17. Juli 2020 1 Likes

Exklusive Leseprobe - „Das Haus der finsteren Träume“

Shaun Hamills Debütroman erscheint auf Deutsch

Lesezeit: 12 min.

Für einen jungen Horrorautor kann es wohl kaum eine größere Auszeichnung geben, als ein begeistertes Zitat von Stephen King. Dem Texaner Shaun Hamill wurde diese Ehre nun für sein Debüt Das Haus der finsteren Träume“ (im Shop) zuteil. Mit seiner klugen und schaurig-schönen Geschichte über das Spukhaus der Familie Turner und die Monster, die darin ihr Unwesen treiben, hat der Autor jedoch nicht nur den Großmeister des Horrors sondern auch zahlreiche amerikanische Leser begeistert. Nun ist der Roman endlich auf Deutsch erschienen, und alle Interessierten finden hier eine erste Leseprobe.

 

1

Als ich sieben Jahre alt war, begann ich damit, die Abschiedsbriefe meiner älteren Schwester Eunice zu sammeln. Ich bewahre sie bis heute in einem schwarzen Schnellhefter in der untersten Schreibtischschublade auf. Sie gehörten zu den wenigen Dingen, die ich mitnehmen durfte, und ich habe sie in den letzten Monaten oft gelesen, als ich Trost, Weisheit oder wenigstens einen kleinen Fingerzeig dafür suchte, dass ich für uns alle die richtigen Entscheidungen getroffen habe.

Irgendwann fand Eunice heraus, dass ich ihre Briefe aufhob, und begann damit, sie direkt an mich zu richten. In einem meiner liebsten Abschiedsbriefe schreibt sie: »Noah, so etwas wie ein Happy End gibt es nicht. Es gibt nur gute Gelegenheiten zum Aufhören.«

Meine Familie ist eine Katastrophe, wenn es ums Aufhören geht. Mit solchen Situationen können wir nicht würdevoll umgehen. Mit Anfängen kommen wir allerdings auch nicht gut zurecht. Das erste Viertel dieser Geschichte habe ich beispielsweise erst vor Kurzem erfahren. Als Jugendlicher und junger Erwachsener habe ich mich wie Jervas Dudley vor der versiegelten Grabstätte unserer Familiengeschichte herumgetrieben. Wer immer Sie auch sind, genau diesen Kummer will ich Ihnen ersparen. Damit dies gelingt, muss ich im Herbst 1968 am äußersten Rand der Schatten, die über meiner Familie liegen, mit meiner großen, hellhäutigen und rothaarigen Mutter Margaret Byrne beginnen.

 

2

Wie ich selbst war auch meine Mutter in der Ehe ihrer Eltern eine Nachzüglerin. Im Gegensatz zu mir konnte sie jedoch die Vorzüge eines wohlhabenden Elternhauses genießen. Ihr Vater Christopher Byrne arbeitete bei Dillard’s als Einkäufer für Damenmode und unterhielt eine enge persönliche Beziehung zum Inhaber William T. Dillard.

Margaret kannte ihren Vater nicht sehr gut; sie hielt ihn für einen adretten Fremden, der nach Zigaretten roch und von seinen Reisen nach New York immer Geschenke mitbrachte – meist Originalaufnahmen der Broadway-Musicals, die er dort gesehen hatte –, mit denen sie nicht viel anfangen konnte. Sie wuchs in einem Vorort von Memphis, Tennessee in einem geräumigen Haus auf, verfügte dauerhaft über ein großzügig bemessenes Taschengeld und bekam schöne Kleider, Autos sowie zu gegebener Zeit einen Studienplatz an der Alma Mater ihrer Eltern: an der Tilden University, einem kleinen, christlich-konservativen Institut in Searcy, Arkansas.

Über Geld musst du dir niemals Sorgen machen, sagte Margarets Mutter ihr, und im Jahre 1965 schien das der Wahrheit zu entsprechen. Mein Großvater war bei Dillard’s so erfolgreich, dass er, als meine Mutter sich 1966 am College immatrikulierte, seine Anstellung im Kaufhaus aufgeben und einen eigenen Laden eröffnen konnte. Im Winter 1967 gingen die Geschäfte jedoch schlecht, und im Sommer 1968, als Margaret die Ferien daheim verbrachte, musste die Mutter ihr mitteilen, dass das Geschäft Bankrott gemacht hatte. Die Byrnes konnten ihr noch ein Jahr lang die Ausbildung bezahlen, mussten ihr aber das Auto, das Taschengeld und das Geld für die Unterkunft streichen.

