14. Februar 2022 2 Likes

Technologie von morgen oder kann das weg?

In ihrem Sachbuch „Über Morgen – Der Zukunftskompass“ wagt Verena Lütschg einen spannenden wie umfassenden Blick in unser aller Zukunft

Lesezeit: 3 min.

Wer groß denkt, kann auch verlieren. Ein Gedanke, den Verena Lütschg beim Schreiben ihres Buches, so viel wird bereits auf den ersten Seiten klar, wohl nicht hatte – und das ist ein echter Glücksfall. Es ist schließlich ein nicht gerade kleines Versprechen, das sie uns in „Über Morgen“ von Anfang an gibt: Da ist schon auf der Titelseite davon die Rede, alle wichtigen Zukunftstechnologien auf einen Blick zu präsentieren und dabei in den Blick zu nehmen, wie wir in Zukunft leben wollen.

Was nun bei vergleichbaren Werken in effekthascherisch banale Glaskugelleserei ausarten könnte, wird bei Lütschg tatsächlich zu einen anregend informativen, gleichsam aber im besten Sinne kritischen Lesevergnügen, das Eindruck hinterlässt und wirklich viel erklärt, was bereits unser aktuelles Leben zwischen KI, synthetischer Biologie, Ernährungstrends oder auch Arbeitsformen ausmacht.

Dass das so ist, liegt vor allem an der Kunst der Autorin, ihre Expertise als promovierte Molekularbiologin und professionelle Technologieberaterin in aller Vielfalt auszuspielen, ohne sich im Klein-Klein wissenschaftlicher Details zu verlieren und dabei einen Teil ihrer eventuell nicht ganz so wissenschaftlich versierten Leserschaft außer Acht zu lassen. Lütschg begnügt sich nämlich auf ihren gut 320 Seiten eben nicht damit, einfach nur abzuarbeiten, sondern sie ordnet stets genau ein, worin Chancen wie Risiken einer digitalen oder biotechnologischen Innovation liegen und was es innerhalb einer Gesellschaft nicht nur aus ethischer Sicht braucht, um tatsächlich verantwortungsbewusst mit Entwicklungen und deren eben nicht immer per se gegebenen Mehrwerten umzugehen. Einer simplen Innovationsgläubigkeit wird hier also beileibe nicht das Wort geredet und man freut sich als stets ernst genommener Leser immer wieder über Passagen, in denen beispielsweise allzu kapitalistisch geprägte Tendenzen hinterfragt werden.

Unterteilt ist Über Morgen“ (im Shop) in fünf prägnante Hauptkapitel, in denen anhand von übergeordneten Leitfragen wie „Was (und wie) wollen wir konsumieren?“ oder „Wie wollen wir unsere Zeit verbringen?“ einzelne Themenfelder erläutert und anhand zahlreicher Beispiele griffig illustriert werden. Dabei bleibt Lütschg eben nicht bei erwartbaren Standards wie Big Data, Drohnen oder neuen Energieformen hängen. Auch die Zukunft der Kunst oder der (Un-)Wert von Arbeit finden ebenso Beachtung wie akute Probleme zukünftiger Wohnmodelle oder Einblicke in Bereiche der Sharing Economy.


Verena Lütschg. Foto © privat

Natürlich muss man als Leser bereit sein, sich auf die Fülle an Beispielen von der einfachen Tracking-App bis zur komplexen Manipulation des menschlichen Erbguts einzulassen und sicherlich wäre es in manchen Fällen trotz der hoher Erklärkompetenz schön gewesen, auch den Text ein Stück weit entlastendes Bildmaterial in der Buchausgabe vorzufinden. Kurzum: Eine Schnelllektüre für den Weg zur Arbeit oder die U-Bahn ist „Über Morgen“ eher nicht.

Doch dieser Punkt verblasst vor der Leistung, mit diesem Werk ein profundes Kompendium vorzufinden, dessen Autorin jederzeit den Spagat zwischen kritischer Sachlichkeit und unterhaltsamer Lektüre meistert. In dieser Hinsicht spielt Verena Lütschg auch locker in einer Liga mit medialen Meistererklärern wie Harald Lesch oder Ranga Yogeshwar, deren vielleicht größte Stärke darin liegt, einzelne Fakten miteinander zu vernetzen und so den Blick über das Bekannte oder Partikulare hinaus mit neuer Perspektivik zu erweitern.

Der Vergleich mit Lesch und Yogeshwar ist auch deshalb nicht übertrieben, da in „Über Morgen“ politische Aspekte wie der leider zunehmend eklatante Verfall westlicher Demokratie (man denke hier an die Rolle technologischer Überwachung und Manipulation) oder das wachsende Verständnis von körperlicher Selbstoptimierung oder Konsumverhalten beleuchtet werden, ohne dass dabei eine zu naiv positive, aber ebenso keine schwarzmalerische Perspektive dominieren würden. 

Im Anhang des Buches lässt Lütschg durchblicken, wie viel Material sie gehabt hätte, um weit mehr als das Vorliegende anzubieten. In dieser Form wäre es wünschenswert, sie würde sich einfach mit weiteren Entwicklungen aus der Technik, der Medizin oder weiteren Feldern zurückmelden. Die Zukunft ist ja glücklicherweise nie auserzählt. 

Verena Lütschg: Über Morgen – Der Zukunftskompass • Sachbuch • Heyne Verlag, München 2022 • 320 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 15,00 • im Shop

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