28. Februar 2019 1 Likes

Philosophischer SF-Psychothriller

Philip K. Dick lässt grüßen: Iain Reids Zukunftsroman „Enemy“

Lesezeit: 2 min.

Auf Deutsch wird Iain Reids neuer Roman „Foe“ kurioserweise zu „Enemy“. Außerdem vermarktet man das von Anke und Eberhard Kreutzer übersetzte Buch offensiv als Psychothriller, obwohl die Geschichte in der nahen Zukunft einsetzt und klassische bis aktuelle Science-Fiction-Elemente nutzt.

Ich-Erzähler Junior lebt mit seiner Frau Henrietta auf einer abgelegenen Farm in Kanada, wo die Dinge zwischen ihnen nicht gerade zum Besten stehen. Eines Abends bekommen sie auch noch Besuch von einem Fremden. Terrance ist für das verstaatlichte Raumfahrtprogramm der Firma OuterMore tätig, die auf die Verbesserung der Menschheit durch Fortschritt und konkret auf die Besiedlung des Weltraums hinarbeitet. Terrance erzählt, dass Junior aufgrund von Reizwörtern, die man mithilfe der Mikrofone in den allgegenwärtigen Screen-Gadgets abfischte, ins nichtfreiwillige Auswahlprogramm für die Installation einer Raumstation gelost wurde. Diese Entwicklung wirft allerhand Fragen auf und erzeugt weitere Risse in der Ehe. Schließlich nimmt das Projekt immer mehr Einfluss auf das Leben im kanadischen Nirgendwo. Terrance zieht sogar bei den Eheleuten ein und sammelt mit Kameras und in gezielten Befragungen alle möglichen privaten Daten, bevor Junior ins All aufbrechen und auf der Erde durch einen künstlichen Stellvertreter ersetzt werden soll. Junior hat derweil immer größere Schwierigkeiten, seine Realität und seine Gefühle zu sondieren …

Die Texte des 1980 geborenen Iain Reid erscheinen u. a. im „New Yorker“ und in der „National Post“. Bereits „The Ending – Du wirst dich fürchten“, der sprachlich überragende Romanerstling des Kanadiers, bot eine intensive und psychologisch komplexe, aber irgendwann recht ermüdende Tauchfahrt in die labyrinthische Gedankenwelt und in die Beziehung seiner Protagonistin. „Enemy“ tickt ähnlich und ist nicht weniger stilsicher oder interessant erzählt, jedoch deutlich packender. Sein Science-Fiction-Szenario erweckt Reid mit nebensächlicher Lässigkeit zum Leben, ohne die sengende Hitze in Folge des Klimawandels, das Tierhaltungsverbot für Privatleute oder selbstfahrende Autos weiter zu erläutern. Aber der SF-Hintergrund, den man sich zusammenpuzzeln muss, funktioniert genauso gut wie die unbehagliche Stimmung zwischen den Protagonisten. Der Geist von Philip K. Dick scheint obendrein viele der Gedanken zu Wirklichkeit, Menschlichkeit und Morgen im Buch durchdrungen zu haben. Anfangs warten einige Überraschungen, wenngleich die Auflösung recht früh durchschaut werden kann. Die inhaltlich und selbst formal dann wiederum gut inszenierte Pointe, für deren Vorbereitung rückschauend vielleicht nur etwas viele Seiten verbraucht wurden, würde vom Mut und dem nachhallenden Impact her auch zu einer feinen Kurzgeschichte passen, und sowieso wieder zum Schaffen von PKD.

Iain Reids „Enemy“ präsentiert sich über weite Strecken als ein faszinierender und lohnenswerter, auf interessante Weise andersartiger SF-Roman über unsere unmöglichen Beziehungen und unsere mögliche Zukunft. Umso mehr, wenn man bedenkt, wie leicht man ihn als Science-Fiction-Fan einfach übersehen könnte.

Iain Reed: Enemy • Droemer, München 2019 • 301 Seiten • Paperback: 14,99 Euro

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