Als Margaret ihre Eltern darauf aufmerksam machte, dass sie mindestens noch zwei Jahre brauchte, um den Bachelor in Anglistik zu erhalten, ganz zu schweigen vom angestrebten Master in Bibliothekswissenschaft, sagte ihre Mutter: »Ich würde vorschlagen, dass du die Arbeit an deinem MRS-Status beschleunigst, ehe du dir über den BA den Kopf zerbrichst.«

Einigermaßen eingeschüchtert bemühte Margaret sich, aus der unmöglichen Situation das Beste zu machen. Als sie im Herbst nach Searcy zurückkehrte, nahm sie einen Job bei Bartleby’s an, dem einzigen Buchladen des Ortes, und mietete ein Zimmer bei dessen Inhaberin Rita Johnson, deren einzige Religion das geschriebene Wort war und die sich politisch eher an Betty Friedan als an Richard Nixon orientierte. Mrs. Johnson lebte in einem gemütlichen zweistöckigen Haus in Campus-Nähe, verlangte an Miete kaum mehr als ein Almosen und stellte so gut wie keine Regeln auf. Es war ihr egal, wie lange Margaret aufblieb, solange sie keine Jungs in den ersten Stock mitnahm. Außerdem durfte Margaret nach Belieben den Fernseher und den Plattenspieler benutzen, solange sie den Ton nicht zu laut aufdrehte.

Diese neuen Freiheiten waren eine abrupte, fast erschreckende Veränderung gegenüber den strengen Regeln des Studentenwohnheims. Eigentlich hatte Margaret gar nicht auf die Tilden gehen wollen, wo man moralische Verpflichtungserklärungen unterschreiben und zwangsweise am Sonntagmorgen den Gottesdienst besuchen musste. Sie hatte sich nur dort eingeschrieben, weil es die einzige Universität war, für die ihr Vater zahlen wollte. In der Hoffnung auf den Collegeabschluss, einen Beruf und ein eigenständiges Leben hatte sie die frommen Rituale über sich ergehen lassen. Jetzt, bei Mrs. Johnson, bekam sie einen Vorgeschmack, wie dieses Leben aussehen könnte.

Margaret liebte ihr neues Quartier, die neue Freiheit und vor allem das schwache Licht und die schmalen Gänge im Bartleby’s. Es gefiel ihr, die Neuerscheinungen einzusortieren, Bücher nach Themen geordnet auszustellen und den Kunden, den verwandten Geistern, dabei zu helfen, die passenden Geschichten zu finden. Den einzigen Makel ihres Arbeitslebens bildete ein junger Mann namens Harry, der zweimal in der Woche vorbeikam und Fragen stellte, deren Antworten er ihrer Ansicht nach sowieso schon kannte: Wer schrieb Große Erwartungen? Wo stehen hier die Biografien? Stets bedankte er sich bei Margaret für die Informationen, doch unabhängig von dem, was ihn angeblich interessierte, trieb er sich in der Science-Fiction-Abteilung herum und las die Bücher, ohne jemals auch nur ein einziges zu kaufen.

Er war jung, etwa in Margarets Alter, und sie nahm an, dass er wie sie an der Tilden studierte. Sie fragte sich, wie er die Zeit fand, so viel zu lesen und trotzdem noch zum College zu gehen. Und wenn er schon die Tilden besuchte, konnte er es sich vermutlich auch leisten, die Bücher zu kaufen. Warum also hing er hier herum? Es ging ihr auf die Nerven, doch wann immer sie ihn darauf ansprach, stellte er das Buch einfach zurück ins Regal, entschuldigte sich und ging.

