2. September 2019

Bound

Das abgedrehte Action-RPG „Astral Chain“ für Switch im Test

Lesezeit: 5 min.

Futuristische Cop-Spezialeinheiten in der Mitte des 21. Jahrhunderts, die mit gezähmten digitalen Spektralwesen deren eigene Monsterkollegen aus einer anderen Dimension bekämpfen? Wem bei einer solchen „Stellenbeschreibung“ Zweifel ob der nicht vielleicht zu trashigen Unterhaltsamkeit kommen, sollte diese schnell ad acta legen. Schließlich handelt es sich bei Astral Chain um den neuesten Streich von Platinum Games, deren Name durchaus Klang erzeugt. Ein Studio, das mit nerdigen, meist ob ihrer Eigenwilligkeit hochgelobten Produktionen wie dem Actionfest Bayonetta oder dem melancholischen Androiden-RPG Nier: Automata eine Handschrift etablierte, die vielen Konkurrenten in ähnlich markanter Form abgeht.

Wer sich etwa nur einen einzigen Videoschnipsel der haareschwingenden Stiletto-Hexe Bayonetta ansieht, weiß sogar als Laie sofort, wie das zu verstehen ist. Furiose Kampfsysteme voller bildschirmfüllender Effekte und ein Hang zu ausschweifender Surrealität, sind nur einige der Kernelemente fast jedes echten Hits aus dem Hause Platinum Games. Mit Astral Chain, das am 30. August exklusiv auf Nintendos Hybridkonsole Switch erschien, schlagen die Japaner ein weiteres Kapitel ihrer Erfolgsstory abseits ganz großer Blockbuster-Zahlen auf und beherzigen altgediente Qualitäten.

Zu Beginn unseres ersten Streifzuges durch eine neondurchflutete Metropole als frisch rekrutierter Cop steht die Wahl zwischen einem männlichen oder weiblichen Part an, um in der Folge als Zwillingspaar gemeinsam für Recht und Ordnung zu sorgen. Sofort fällt auf, wie sehr sich die Entwickler mit der im Vergleich zu PS4 und Xbox One technisch reduzierten Hardware der Switch arrangiert haben. Speziell die intensive, sehr reduzierte Farbgebung in Kombination mit dem kantigen Anime-Stil kaschieren geschickt die Schwäche der Nintendo Konsole und sorgen für ein prickelnd düsteres, überraschend flüssig präsentiertes Sci-Fi-Flair, das sich ebenso beim Design der fantasievollen Gegner zu beachtlichen Höhen aufschwingt. Das sieht man auf der Switch eher selten. Good Job, Platinum.

In den Missionen warten nicht nur auf Kämpfe, sondern wir müssen entsprechend unserer Profession als Polizist detektivische Aufgaben lösen, indem wir etwa andere Figuren belauschen und so an Hinweise gelangen. Vergleichbar mit Spielen wie Sherlock Holmes oder The Sinking City (hier nochmal unser Test) erkunden wir klar definierte Tatorte nach Spuren, die wir anschließend in unserer Fallakte sammeln und auf dem Revier mit Kollegen auswerten. Wer vor Ort nicht selbst auf alle Hinweise kommt, greift auf eine spezielle Sicht zurück, die Auffälligkeiten praktischerweise hervorhebt. Trotz zunehmender Redundanz im Ablauf, trägt der Krimi-Part zur gekonnten Auflockerung zwischen den betont knalligen Gefechten und ruhigeren (Dialog-)Passagen bei, ohne sich zu aufdringlich in den Vordergrund zu spielen. Vielmehr akzentuieren sie die meist adrenalinfördernden Gefechte, indem sie eine gediegenere Stimmung verbreiten und Einblicke in das schnittige Zukunftssetting gewähren.

Gleiches gilt für die Übergänge zwischen der Stadt und der anderen Dimension der feindlichen Wesen namens Chimära, in die wir des Öfteren eintreten müssen, wobei wir beispielsweise entführte Opfer befreien, Kindern helfen oder sogar den Umweltschutz(!) unterstützen. Fast überall gibt es in Astral Chain etwas zu entdecken. Wer daher als Erkundungsfan ein Faible für Sidequests mit stimmigem Belohnungssystem hat, kommt hier mittels zahlreicher optionaler Angebote definitiv auf seine Kosten.

