5. Juli 2019 1 Likes

Operation: Kindeswohlgefährdung

„Stranger Things“-Staffel 3: Mit Charme, Hammer und Sichel

Lesezeit: 5 min.

Fans amerikanischer 80er-Filme wissen: Russen geben verdammt gute Feinde ab. Und es wurde so langsam Zeit, dass sich der kalte Krieg im fiktiven Städtchen Hawkins von 1985 blicken lässt. Das dachten sich wohl auch die Duffer-Brüder Matt und Ross, ihrerseits Erfinder und Hauptautoren wie –regisseure hinter dem Netflix-Hit „Stranger Things“, der seit dem 4. Juli in die dritte Runde geht mit acht neuen Episoden. Während es in der zweiten Staffel darum ging, die Welt rundherum um Hawkins weiter zu öffnen, lädt das Städtchen die Welt diesmal zu sich ein.

Die „Dungeons & Dragons“-Gruppe um Mike, Eleven, Will, Lucas und Max heißt den verlorenen Sohn Dustin, nach einem Aufenthalt im Wissenschaftscamp, wieder Zuhause willkommen und staunt nicht schlecht, als dieser berichtet, er hätte eine schlaue, wunderschöne Freundin, mit der er jedoch zurzeit wörtlich nur im Funkkontakt steht. Liebe liegt generell in der dritten Staffel in der Luft, während Fanliebling und Telekinetin Eleven und Mike ihre Zweisamkeit genießen, sehr zum Bedauern von Polizeichef und El-Ziehvater Hopper und Lucas’ Freundin Maxine, die sich trotz der Liebeleien mit Lucas ihre persönlichen Freiheiten nicht nehmen lassen will und auch das trotzige Gefühl hat, Eleven solle sich auch mal mehr Zeit für sich selbst nehmen. Und dabei möchte der buchstäblich verlorene Sohn der ersten beiden Staffeln, Will Byers, doch nur eine vernünftige Runde „D&D“ spielen, was beinahe zum Runninggag verkommt. Anderorts bereitet sich jedoch der Gedankenschinder, das Ungetüm der zweiten Staffel, erneut auf eine Rückkehr vor, während sich auch die rote Gefahr aus dem Osten auf einen geheimen Schlag auf amerikanischen Boden vorbereitet.


Steve und Dustin bilden erneut ein Dreamteam mit Neuzugang Robin

Wie bereits die zweite Staffel zeigte, schafft es „Stranger Things“ vorbildlich etliche Handlungssträngen Luft zu verschaffen und keine Figur des inzwischen immensen Casts zu kurz kommen zu lassen. Dustin macht schnell über Funk eine russische Übertragung ausfindig und begibt sich mit den ehemaligen Schultyrannen und neuem besten Kumpel Steve auf die Suche nach dem Ursprung des Funkspruchs. Mit im Schlepptau befinden sich der charmante Neuzugang Robin (Uma Thurmans und Ethan Hawkes Tochter Maya Hawke) und die großmäulige Erica, Lucas’ kleiner Schwester. Zeitgleich kämpfen sich Hopper (David Harbour) und Wills Mutter Joyce (Winona Ryder) durch den mysteriösen Fall verschwindender Magnetfelder und Mikes und Wills Geschwister Nancy (Natalia Dyer) und Jonathan (Charlie Heaton), die bei der Lokalzeitung arbeiten, wollen bloß herausfinden, was es mit dem immensen Schwund der Rattenpopulation auf sich hat. Aber auch Maxines Bruder Billy (Dacre Montgomery) kommt dieses Mal nicht zu kurz, während er bereits nach kurzer Zeit zum neuen Wirt des Gedankenschinders wird. Auch wenn die vielen Handlungsstränge der dritten Staffel zunächst lose wirken, laufen alle zum Schluss auf dasselbe Ziel zu und treffen in einem fulminanten Finale aufeinander. Aber dazu später mehr.


