10. September 2018 4 Likes

Kleines Mond-Einmaleins

Eis auf den Polkappen? Das ist meiner Mondstadt egal

Lesezeit: 3 min.

Als ich meinen Roman „Der Marsianer“ schrieb, lautete der Stand der Forschung, dass das wenige Wasser, das es auf dem Mars gibt, ausschließlich an den Polen zu finden sei. Dann, nach Erscheinen des Buches, landete die Curiosity-Sonde auf dem roten Planeten und fand heraus, dass im Marsboden gewaltige Wassermengen stecken. Mark Watney hätte sich den großen Aufwand zur Wassergewinnung also sparen können – er hätte einfach nur etwas Dreck aufwärmen müssen.

In „Artemis“, meinem jüngsten Roman, der Anfang des Jahres in Deutschland erschienen ist, geht es um eine Stadt auf dem Mond. Und jetzt meldet die NASA, dass es an den Polkappen des Mondes Eis gibt. Hat mir der wissenschaftliche Fortschritt etwa schon wieder in die Suppe gespuckt?

Persönlich haut mich diese Entdeckung ziemlich vom Hocker, und ich bin gespannt, wie sie die Weltraumforschung verändern wird. Es ist durchaus denkbar, das Wasser mit automatisierten Systemen zu sammeln, es durch Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen und Raketentreibstoff daraus herzustellen. Ein großer Treibstoffvorrat, der sich schon außerhalb des Gravitationsfeldes der Erde befindet, ist für die Erforschung des Weltraums Gold wert.

Für die Bewohner der fiktiven Stadt Artemis spielt das allerdings keine Rolle. Und das hat ganz einfach wirtschaftliche Gründe.

In der Welt von „Artemis“ sorgen miteinander konkurrierende Raumfahrtunternehmen dafür, dass es erstaunlich billig geworden ist, etwas in den Erdorbit zu transportieren. Auch der Personenverkehr zum Mond ist inzwischen so preisgünstig, dass eine Urlaubsreise dorthin schon für umgerechnet 70.000 Dollar zu haben ist. Wenn Sie mehr zu diesem Thema wissen wollen: Ich habe für den Business Insider einen Artikel über diese wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geschrieben. In aller Kürze geht es um Folgendes: Im „Artemis“-Universum kann man eine sechs Kilogramm schwere Masse für tausend Dollar von der Erde zum Mond schicken. Eine der Schlüsselindustrien der Mondstadt ist außerdem die Aluminiumgewinnung; auf der Mondoberfläche gibt es massenweise Aluminium, und bei der Verhüttung entsteht Sauerstoff als Nebenprodukt.

Die zukünftigen Mondkolonisten brauchen Wasser aus zwei Gründen: zum Trinken und zur Treibstoffherstellung. Sehen wir uns beides einmal genauer an.

Das Trinkwasser in Artemis ist Teil eines geschlossenen Kreislaufs. Die Menschen trinken es und scheiden es wieder aus, woraufhin es gereinigt wird. So geht es immer weiter, was bedeutet, dass die Stadt im Prinzip kein Wasser verbraucht; es läuft nur ständig entweder durch Menschen oder durch Aufbereitungsanlagen. Mit Zunahme der Bevölkerung steigt auch der Wasserbedarf, aber Wasserstoff zu importieren ist ja nicht teuer. Für tausend Dollar kann man sich sechs Kilo irdischen Wasserstoff liefern lassen, was in Kombination mit dem reichlich vorhandenen Sauerstoff 54 Kilogramm (also 54 Liter) Wasser ergibt. Einen Liter Wasser auf dem Mond zu erzeugen kostet demnach 18,50 Dollar.

Die Haupteinnahmequelle von Artemis ist der Tourismus. Die Stadt befindet sich in der Nähe des Landepunktes von Apollo 11, also am Mondäquator und damit so weit wie nur möglich von den Polkappen entfernt. Um sich das Wasser von dort zu holen, wäre eine 2700 Kilometer lange Pipeline nötig. Für die Bewohner von Artemis ist es also viel ökonomischer, weiter Wasserstoff von der Erde zu importieren als dieses aufwendige Bauvorhaben in Angriff zu nehmen.

Und was den Raketentreibstoff angeht: Artemis stellt ihn bereits her, nur nicht aus Wasserstoff und Sauerstoff, sondern aus Aluminium und Sauerstoff (den beiden Erzeugnissen der Aluminiumhütten). Ein solcher „Aluminium-Treibstoff“ wurde schon in den Festtreibstoff-Boostern des Space-Shuttles eingesetzt - ein leistungsfähiger Treibstoff also, der in Artemis noch dazu fast unbegrenzt produziert werden kann.

In der realen Welt ist das Polareis auf dem Mond für die Wissenschaft eine unglaublich wichtige Entdeckung. In der fiktionalen Welt von „Artemis“ dagegen ist das bisschen Wasser nicht der Mühe wert.

 

Andy Weir ist der Autor des weltweiten Bestsellers „Der Marsianer“ (im Shop), der von Ridley Scott eindrucksvoll verfilmt wurde. Mit seinem zweiten Roman „Artemis“ (im Shop) entführt er seine Leserinnen und Leser auf den Mond.

Dieser Text ist im Original im Online-Magazin Nautilus erschienen.

 

 

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