schritt. Der wie eine Ziehharmonika geformte Tunnel entfaltete sich, da Arun und Marcy hinten stehen blieben.

  Wenn Silicium mit Sauerstoff reagiert, entsteht eine Menge Wärme. Deshalb war der Raum feuerfest. Warum sie nicht einfach Sand schmolzen, wie man es auf der Erde tut? Weil es auf dem Mond keinen Sand gibt. Jedenfalls nicht genug, um nützlich zu sein. Aber es gibt reichlich Silicium und Sauerstoff, die beide als Nebenprodukte der Aluminiumherstellung anfallen. Deshalb können wir so viel Glas herstellen, wie wir wollen. Es ist nur etwas schwieriger.

  Direkt vor uns war die primäre Reaktionskammer. Um die eingeschlossenen Arbeiter zu befreien, mussten wir diesen Bereich umgehen. »Da ist es bestimmt heiß«, sagte ich.

  Sarah nickte und führte uns in einem weiten Bogen darum herum. Wir wollten ja kein Loch in den Rettungstunnel schmelzen.

  Als wir den Schutzraum erreicht hatten, klopfte ich an das kleine runde Fenster. Sofort war jemand zur Stelle – ein Mann mit tränenden Augen, das Gesicht mit Asche verschmiert. Wahrscheinlich der Vorarbeiter, der den Schutzraum als Letzter betreten hatte. Er zeigte mir den hochgestreckten Daumen, und ich erwiderte die Geste.

  Sarah und ich stiegen in den Tunnel und setzten den Dichtungsring um die Luke des Schutzraums. Wenigstens das ging leicht. Genau dazu war der Tunnel ja da. Im Zelt pressten Arun und Marcy ihr Ende des Tunnels gegen die Plastikplane und klebten es dort fest. So hatten wir einen Fluchtweg für die Arbeiter geschaffen, der jedoch im Moment noch mit der nicht atembaren Luft aus dem Raum gefüllt war.

  »Können wir ausblasen?«, rief Sarah.

  »Versiegelt und bereit!«, rief Arun zurück.

  Die Leute draußen schnitten einen Schlitz ins Plastik. Der Rauch aus dem Tunnel quoll in den Gang hinaus, doch die Retter hatten schon Ventilatoren und Filter aufgebaut, damit sich der Dreck möglichst nicht ausbreitete.

  »Das Zelt ist offen! Ausblasen!«, rief Arun.

  Sarah und ich wechselten einen Blick, um uns zu vergewissern, dass wir beide bereit waren. Dann holten wir tief Luft und öffneten die Auslassventile unserer Luftbehälter. Das entweichende Gas trieb den Rauch vor sich her durch den Tunnel und in den Gang hinaus. Kurz darauf befand sich im Nottunnel wieder atembare Luft. Conrad Plus 12 würde allerdings noch einige Tage lang nach Ruß riechen.

  Wir mussten husten, als wir die Luft einatmeten, aber allzu schlimm war es nicht. Es musste auch nicht angenehm sein. Es reichte aus, wenn es nicht giftig war. Als wir sicher waren, dass es die Arbeiter nicht umbringen würde, öffnete Sarah mit dem Handrad die Luke des Schutzraums.

  Man musste anerkennen, dass die Arbeiter schnell und diszipliniert der Reihe nach herauskamen. Meine Achtung vor Queensland Glas stieg ein wenig. Sie hatten das Personal gut auf Notfälle vorbereitet.

 »Eins! Zwei! Drei …« Sarah zählte die Leute, die an uns vorbeigingen. Ich zählte zur Sicherheit mit.

  Sobald sie bei vierzehn war, rief ich: »Vierzehn! Bestätigt!«

  Sie blickte in den Schutzraum. »Der Schutzraum ist leer!«

  Ich tat das Gleiche. »Der Schutzraum ist leer! Bestätigt!«

  Wir folgten den hustenden, würgenden Arbeitern durch den Tunnel in den sicheren Korridor.

  »Gut gemacht«, lobte uns Bob. Die anderen Helfer rüsteten die versengten Arbeiter schon mit Sauerstoffmasken aus. »Jazz, wir haben drei Leichtverletzte mit Verbrennungen zweiten Grades. Fahr sie zu Doc Roussel. Ihr anderen baut das Zelt und den Tunnel ab und verschließt die Brandschutztür.«

  Zum zweiten Mal an diesem Tag dienten Trigger und ich als Krankenfahrzeug.

  Am Ende flogen die Sauerstofftanks nicht in die Luft. Trotzdem war Queensland Glas zerstört. Eine Schande – sie hatten immer großen Wert auf Brandschutz gelegt. Es hatte nie Unregelmäßigkeiten gegeben. Sie hatten wohl einfach Pech gehabt.

 

Andy Weir: „Artemis“ ∙ Roman ∙ Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2018 ∙ 432 Seiten ∙ Preis des E-Books € 11,99 (im Shop)

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