Eine Zeit lang arbeitete sie zweiunddreißig Stunden die Woche im Laden, besuchte den Unterricht und lernte in der Freizeit. Diese Einteilung erwies sich jedoch als unerwartet schwierig. Die Arbeit, selbst die relativ leichte Tätigkeit in der Beschaulichkeit bei Bartleby’s, war anstrengend. Nach einer vollen Schicht taten ihr die Füße weh, und ihr Kopf fühlte sich an wie ein ausgewrungener Schwamm. Danach wollte sie sich nur noch auf Mrs. Johnsons Sofa legen und fernsehen. Wenn sie sich abends doch einmal überwand und lernte, wurde es ein langsamer, mühsamer und von Wiederholungen geprägter Prozess. Sie hatte Mühe, sich zu konzentrieren, und musste viele Abschnitte (oder gar einzelne Sätze) mehrmals lesen, um wenigstens andeutungsweise deren Sinn zu erfassen. Die ganze Zeit über war sie müde und verschlafen, sie versäumte den Unterricht und reichte Hausarbeiten zu spät oder gar nicht ein. Ende September waren ihre Noten schlechter denn je.

Ihr Sicherheitsnetz, das ihre Mutter ihr so spöttisch eingeflüstert hatte, der Status als »Mrs.«, erschien in Gestalt von Pierce Lombard, der wie sie das Seminar über Europäische Kulturgeschichte belegt hatte. Der große dürre Bursche mit einem Kurzhaarschnitt, der seit zehn Jahren aus der Mode war, den dicken Lidern und den dunklen Ringen unter den Augen wirkte ewig schläfrig und sah ein Jahrzehnt älter aus, als er tatsächlich war (zwanzig), doch er lud Margaret mindestens einmal in der Woche ein, und er stammte aus einer Hähnchendynastie. Wenn man Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts irgendwo im Süden der USA im Supermarkt einkaufte, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man ein Hähnchen von Lombard erwarb. Manchmal versuchte Pierce, Margaret die Branche zu erklären, doch jedes Mal, wenn er damit anfing, schweiften ihre Gedanken ab.

Sie gingen nicht oft ins Kino, weil Pierce die meisten Filme nicht mochte (er war selbst nach den Maßstäben der Tilden sehr konservativ und gläubig), und wenn sie doch einmal hingingen, saß er wie in Habachtstellung da und lächelte, aber lachte nie. Manchmal beobachtete Margaret im Dunkeln lieber ihn, als den Film anzuschauen. Jetzt sah er aus wie dreißig. Wie mochte er in zehn oder zwanzig Jahren aussehen, wenn der Druck auf den Erben des Hähnchenimperiums allmählich seine Spuren hinterließ?

Er war höflich, hielt ihr immer die Tür auf und sagte »bitte« und »danke«. Wenn sie mit seinem Mercedes irgendwohin zum Knutschen fuhren, wirkten seine Küsse mathematisch berechnet, um genau auf der Grenze zwischen Leidenschaft und guten Manieren zu bleiben, während er sie an der Hüfte, am Bauch und im Gesicht berührte. Margaret war ein »braves Mädchen«, immer noch Jungfrau und stellte sich vor, die wahre Liebe müsse wie ein heftiger und gefährlicher Kampfsport sein. Etwas, das man auf Eisenbahngleisen oder auf dem Waldboden tat. Zwei Körper, die miteinander rangen, um der Reinheit des Geistes Ausdruck zu verleihen. Sie fragte sich, ob Pierce, der ebenfalls ein »braver Junge« war, darauf wartete, dass sie spirituelle Verbundenheit zeigte, ehe er diese Art Leidenschaft an den Tag legte. Eines Abends Anfang Oktober griff sie ihm in den Schritt und drückte kräftig. Er fuhr auf, stieß sie weg und zog sich zur anderen Seite des Fahrersitzes zurück.

»Warum hast du das gemacht?«, fragte er.

»Weil ich es wollte«, antwortete sie.

»Darum geht es nicht«, erwiderte er. »Wir sollten das nicht tun.«

Danach fuhr er sie heim und küsste sie nicht zum Abschied.

Sie hatte immer angenommen, Religion sei etwas, das man in höflicher Gesellschaft tat, aber nicht im Privatleben. Den Unsinn, dem man sich sonntags unterwarf, konnte doch niemand tatsächlich glauben. Pierce war ein Junge. Sollte er sie nicht ein wenig bedrängen und herausfinden, was sie ihm gerade noch durchgehen ließ? Glaubte wirklich irgendjemand, Jesus Christus interessierte sich auch nur einen Dreck dafür, was sie mit ihren Geschlechtsteilen anstellten? Pierce sollte doch überglücklich sein, dass sie ein wenig Interesse an seinem Penis gezeigt hatte, oder nicht?

