Gratuliere, Sie haben ein Match!
Eine erste Leseprobe aus John Marrs' Near-Future-Bestseller „The One“
Die Idee, die John Marrs‘ Roman „The One“ (im Shop) zugrunde liegt, ist einfach. In der nahen Zukunft findet man per DNA-Analyse heraus, wer der perfekte Partner für einen ist. Das ist zugegebenermaßen nicht ganz neu, doch was der Autor daraus macht ist brillant. Geradezu virtuos spielt er auf der Klaviatur der menschlichen Abgründe und wirft einen bitterbösen Blick auf die Zukunft des Online-Datings. In England ist der Roman ein Riesenerfolg, auf Deutsch ist er ab Anfang Oktober erhältlich. Um Ihnen die Wartezeit bis zum Erscheinungstermin zu verkürzen, haben wir vorab eine erste Leseprobe bereitgestellt.
1
MANDY
Gebannt starrte Mandy auf den Bildschirm.
Der junge Mann auf dem Foto hatte kurzes, hellbraunes Haar und stand breitbeinig an irgendeinem Strand. Die obere Hälfte seines Neoprenanzugs hatte er bis zur Hüfte hinuntergezogen. Er hatte hellblaue Augen, und sein Lächeln zeigte zwei Reihen makelloser weißer Zähne. Mandy konnte das Salzwasser förmlich schmecken, das von seiner Brust auf das Surfbrett zu seinen Füßen tropfte.
»O mein Gott«, flüsterte sie. Ohne es zu bemerken, hatte sie den Atem angehalten. In ihren Fingerspitzen kribbelte es, und sie spürte, dass sie rot wurde. Wenn sie schon so auf ein Foto reagierte – was würde dann erst in ihrem Körper passieren, wenn er leibhaftig vor ihr stand?
Der Kaffee in dem Styroporbecher war kalt, aber sie trank ihn trotzdem aus. Dann machte sie einen Screenshot von dem Foto und speicherte ihn in dem Ordner »Richard Taylor«, den sie gerade auf ihrem Desktop angelegt hatte. Sie sah sich um, ob eine ihrer Kolleginnen mitbekam, was sie da im Stillen trieb. Aber niemand beachtete sie.
Sie scrollte nach unten und sah sich die anderen Fotos in Richards Facebook-Album an, das den Titel »Rund um die Welt« trug. Er reiste viel und war schon an Orten gewesen, die Mandy nur aus Filmen oder dem Fernsehen kannte. Jede Menge Bilder zeigten ihn in Bars, auf Wanderwegen oder vor Tempeln. Er posierte vor berühmten Gebäuden, an paradiesischen Stränden oder mit einem aufgewühlten Ozean im Hintergrund. Meist befand er sich dabei in einer Gruppe. Mandy gefiel die Vorstellung, dass er gern unter Leuten war.
Neugierig verfolgte sie seine Timeline, seine ersten Schritte in den sozialen Medien während der Oberstufe sowie in den drei Jahren, die er an der Universität verbracht hatte. Selbst den unbeholfenen Teenager von damals fand sie attraktiv.
Als sie sich nach anderthalb Stunden fast die gesamte Geschichte des schönen Fremden angesehen hatte, ging sie auf seinen Twitter-Account, um zu lesen, was er der Welt mitzuteilen hatte. Aber dort ereiferte er sich nur über Erfolg und Misserfolg von Arsenal London in der Premier League oder teilte hin und wieder Filmchen von Tieren, die irgendwo dagegen rannten oder von irgendetwas herunterfielen.
Ihre Interessen schienen sogar ziemlich unterschiedlich zu sein, und Mandy fragte sich allmählich, warum ausgerechnet sie beide Matches sein sollten und was sie wohl gemeinsam hatten. Aber dann fiel ihr wieder ein, dass diese Fragen, die sie sich früher gestellt hatte, als sie noch Online- Partnerbörsen oder Dating-Apps benutzt hatte, jetzt belanglos waren. Match Your DNA basierte auf wissenschaftlichen Daten, auf biologischen und chemischen Fakten. Zwar verstand sie nicht das Geringste davon, aber wie Millionen anderer Menschen auch vertraute sie dem Verfahren voll und ganz.