Mittelpunkt des Geschehens sind aber die Kämpfe, denen es wie gewohnt weder an Tiefe noch an Wow-Momenten fehlt. Obwohl wir im Duett mit unserem KI-Partner zunächst neben Standards wie Ausweichen oder Heilitems (auswählbar über ein frei belegbares Menü) nur die Wahl aus wenigen Angriffen haben – die dazu auch nur mit einem Button verhältnismäßig simpel ausgeführt werden -, bestimmen unsere fünf buchstäblich an der Leine mitgeführten Legions, wie elegant oder wuchtig wir den wilden Chimäras einheizen wollen. Interessant dabei: Wer will, kann sich mit einem weiteren Mitspieler die Steuerung teilen. Dann übernimmt ein Spieler die Hauptfigur, während der andere einen Legion spielt, sodass gemeinsame Aktionen viel Koordination erfordern und im Idealfall bei Könnern einen ganz eigenen Flow erzeugen.

Denn die mit uns verbundenen Wesen verfügen über verschiedene Fähigkeiten auf dem Boden oder in der Luft, die wir mithilfe einer begrenzten und besonders über eigene Attacken wiederaufladbaren Energie gezielt beschwören können. Das funktioniert nach kurzer Einübung bereits ziemlich geschmeidig und macht im Zusammenspiel (Stichwort Kombos mit eingeschwungener Kette) gerade gegen gewaltige Bossgegner mächtig Laune. Dabei gilt: Je besser unser Timing, desto gewaltiger der Effekt.

So erworbene Fähigkeitspunkte lassen sich zur Aufwertung der Wesen wie der eigenen Ausrüstung im Polizeihauptquartier benutzen und ein begrenzt einsetzbarer Defibrillator hilft in allergrößter Todesnot. Auch wenn die Gefechte oft kurz vor der Bildschirmüberhitzung stehen und dabei die mangelnde Übersicht gerne mal das Ableben provoziert, bleibt das spielerisch anspruchsvolle Treiben dank fairer Rücksetzpunkte und insgesamt moderatem Schwierigkeitsgrad machbar.

Das gilt auch für die insbesondere in der Spektraldimension verteilten Rätsel, bei denen wir ebenfalls auf die Fähigkeiten unserer Begleiter angewiesen sind – etwa bei Schalteraktivierungen oder der flinken Überquerung zerbröckelnder Übergänge. In den nicht zu Unrecht mit Dungeons vergleichbaren Gebieten kommt fast ein wenig Zelda-Feeling auf. Wer hätte das je von einem Platinum-Titel erwartet! Dem Lob muss jedoch gleich Kritik folgen, denn die anfangs von der Atmosphäre stimmungsstark eingeführte Story kommt leider selbst nach Stunden innerhalb der gut 25-stündigen Story nicht recht in Fahrt und verpasst es gerade bei unserem stummen Protagonisten bzw. unserer Protagonistin, eine wirklich nachvollziehbare und vor allem fesselnde Charakterentwicklung nachzuzeichnen. Hier verschenkt Astral Chain auch aufgrund einiger ungeschickt platzierter Wendungen unnötig Potenzial, die selbst für ein japanisches Storytelling zu viel Kopfschütteln hinterlassen. Schade.

Dennoch überwiegt eindeutig das Positive, da Astral Chain mit seiner dynamischen Mischung aus Detektiv-Adventure, Dungeon-Explorer und rassiger (Koop-)Action einen der spannendsten Titel für Switch seit langem markiert. Die eingängige Steuerung motiviert zum Ausprobieren selbst schwierigerer Kettenmanöver und das ansprechende Artdesign lässt uns auch im Handheld-Modus zeitweise vergessen, es hier „nur“ mit einem Switch-Spiel zu tun zu haben. Sogar der oftmals treibende, nie nervende oder gar situativ unpassende Soundtrack ist zum Schluss noch eine Erwähnung wert. Ein Bayonetta ist Astral Chain zwar trotzdem nicht. Aber hey, es muss ja nicht immer gleich der Olymp sein.

Fazit

Actiongeladener, leider nicht sonderlich gut erzählter Ritt auf der Rasierklinge, der mit einem ungewöhnlichen Genre-Mix und packendem Setting punktet.

Astral Chain • Platinum Games/Nintendo • Action-RPG • Switch

Abb. © Platinum Games/Nintendo

 

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