Nachdem Margaret ihn begrabscht hatte, rief er nicht mehr an und suchte sich im Kursraum und im Gottesdienst immer einen Platz, der möglichst weit von ihrem entfernt war. Die neu gefundene Freizeit trug allerdings nicht dazu bei, dass ihre Noten besser wurden. Sie fiel nacheinander bei drei Prüfungen durch. Als der Mathematiklehrer ihr die Halbjahresprüfung mit einer fetten Sechs auf dem Titelblatt zurückgab, murmelte er: »Miss Byrne, reißen Sie sich zusammen.«

Sie empfand eine vage Wut, weil alles so unfair war. Warum bekam sie Probleme, wenn ihr Vater ein schlechter Geschäftsmann war? Warum war sie dafür zuständig, eine vertrottelte Schnarchnase zu überreden, ihren Körper zu genießen? Wie sollte man denn unter diesen Umständen Erfolg haben?

An dem Tag, als sie die Mathematikprüfungsarbeit zurückbekam, nahm sie die Wut in ihre Schicht bei Bartleby’s mit. Mrs. Johnson erfasste die emotionale Großwetterlage und teilte sie dazu ein, allein die Science-Fiction-Abteilung zu bestücken. An sich wäre das in Ordnung gewesen, doch Harry hockte mit dem Rücken zum Regal mitten im Gang und hatte ein aufgeschlagenes gebundenes Buch auf den Knien. Direkt über seinem Kopf hing das Schild: »Dies ist kein Lesesaal!«

Mit verschränkten Armen funkelte sie ihn an. Durch das Fenster hinter ihr schien die Sonne herein, und ihr Schatten wanderte den Gang hinab, bis Harry im Dunkeln hockte.

»Hallo, Margaret«, sagte er und lächelte sie an. »Haben Sie vielleicht etwas von Philip Roth?« Als sie das Lächeln nicht erwiderte, fragte er: »Was ist los?«

»Können Sie lesen?«, gab sie zurück. »Verstehen Sie die Worte auf den Seiten, die Sie umblättern? Oder sind Sie nur hier, weil Sie für die Passanten klug aussehen möchten?«

»Ich kann lesen«, antwortete er.

»Warum können Sie dann nicht …« Sie riss das Schild mit dem Hinweis, dass dies kein Lesesaal sei, vom Regal ab und wollte es ihm vor die Nase halten. Das dünne Papier flatterte wie ein fallendes Herbstblatt zwischen ihnen und sank schlaff auf den Boden. Harry beobachtete es, bis es gelandet war, und sah sie erneut an.

»Was kann ich?«

»Warum können Sie nicht … Sie … wenn Sie es lesen, müssen Sie es kaufen!« Sie packte ihn an der Schulter. »Aufstehen!«

Von ihrem Wutausbruch überrascht, gehorchte Harry und ließ sich widerstandslos von Margaret zu Mrs. Johnson an der vorderen Theke führen. Das Buch hielt er offen in den Händen.

»Harry möchte bezahlen«, sagte Margaret. Sie schubste ihn zur Kasse.

Er warf ihr einen gequälten Blick zu, legte jedoch das Buch auf die Theke. Es war ein großer glänzender Band, wie man ihn vielleicht auf dem Kaffeetisch zur Schau stellte.

Mrs. Johnson nahm das Buch und betrachtete das Preisschild auf dem vorderen Einband. »Sind Sie sicher, Harry?«

Er grunzte zustimmend. Mrs. Johnson bediente die Kasse. Er schnitt eine Grimasse, als er den Preis sah, zückte jedoch die verschlissene, rissige Geldbörse und zahlte. Mrs. Johnson steckte das Buch in eine Tragetasche. Er bedankte sich murmelnd und ging.

Sie wartete, bis er draußen war, ehe sie sich an Margaret wandte. »Was war das denn jetzt?«

»Nichts weiter«, antwortete Margaret.

