„Stranger Things“, Staffel 4, 1. Teil - Langsam geht es weiter
Zu viel Nostalgie ist auch nicht das Wahre
Endlich! Das werden nicht nur die vielen Fans der 80er Jahre-Nostalgieserie „Stranger Things“ denken, nachdem mit etlicher, Covid bedingter Verspätung neue Folgen streamen. Endlich werden aber auch die Netflix-Funktionäre denken, schließlich gab es für den Streamingdienst zuletzt weniger gute Nachrichten, die Abozahlen gehen zurück, das Programm wird immer häufiger kritisiert und selbst das einst undenkbare wird möglich: Ein Netflix-Modell mit Werbung!
Da kommt die Veröffentlichung neuer „Stranger Things“-Folgen gerade recht, aber dass die nun veröffentlichten sieben Folgen, nicht die ganze neue Staffel ausmachen, dafür aber eine Folge sagenhafte 100 Minuten lang ist, sagt viel über die Veränderungen des Streaming-Marktes aus, vor allem aber der Qualität seiner Produkte.
Die Verfilmung eines Buches in zwei Teile zu trennen wurde zum ersten Mal beim finalen „Harry Potter“-Band durchgeführt. Was einerseits damit zu tun hatte, dass die zu verfilmenden Bücher immer länger wurden, andererseits aber auch damit, dass zu diesem späten Zeitpunkt der Serie bzw. Franchise gewiss kaum noch jemand neu hinzukommen würde, man also mit einem etablierten Fanpublikum arbeiten konnte. Und diesen Fans ist es meist weniger wichtig, eine eigenständige Geschichte vorgesetzt zu bekommen, als eine Variation dessen, für das sie die Serie lieben.
Und so ist auch die exorbitant ausgedehnte, aufgeblähte erste Hälfte der vierten „Stranger Things“ Staffel zu erklären, die manchmal derart auf der Stelle steht, dass man sich getrost zwischendurch etwas zu Essen zubereiten kann und nichts verpasst. Jedenfalls nichts, was relevant für die Geschichte ist, aber natürlich viele Momente, die die Figuren zeigen: Die inzwischen zu Teenies herangewachsenen Will (Noah Schnapp), Mike (Finn Wolfhard) und Dustin (Gaten Matarazzo), die Erwachsenen Joyce (Winona Ryder) und Hopper (David Harbour), die jungen Erwachsenen Jonathan (Charlie Heaton), Nancy (Natalia Dyer) oder Robin (Maya Hawke). In diversen Erzählsträngen erleben die Gruppen nun Abenteuer, die in ihrer Essenz exakt das noch einmal, mit leichten Variationen, erzählen, was man in den ersten drei Staffeln schon erlebt hat. In Hawkins treibt ein neues Unwesen aus der Gegenwelt Upside Down sein Unwesen, das durch ein wildes Drehbuchkonstrukt tatsächlich mit der Haupthandlung zu tun hat (und mit Robert Englund in einer der originelleren Bezüge zur Popkultur der 80er Jahre), die Kids versuchen es zu bekämpfen, während Hopper in einem russischen Gefängnis darbt, in dem er am Ende der dritten Staffel gelandet war. Wie Joyce ihn im fernen Sibirien zu retten versucht, zählt zu den uninteressanteren Passagen dieser Staffel.
Elfi (Millie Bobby Brown) dagegen hat ihre übersinnlichen Fähigkeiten verloren, ist im Exil in Kalifornien eine Carrie-artige Außenseiterin und landet bald wieder in der Klinik aus der sie einst entkam. Gelegentlich werden Lücken in der Backstory geschlossen, ab und zu entwickelt sich der große Plot, der in ein paar Jahren mit der finalen fünften Staffel sein Ende finden wird weiter, meist tritt die vierte Staffel allerdings auf der Stelle.
Was die Folge eines Hits, eines kulturellen Phänomens ist, der ein eingebautes Publikum besitzt, das sich größtenteils damit zufrieden gibt, wenn des Bekannte und Erfolgreiche variiert wird. Und bei dem die Produzenten zusätzlich kein Interesse an einem schnellen Ende haben, schließlich kann und will man die Kuh noch etwas länger melken.
Schlecht ist das Ergebnis natürlich nicht, das sagenhafte Budget von angeblich 30 Millionen Dollar pro Folge (!) sorgt für ansprechende Bilder, aber auch ausufernde Spezialeffekte, die nicht mehr viel mit dem fast handgemachten Charme der ersten Staffel zu tun hat. Doch wie viele 80er Jahre Referenzen braucht es, bevor es schal wird? „Stranger Things“ bewegte sich immer auf dem schmalen Grad zwischen origineller und übertriebener Hommage, vergaß bisweilen, etwas Eigenes, Originäres zu sein und nicht nur Aufwasch bekannter Muster. In dieser vierten Staffel schwingt das Pendel in eine Richtung aus, wird zu wenig Neues geboten, um noch als originelle Serie durchzugehen. Vielleicht sorgen die beiden finalen Folgen der 4. Staffel, die Anfang Juli mit einer Gesamtlänge von vier (!) Stunden veröffentlicht werden, ja für einen gelungenen Abschluss.
Stranger Things • USA 2022 • Regie: The Duffer Bros. • Darsteller: Noah Schnapp, Finn Wolfhard, Gaten Matarazzo, Millie Bobby Brown, Winona Ryder, David Harbour, Charlie Heaton, Natalia Dyer, Maya Hawke • 4. Staffel, erste Hälfte, 7 Folgen, bei Netflix
Kommentare