19. März 2018 1 Likes

Psi-Problemfamilie

Daryl Gregorys Roman „Die erstaunliche Familie Telemachus“

Lesezeit: 3 min.

Der 1965 geborene Amerikaner Daryl Gregory veröffentlichte bereits 1990 erste Kurzgeschichten in bekannten Genre-Publikationen wie dem „Magazine of Fantasy & Science Fiction“. Darüber hinaus verfasste er den unbestreitbar coolen und innovativen Biopunk-Roman „Afterparty“ über Smart Drugs samt göttlicher Erleuchtung aus dem Chemjet-Drucker, die mit dem World Fantasy Award sowie dem Shirley Jackson Award ausgezeichnete Novelle „Uns geht’s allen total gut“ und Comics zu „Planet der Affen“. Ende Februar ist sein neuster Roman „Spoonbenders“ unter dem Titel „Die erstaunliche Familie Telemachus“ in der Übersetzung von Tobias Schnettler bei Bastei Lübbes Eichborn-Imprint auf Deutsch erschienen, und darin wird es ziemlich übersinnlich und hellsichtig.

Die titelgebende Familie des launigen Romans, der im Großraum Chicago der 90er zwischen AOL-Wurfsendungen mit Gratis-Internetstunden und Mikroleptonen-Kanonen angesiedelt ist, deckt drei Telemachus-Generationen mit ungewöhnlichen bis übernatürlichen Talenten ab. Doch nur weil man ein meisterhafter Trickbetrüger ist und das perfekte Pokerface hat, mit dem Geist schwindelerregende Astralreisen außerhalb des eigenen Körpers unternehmen kann, durch Visionen eine verstörendes Schlüssellochmosaik der Zukunft kennt und um jeden Preis ein großes Unglück abwinden will, als unfehlbarer menschlicher Lügendetektor eingesetzt werden kann, Dinge per Telekinese zu bewegen vermag oder als bester Spion aller Zeiten gilt, heißt das noch lange nicht, dass man keine Probleme hat. Im Gegenteil. Die Telemachus-Sippe hat sogar massig Probleme am Hals und im eigenen Haus, die unter anderem mit dem Kalten Krieg und den Geheimdiensten der Supermächte, einer Online-Fernbeziehung, Marihuana, schlechten Geschäftsideen und der brutalen Chicagoer Mafia zu tun haben …

„Die erstaunliche Familie Telemachus“ lebt zumindest in den ersten beiden Dritteln des Buches weniger von der eher überschaubaren Spannungskurve als viel mehr von den liebenswert schrulligen und oft überforderten Mitgliedern der Psi-Familie, die einem schnell sympathisch werden – und in den meisten Fällen ganz vertraute Sorgen haben, wenn es um die Liebe, das Glück oder das Geld geht. Außerdem springt Daryl Gregory von seiner Haupthandlung, die reihum von allen Familienangehörigen mit entsprechenden Perspektiven getragen wird, immer wieder in die Vergangenheit. Dort beleuchtet er die abrupt beendete Showkarriere der Familie und ihre Erfahrungen mit der Wissenschaft und der amerikanischen Regierung. Dass die gängigen Muster der schrägen literarischen Familiensaga durch übersinnliche Fähigkeiten aufgepeppt werden, kommt dem Roman ebenso zu Gute wie die gefällige Schreibe von Gregory, der an den richtigen Stellen Superhelden persifliert oder Kraftausdrücke verwendet.

Am Anfang des Romans ist man verständlicherweise skeptisch, was diese Telemachus-Nummer angeht, doch nach zwei, drei Dutzend Seiten versteht man, wieso noch vor Veröffentlichung des Werks im englischsprachigen Original eine TV-Serie durch u. a. Paramount auf den Weg gebracht wurde. Der gewiefte Teddy Telemachus und seine mal mehr, mal weniger begabten Kinder und Enkel würden sich bestimmt gut in der heutigen Fernsehlandschaft machen. Bis dahin kann man ihre verrückte Geschichte, die man auch ohne definitiven Pageturner-Faktor jederzeit gerne und vor allem voller Anteilnahme liest, im Hardcover, im E-Book und als Hörbuch goutieren.

Der Roman wurde vor gut vier Wochen auch für den Nebula Award nominiert.

Daryl Gregory: Die erstaunliche Familie Telemachus • Eichborn, Köln 2018 • 541 Seiten • Hardcover: 24,00 Euro

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