5. Mai 2018 2 Likes

Tschechows Handschuh

Ein Kommentar über das Ende von „Avengers: Infinity War“ und das hinterstehende Kalkül

Lesezeit: 5 min.

„Avengers: Infinity War“ ist seit dem 26. April in den deutschen Kinos und bricht Rekorde weltweit. Gerade das „mutige Ende“ wird häufig gelobt, ebenso wie die Bereitschaft, Altgedientes loszuwerden. Aber wen hat das Ende nun wirklich überrascht? Den Reaktionen im Kinosaal nach zu urteilen ganz schön viele. Dabei steckt hinter den mutmaßlich drastischen Schritten weitaus mehr als der Überraschungseffekt und eine ganze Menge Kalkül. Dabei wird möglicherweise eiskalt mit den emotionalen Bindungen der Zuschauer gespielt, die in einem Jahr nichts mehr Wert sein werden, wenn der noch unbetitelte vierte „Avengers“-Film in die Kinos kommt und den Cliffhanger auflöst. Aber dazu später mehr.

Die Katze ist aus dem Sack, Thanos gönnt sich einen ruhigen, gar romantisch anmutenden Abend auf der Veranda, während er lächelnd dem Zirpen der Grillen lauscht und die untergehende Sonne sein purpurnes Antlitz wärmt. So hat er doch eben noch die Hälfte des Universums ermordet, mitsamt 50% der geliebten Filmhelden. Für die geneigten Comicleser sind drastische Tode bei Weitem nichts Neues. Diese wissen, dass ein „Nichts wird sein, wie es war“ bei den großen Verlagen üblich zwei bis drei Jahre hält und dann Batman, Captain America oder auch neuerdings Wolverine wieder über die bunten Seiten hüpfen. Dabei wird oft großes Kapital aus der emotionalen Bindung der Leser an die geliebten Figuren geschlagen und das Versprechen, nachhaltige Geschichten zu erzählen, bleibt aber alles andere als nachhaltig. Die größten Vertreter der großen Helden-Tode sind wohl „Der Tod von Superman“ der 90er oder gar Captain Marvel 1982. Seit etwas über einem Dutzend Jahren ist es aber gerade für Marvel und DC Verlagssport geworden die Strumpfhosenhelden einem nach dem anderen hops gehen zu lassen, denn das lässt oft kurzzeitig die Kassen klingeln. Es will schließlich niemand das „bahnbrechende, kataklysmische“ Ableben verpassen. Und hier wird der unwissende Kinogänger nun mit dem Ende von „Avengers: Infinity War“ in den Bann gezogen.


Thanos‘ Infinity Gauntlet: Nicht nur ein bloßer MacGuffin.

Und wieso war nun das vermeintlich schockierende Ende bloß ein stumpfer Warnschuss? Der russische Dramatiker und Schriftsteller Anton Tschechow stellte einst die Regel der „Geladenen Waffe“ auf, die sich nach ihm auf die gesamte Dramaturgie anwenden lässt. Chekhovs Prinzip besagt, dass eine geladene Waffe, die im ersten Kapitel Erwähnung findet im zweiten oder dritten Kapitel besser abgefeuert wird. Das Prinzip basiert auf dem Gedanken, dass eine Erzählung keine überflüssigen Komponenten haben sollte, oder keine „falschen Versprechen“ macht, mit Dingen, die nie wieder Erwähnung finden. Wenn dem nicht so ist, sind besagte Komponenten schlichtweg überflüssig und sollten gestrichen werden. Und wie lässt sich das nun auf „Avengers: Infinity War“ beziehen?