Auf Richards LinkedIn-Profil erfuhr sie, dass er seit seinem Abschluss an der Worcester University vor zwei Jahren in einer etwa vierzig Meilen entfernten Stadt als Personal Trainer arbeitete. Kein Wunder, dass er so fit und muskulös war, dachte Mandy, und versuchte sich vorzustellen, wie es sich wohl anfühlen mochte, seinen Körper auf ihrem zu spüren.
Seit sie vor einem Jahr bei einem Probetraining gewesen war, hatte sie kein Fitnessstudio mehr von innen gesehen. Ihre Schwestern hatten damals gesagt, sie solle aufhören, ihrer gescheiterten Ehe nachzutrauern, und zusehen, dass sie wieder auf die Beine kam. Sie hatten sie in das Spa eines Hotels in der Nähe geschleift, und dort hatte sie sich massieren, die Härchen zupfen und waxen lassen, hatte heiße Steine verpasst bekommen, hatte sich bräunen und dann noch einmal massieren lassen, bis auch der letzte Gedanke an ihren Ex aus den Knoten in Rücken und Schultern und den verstopften Poren ihrer Haut herausgeknetet war. Anschließend hatte sie sich im Fitnessstudio angemeldet und ihren Schwestern versprochen, den Trainingsplan, den man dort für sie ausgearbeitet hatte, zu beherzigen. Bisher hatte sie es zwar noch nicht geschafft, sich jede Woche zum Training aufzuraffen, zahlte aber trotzdem regelmäßig ihren Beitrag. Sie malte sich aus, wie ihre und Richards Kinder aussehen würden, ob sie wie ihr Vater blaue Augen hätten oder, wie sie selbst, braune, ob sie ihr dunkles Haar und ihre olivfarbene Haut bekämen oder helle Typen sein würden – wie er. Der Gedanke brachte sie zum Lächeln.
»Wer ist das denn?«
»Mein Gott!«, rief Mandy. Die Stimme hatte sie hochfahren lassen. »Hast du mich jetzt erschreckt!«
»Selber schuld, wenn du dir während der Arbeit Pornobilder ansiehst.« Grinsend hielt ihr Olivia eine Tüte mit Süßigkeiten hin. Mit einem Kopfschütteln lehnte Mandy ab.
Das sind überhaupt keine Pornobilder. Das ist ein Freund von mir.«
»Ja, ja, schon klar. Aber vergiss nicht, dich bei Charlie zu melden. Der braucht noch die Verkaufszahlen von dir.«
Mandy verdrehte die Augen und sah dann auf die Uhr in der unteren Ecke des Bildschirms. Wenn sie sich nicht schleunigst daranmachte, ihre Arbeit zu erledigen, würde sie sie mit nach Hause nehmen müssen. Sie klickte auf das kleine rote X rechts oben und ärgerte sich noch einmal darüber, dass ihr Hotmail-Account die Bestätigungsmail von Match Your DNA für Spam gehalten hatte. Sechs Wochen lang hatte die Nachricht im Spamordner gelegen, bis Mandy sie heute Nachmittag durch Zufall entdeckt hatte.
»Mandy Taylor, die Frau von Richard Taylor, freut mich sehr«, sagte sie leise vor sich hin und drehte dabei gedankenverloren einen imaginären Ring an ihrem Finger.
John Marrs: „The One – Finde dein perfektes Match“ ∙ Roman ∙ Aus dem Englischen von Felix Mayer ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2019 ∙ 496 Seiten ∙ Preis des E-Books € 11,99 (im Shop)
Kommentare