20. Juni 2019 2 Likes

Hartgekochter Mars-Cyberpunk

„Mars Override“: Der neue Roman von Richard Morgan („Altered Carbon“)

Lesezeit: 3 min.

In den letzten Jahren schrieb der Engländer Richard Morgan (im Shop) vor allem epische Fantasy, außerdem wurde sein mit dem Philip K. Dick Award ausgezeichneter Science-Fiction-Roman „Altered Carbon – Das Unsterblichkeitsprogramm“ (im Shop) aus dem Jahre 2002 von Netflix als Serie adaptiert, Staffel zwei ist bereits in Arbeit. Jetzt hat Morgan mit „Thin Air“ alias „Mars Override“ (im Shop) einen über 700 Seiten starken neuen Cyberpunk-Thriller vorgelegt, den man angesichts des multimedialen Unsterblichkeitsprogramms und der damit verbundenen Aufmerksamkeit für Morgan und sein Schaffen sicher als SF-Pflichtprogramm bezeichnen sollte.

Erzählt wird „Mars Override“ aus der Sicht von Hakan Veil, der in eine menschliche Kampfmaschine für interstellare Einsätze verwandelt wurde. Als so genannter Overrider, der auf seinen Missionen so gut wie alles und jeden überwinden kann, hat man Veil künstlich, technologisch und postorganisch massiv modifiziert und verstärkt, seine Synapsen sogar an eine künstliche Intelligenz gekoppelt. Aus diesem Grund liegt er jedes Jahr vier Monate im Koma, überdies läuft er emotional schnell heiß und wird leicht erregbar, sodass er seinen gewaltigen Hunger nach Gewalt und Sex mühsam im Zaum halten muss. Zumal Veil von seiner Firma fallengelassen wurde, in der Folge nicht mehr alle Updates für seinen Körper kriegt und sein Dasein als Söldner und Leibwächter auf dem Mars fristet. Denn die Menschheit brach schon vor geraumer Zeit zu den Sternen auf, allerdings wird kaum noch in den Ausbau der High Frontier investiert. Mars-Metropolen wie Bradbury schmiegen sich unter künstlich codierter Atmosphäre in gewaltige Canyons des Roten Planeten, doch das Terraforming in der Kolonie stagniert. Dafür florieren Kapitalismus, Korruption und Kriminalität auf dem von Firmeninteressen beherrschten Mars. Dann rücken auch noch Revisoren von der verhassten Erde an, und plötzlich steckt Veil bis zum Hals im einem undurchsichtigen, gefährlichen Auftrag. Bald wird die Luft selbst für den berüchtigten übermenschlichen Overrider dünn …


Richard Morgan

Obwohl „Mars Override“ im selben Universum wie Richard Morgans Roman „Skorpion“ von 2007 angesiedelt ist, kann man ihn problemlos als eigenständiges Werk betrachten und lesen. In der Manier von Genre-Großmeister William Gibson wirft der 1965 in Norwich geborene Morgan seinen Leser in eine fertige, üppige Welt zwischen Cyberpunk und Biopunk. Mit jeder Seite erschließen sich einem die Beschaffenheit von Veil und dem Mars der Zukunft ein bisschen mehr – die unzufriedenen, überwachten Marsbewohner erhalten mittels mechanischer Codier-Fliegen die Updates für ihre Headgears und Visors, gebaut und geheilt wird mit Nanotechnologie. Im gelegentlichen „Marstech-Porno“, wie es im Roman einmal genannt wird, liegt ebenso viel Vergnügen wie im zynischen Hardboiled-Sound oder den extrem harten Action-Szenen. Darüber hinaus leistet „Mars Override“ für den Roten Planeten das, was Ian McDonaldsLuna“-Trilogie für den Mond tut: Ein gehaltvolles, komplexes Szenario und eine packende Story liefern einen schmutzigen, vermutlich realistischeren Gegenpol zu nostalgischen und gegenwärtigen Weltraumbesiedelungs-Fantasien. Hightech war schließlich noch nie eine Garantie für Utopia, im Gegenteil, und nirgends wird das deutlicher als in den besten Beiträgen des Cyberpunk, in denen Mensch und Technik auf dieselbe Weise verschmelzen wie Krimi und Science-Fiction.

Insofern ist Richard Morgans „Mars Override“ nicht nur ein geradezu mustergültig zynischer, dreckiger und hartgekochter Macho-Krimi über den Mars, sondern sicher auch der beste Cyberpunk-Roman, den man dieses Jahr lesen kann.

Richard Morgan: Mars Override • Aus dem Englischen von Bernhard Kempen • Heyne, München 2019 • 733 Seiten • E-Book: 12,99 Euro (im Shop)

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