Billy bekommt diesmal nicht nur deutlich mehr Screentime, sondern auch einen bösen Anstrich

Die Staffel strahlt vielerorts und trumpft besonders bei den Creature-Effects und dem CGI auf. Während die Effekte bereits in den ersten beiden Staffeln beachtlich waren, fallen sie nun schon atemberaubend aus und sehen besser aus als vieles, was man im großen Hollywood-Kino zu sehen bekommt. Unerwarteterweise wirkt auch die Action deutlich brachialer, gekonnt choreographiert und geschnitten, während sich Hopper immer wieder mit einer russischen Nemesis durch die Gegend prügelt oder ungefähr jeder des Ensembles mindestens einmal gegen eine Wand geworfen wird. Darüber hinaus ist aber besonders die Nutzung ausgewählter Musikstücke zu loben. Der gewohnt geniale Score von Kyle Dixon und Michael Stein gibt der Serie erneut den wichtigen Flair, aber der Soundtrack gibt der dritten Staffel einen neuen Reiz, wenn an passender Stelle im Schwimmbad Foreigners „Hot Blooded“ eingespielt wird, oder Eleven und Max auf amüsante Shoppingtour zu Madonnas „Material Girl“ gehen.

Auch der Humor kommt nicht zu kurz und ist erneut voll von kleinen charaktergebenden Momenten, während ein euphorisch-siegreicher Jim Hopper den jungen Mike einschüchtert und plötzlich Jim Croces „You Don’t Mess Around With Jim“ läuft, oder Mike und Dustin wie Doc Brown und Marty McFly über Funkgeräte überrascht-freudig ihre Namen im Wechsel schreien. Aber hier offenbart sich auch eine Seite, die man so noch nicht in „Stranger Things“ kannte und auch nicht nötig hatte. Die dritte Staffel wartet vielerorts mit etwas aufgedrücktem Humor auf, der nicht immer zündet, oder schlichtweg wie aus einer 0815-US-Komödie wirkt, wenn dann die kleine, großmäulige Erica den unausstehlichen Besserwisser mimt oder mit Schimpfworten um sich wirft, die natürlich nicht ihrem Alter entsprechen. So etwas hatten die charmanten und witzigen Momente der vorherigen Staffeln nicht nötig, darum stellt sich hier die Frage, warum die Autoren plötzlich in vielen Fällen zu solch ausgelutschten Klischees greifen, die sich leider immer wieder über die ganze Staffel einschleichen, dem Ganzen aber zum Glück keinen Abbruch tun.


Eleven und Max werden in dieser Staffel aber nicht bloß mit Mode und Eiskreme konfrontiert

Das Erzähltempo der Staffel gleicht einer Achterbahn ohne wirkliche Tiefen und keiner der etlichen Stränge langweilt oder wirkt aufgeklatscht. Das einzige Problem, das sich dadurch ergibt, ist, dass es kaum wirklich herausragende Höhepunkte oder Folgen gibt, was jedoch den äußerst gut getimten Skripten zu schulden ist. Der wahrscheinlich beste Moment der ganzen Staffel kommt im Finale und erschlägt den Zuschauer fast mit Liebreiz und Charme, der mit Limahls Klassiker „Never Ending Story“ und Dustin aufwartet. Besagter Moment spricht für die Kraft der Autoren, Charaktere und der Serie, der so unerwartet und scheinbar deplatziert wirkt, und allein auf dem Papier die Folge zerstören könnte – und trotzdem die Herzen im wörtlichen Sturm erobert.

Die dritte Staffel ist mehr denn je ein gigantischer, acht Stunden langer Film, der in einem äußerst emotionalen und großartigen Finale endet. Dass „Stranger Things“ auch hier und da auf die Tränendrüse drücken will, zeigte sich mehrfach in der zweiten Staffel, aber erst das Finale der dritten Staffel wird dort wirklich von Erfolg gekrönt und hebt letztlich die dritte Staffel als bislang beste hervor. Da hat sich auch die längere Wartezeit von 18 Monaten gelohnt, denn „Stranger Things“ beweist erneut, warum die Serie zum Besten gehört, das Netflix zu bieten hat.

Die dritte Staffel von „Stranger Things“ ist seit dem 4. Juli 2019 auf Netflix einsehbar.

Stranger Things: Season 3 • USA 2019 • Regie: u.a. Matt & Ross Duffer • Darsteller: Finn Wolfhard, Millie Bobby Brown, Winona Ryder, David Harbour, Caleb McLaughlin, Gaten Matrazzo, u.v.m.

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