3. November 2021

„Zero“ – Dystopisches Ideen-Pastiche nach Marc Elsbergs Roman

Ein ARD-Film bietet zumindest Denkanstöße

Lesezeit: 3 min.

Weiß der durchschnittliche ARD-Zuschauer eigentlich was Likes sind? Dass ein rausgestreckter Daumen heute kaum noch etwas mit Autofahren zu tun hat? Angesichts eines Durchschnittsalters von 60 Jahren mutet es fast schon ambitioniert an, dass die ARD ihren Zuschauern seit einiger Zeit am Mittwochabend Filme anbietet, die sich mit Möglichkeiten und Exzessen des Digitalzeitalters beschäftigen.

Als Vorlage für „Zero“, den von Jochen Alexander Freydank inszenierten Film diente der gleichnamige Roman von Marc Elsberg (im Shop), der sich in den letzten Jahren einen Namen mit dichten, ausufernden Zukunftsvisionen gemacht hat. Und nicht gerade für Kürze bekannt ist: Unter 500 Seiten macht es Elsberg nicht, so einen Stoff auf die formatierten 90 Minuten eines ARD-Films zu kürzen ist kaum möglich, dementsprechend ist „Zero“ vor allem Stückwerk.

Heike Makatsch spielt darin die Journalistin Cynthia Bonsant, die so wirkt, als hätte sie ihre Texte bis dato noch auf der Schreibmaschine geschrieben. Aber gut recherchieren kann sie offenbar und so wird sie von einem Online-Magazin auf eine heiße Spur gesetzt: Carl Montik (Sabin Tambrea) ist ihr Ziel, Chef des marktbeherrschenden Internetkonzerns „Freemee“, das mit Klicks und Likes viel Geld verdient und die Welt besser machen will. Eine App des Konzerns verteilt Bonuspunkte, wenn man sich „gut“ verhält, wobei die Definition von „Gutsein“ natürlich die Krux ist.

Auch Cynthias 17-jährige Tochter Viola (Luise Emilie Tschersich) ist besessen von der App und ihrer geradezu analogen Mutter um Längen voraus. Die findet jedoch schnell gefallen an den Möglichkeiten der Technik, die es ihr sogar erlauben, ihren verstorbenen Mann als Avatar wieder zum Leben zu erwecken.

Montiks Pläne erinnern erstaunlich genau an die Vorstellungen von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, gerade die lebensechten Avatare, die die Menschen in dieser kaum futuristisch wirkenden Zukunft begleiten, lassen an die jüngst vorgestellten Virtual Reality-Visionen im Zuge der Umbenennung des Konzerns in Meta denken. Wie so oft hatte Elsberg hier den richtigen Riecher, wobei der vielleicht weniger außergewöhnlich ist als gedacht. Romane von Dave Eggers „The Circle“ bis Marc-Uwe Klings „QualityLand“ haben die Entwicklungen der sozialen Medien, ihre Abhängigkeitsstrukturen und Fallstricke ebenso hellsichtig vorhergesehen, wie unzählige warnende Leitartikel und Essays.

Dass es so kommen würde, wie es nun kommt – das wussten eigentlich alle, die sich auch nur ein bisschen mit dem Thema beschäftigt haben. Dennoch machen fast alle mit, man will sich ja schließlich nicht vollständig von seinen virtuellen sozialen Kontakten lösen, benutzt Twitter oder Facebook ja nur sporadisch und vorsichtig, klar.

„Zero“ rennt also offene Türen ein, was den Machern offenbar auch bewusst ist, verzichten sie doch darauf, trotz des Labels Thriller, wirkliche Spannung zu erzeugen. Der vorgebliche Antagonist Carl Montik ist selbst ein Getriebener und fast als Opfer der Umstände zu bezeichnen, viel interessanter – zumindest im Ansatz – ist Makatschs Figur. Wie sie von den Möglichkeiten der App verführt wird, sich in virtuellen Welten zu verliert droht, hätte ein eindringliches, psychologisches Drama werden können. So weit geht „Zero“ dann aber doch nicht, bleibt stets an der sicheren Oberfläche, schließlich muss man nach 90 Minuten zu einem befriedigenden Ende kommen. Revolutionär ist das zwar nicht, aber zumindest als Denkanstoß nicht verkehrt.

Zero • Deutschland 2021 • Regie: Jochen Alexander Freydank • Darsteller: Heike Makatsch, Sabin Tambrea, Luise Emilie Tschersich • ARD am Mittwoch um 20.15 Uhr und in der Mediathek

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