Nun seien wir doch mal ehrlich: Wir alle haben nun knapp 20 Filme gesehen, in denen es letztlich um nichts anderes ging als eine Sammlung von magischen Steinen, die in einen Handschuh müssen. Wieso ist es dann noch überraschend, dass diese „geladene Waffe“ auch irgendwann losgehen wird? Wenn dem nicht so ist, dann wären wir als Zuschauer doch nur noch verärgerter gewesen. „Was? Und das war’s schon? Ich will wissen, was der Typ mit dem lilanen Grillabdruck-Kinn wirklich konnte!“ hätte es in allen Sälen und dem Internet geschrien. Daran ist auch nichts Verwerfliches, denn wir wollen schließlich nach so vielen Filmen und dem Geld, das wir bereits investiert haben, ein großes Spektakel erleben. Nur ist die Herangehensweise Marvels und Disneys vielleicht die falsche, denn betrachten wir einmal die Liste der bislang in „Infinity War“ vermeintlich verstorbenen Helden näher.


Bei so viel Gedankengut schreit nicht bloß Thor vor Kopfschmerz.

Doctor Strange, Spider-Man, fast alle der Guardians of the Galaxy, Vision, Bucky, Scarlet Witch und sogar Black Panther! Dabei waren das noch nicht einmal alle. Und genau mit der erwähnten Wahl verrät sich Marvel und lässt das bittere Kalkül durchschimmern. Eindeutiger wird es beim Blick der verschonten Hinterbliebenen: Iron Man, Captain America, Thor, Hulk, Black Widow, Rocket Raccoon. Dabei sind letztere fast alle Figuren des „originalen“ Avengers-Teams, dessen Schauspielerinnen und Schauspieler nur noch einen vertraglich geregelten Film bei Marvel unterzeichnet haben. In den meisten Fällen sind es gar Mimen, die bereits offen zugegeben haben, den Anzug bald an den Nagel zu hängen, wie Chris Evans. Und genau hier liegt der Hund begraben. Letztlich wird den hinterbliebenen Schauspielern zwar noch einmal mit dem kommenden „Avengers 4“ eine letzte Bühne geboten, aber auf Kosten der Glaubwürdigkeit und der Gutgläubigkeit des gemeinen Zuschauers. Hier wird in „Infinity War“ ein Elend gezeichnet, um den Kinogängern Emotion zu entlocken und die Kassen klingeln zu lassen, wobei jedoch jedem klar sein sollte, dass die meisten „verstorbenen“ Helden bereits angekündigte Fortsetzungen in den Startlöchern haben (Spider-Man, Guardians) oder einfach zu frisch und lukrativ sind (Black Panther, Doctor Strange). Gerade im Falle eines Black Panthers, der bereits zu den Top 10 Filmen an den Kinokassen aller Zeiten zählt, wird klar, dass der Tod nicht lange hält. Einzig der Tod von Gamorra trägt wirklich zur Story bei und wird wahrscheinlich gerade deshalb eher haften bleiben.

Aber gerade, wenn es um einen Handschuh geht, der mit einem Fingerschnippen die gesamte Realität ändern kann, ist der Deus Ex Machina bereits über der Bühne schwebend versteckt. Somit ist es auch unvermeidlich, dass der eine oder andere Held in „Avengers 4“ einen erneuten epischen Heldentod sterben wird. Böse gesagt kann man die Liste der Hinterbliebenen mit der der Toten für „Avengers 4“ geradewegs umtauschen. Die Toten werden wieder leben und die Lebenden werden das Zeitliche segnen. Nur um erneut an den Nerven der Zuschauer zu knabbern. Der eine oder andere wird zwar unweigerlich tot bleiben (Loki & Gamorra – hust), bis es dann aber ganz nach Comicmanier das Hintertürchen der Wiederauferstehung gibt, wie auch „Infinity War“ ein klein wenig kreativer, aber letztlich erklärungslos, mit dem Red Skull unter Beweis stellte. Und spätestens wenn Doctor Strange zu Iron Man flüstert, dass es so „kommen musste“, sollte im Zuschauer die Warnlampe angehen, die besagt, dass der zuvor noch zeitreisende Strange das „eine erfolgreiche“ Endszenario bereits sah, das aber zunächst mit der Abgabe des Zeitsteins und der Dezimierung der halben Bevölkerung begann. Eben alles eiskalt durchdacht, kalkuliert und dann am Zuschauer vorbei zu Ende gebracht. Ganz wie es Marvel mit dem Film selbst tat.

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