Die ersten Tage der neuen Menschheit
Cory Doctorows „Walkaway“ ist ein optimistischer Katastrophenroman in der nicht allzu fernen Zukunft
Die Welt geht nicht mit einem Knall zugrunde, sondern mit einem Wimmern, schrieb T. S. Eliot schon 1925. Nie fühlte sich dieser Satz wahrer an als jetzt: der Klimawandel wird als Erfindung der Chinesen abgetan, die Schere zwischen Arm und Reich klafft weiter auseinander als je zuvor, Politiker, Bankster und die oberen 1% tun und lassen, was sie wollen, und wir stehen alle unter ständiger Überwachung. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern, zumindest, wenn es nach Cory Doctorows neuem Roman „Walkaway“ geht, der am 11. Juli 2018 auf Deutsch erscheint und in unserem Shop vorbestellbar ist. Darin sind in Kanada in der nahen Zukunft die Reichen noch reicher und mächtiger, und der Rest hat sich mit seinem Dasein abgefunden: hin und wieder ist man für ein paar Monate in irgendeinem Startup angestellt, bis die neusten Trend-Blase platzt, ansonsten treibt man so durchs Leben.
So ergeht es auch Hubert, Etc. (so genannt, weil seine Eltern ihm 20 Vornamen gegeben haben) und seinem Kumpel Seth. Die beiden lernen auf einer Kommunistischen Party, bei der alte Fabriken wieder in Betrieb genommen werden, sodass jeder Raver mit einem neuen Bett nach Hause gehen kann, Natalie kennen, die Tochter eines der reichsten Männer Torontos. Die drei beschließen, sich den Walkaways anzuschließen; Kommunen, die die von der Industrie verseuchten Gebiete außerhalb der Städte besetzt haben. Die drei schultern ihre Rucksäcke und machen sich auf in die Wildnis, die so wild gar nicht ist: wenn man 3-D-Drucker hat, mit denen man alles, von Baumaterialien über Kleidung bis hin zu Nahrung und Medikamenten, herstellen kann, lebt es sich sehr komfortabel. Die Walkaways praktizieren eine Schenkökonomie, in die Limpopo, Hackerin und Barkeeperin, die Neulinge Schritt für Schritt einweiht. Doch gerade, als Seth (jetzt bekannt als Gizmo), Natalie (Iceweasel) und Hubert, Etc. sich eingelebt haben, wird die Kommune übernommen. Limpopo und ihre Freunde ziehen los, um sich andernorts etwas Neues (und Besseres) aufzubauen, anstatt für „ihr“ Zuhause zu kämpfen. Doch die anderen Walkaways sind nicht die Einzigen, die es auf die Kommune abgesehen haben: Überall auf der Welt werden plötzlich Forschungseinrichtungen der Walkaways angegriffen und zerstört – denn die Außenseiter sind einem wirklich großen Geheimnis auf der Spur …
„Walkaway“ ist kein Katastrophen-Roman, sondern eine optimistische Dystopie, die sich die Frage stellt, wie unser Zusammenleben in Zukunft aussehen könnte. Die Walkaways sind die Keimzelle einer neuen Gesellschaft, einer neuen Ökonomie, die auf dem Papier nicht funktioniert, in der Praxis jedoch schon. In diesem Sinne ähnelt „Walkaway“ Kim Stanley Robinsons „New York 2140“ (im Shop), wenn auch der Fokus ein anderer ist. In beiden Fällen steht jedoch die Frage nach einer neuen Gesellschaft und einer neuen Ökonomie im Mittelpunkt, die mit dem unfairen herrschenden System Schluss macht. Kurz: „Walkaway“ ist die Geschichte einer Welt, die es so noch nicht gibt – aber die es in ihren Grundzügen schon heute geben könnte.
Cory Doctorow: Walkaway • Roman • Aus dem kanadischen Englisch von Jürgen Langowski • Wilhelm Heyne Verlag, München 2018 • Paperback • 736 Seiten • € 16,99 • ab 11.6.2018 in unserem Shop
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