»Wirklich nichts oder nichts, über das Sie reden wollen?«

»Das können Sie sich aussuchen, Mrs. Johnson.«

»Junge Dame, hüten Sie Ihre Zunge!«

Margaret machte sich wieder daran, die Regale aufzustocken. Im Laufe der Schicht flaute der Ärger ab und verflog, bis sie sich selbst über ihren heftigen Ausbruch wunderte. Einige Einzelheiten fielen ihr immer wieder ein. Dinge, die sie vorher nie bei Harry bemerkt hatte: der ausgefranste Ärmel am Button-down-Hemd, wo der Stoff nach viel zu vielen Waschgängen ausfaserte, die ausgebleichten Knie der Jeans, ein leicht fettiger Geruch, den sie nicht einordnen konnte, der aber alles zu durchdringen schien, wenn man ihm nahe kam.

Am Ende ihrer Schicht empfand sie eine dumpfe Scham, die sich noch verstärkte, als sie sah, dass Harry auf dem Parkplatz auf sie wartete. Er hockte im Schneidersitz auf der Haube eines verbeulten alten Chevys und hatte die Hände in den Schoß gelegt. Derart alte Autos sah man kaum auf dem Campus. Vielleicht war er ein Stipendiat? Oder er versuchte wie sie, seine Ausbildung mit eigener Arbeit zu finanzieren. Mit heißem Gesicht überwand sie sich und ging zu ihm.

»Das Buch war ziemlich teuer«, sagte er.

»Sie können es zurückbringen. Wenn Sie die Quittung haben, bekommen Sie das Geld zurück.«

Er schnitt eine Grimasse. »Das könnte ich Mrs. Johnson nicht antun. Sie ist immer so nett zu mir.«

»Soll ich es bezahlen?« Schon suchte sie die Geldbörse in der Handtasche.

Er bewegte den Kopf hin und her, als sei er mit sich selbst uneins. »Ich wollte heute Abend ins Kino. Wenn Sie wirklich etwas in Ordnung bringen wollen, könnten Sie die Karten kaufen.«

»Ich soll mit Ihnen ins Kino gehen?«

»Ich fahre«, sagte er. »Sie kaufen die Tickets.«

»Was wollen Sie denn anschauen?«

»In Little Rock ist gerade Rosemary’s Baby angelaufen«, erklärte er.

Margaret hatte von dem Film gehört. Der Prediger hatte ihn letzte Woche in der Kirche mit gewaltigen, aufregenden Begriffen geschmäht. Blasphemisch, vulgär, grässlich. Jeder Schüler, der den Film sah (oder den Roman von Ira Levin las, auf dem er beruhte), würde von der Schule verwiesen. Aber weder Dr. Landons Warnung noch den Zetteln, die überall auf dem Campus hingen, konnte man Einzelheiten über den Film entnehmen. Warum war er so vulgär? Und warum blasphemisch?

Hätte Margaret noch im Wohnheim gelebt, dann hätte sie nicht einmal darüber nachgedacht. Doch Mrs. Johnson würde sie nicht verraten. Die Inhaberin von Bartleby’s war der Ansicht, alle Geschichten sollten allen Menschen ohne Rücksicht auf irgendwelche Moralvorstellungen zugänglich sein. Sie wäre stolz darauf gewesen, dass Margaret sich selbst ein Bild machen wollte.

Allerdings war Little Rock fünfzig Meilen von Searcy entfernt, und Margaret hatte die Chemieaufgaben noch nicht erledigt, was sie Harry auch sagte.

»Ich fahre auf dem Hinweg und dem Rückweg extra schnell«, versprach er ihr.

Sie betrachtete ihren schlichten Pullover und den Rock, den sie schon am Morgen im Unterricht getragen hatte. Nicht gerade ein herausragendes Ensemble für ein erstes Date, aber es ging schließlich um Wiedergutmachung und nicht um Romantik. Die Kleidung half sogar, damit er sich keine falschen Hoffnungen machte.

»Dann lassen Sie uns fahren«, willigte sie ein.

 

Shaun Hamill: »Das Haus der finsteren Träume« ∙ Roman ∙ Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2020 ∙ 464 Seiten ∙ Preis des E-Books € 11,99 (im Shop)

 

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