Doppelgänger
„Another Earth“ – Ein erstaunliches Debut von Mike Cahill und Brit Marling
Als Kind ist Rhoda (Brit Marling), nachdem sie die Bilder des Jupiters gesehen hat, die Voyager zur Erde schickte, begeistert vom Weltall. Die meisten Menschen legen irgendwann ihr Faible für Weltraum, Dinos und Feuerwehr ab, doch Rhoda wird mit 17 vom MIT akzeptiert, sie will ihren Traum zum Beruf machen. Trunken vor Glück (und Sekt) setzt sie sich ins Auto und erfährt aus dem Radio, dass eine zweite Erde wie aus dem Nichts am Nachthimmel erschienen ist. Also beugt sie sich aus dem Fenster des fahrenden Wagens, um danach zu suchen – und verursacht einen Unfall, der mehrere Todesopfer fordert. Nach vier Jahren wird sie aus der Haft entlassen und beginnt mühsam, zurück ins Leben zu finden, während am Horizont omnipräsent und riesengroß die zweite Erde samt Trabant schwebt.
Und diese zweite Erde ist keineswegs nur eine halbgare esoterische Metapher. Mike Cahill und Marling, die gemeinsam das Drehbuch für „Another Earth“ verfassten, lassen keinen Zweifel daran, dass es diese Welt tatsächlich gibt. Den ganzen Film über laufen im Hintergrund Radio- und Fernsehsendungen, in denen darüber spekuliert wird, was es mit der zweiten Erde auf sich hat. Ist sie ein exaktes Spiegelbild? Ist sie eine alternative Parallelwelt? Welchen Einfluss hat das plötzliche Wissen um die Existenz der jeweils anderen auf beiden Welten? Und was passiert, falls man seinem Doppelgänger begegnet?
Was folgt, ist ein stilles, intensives, exzellent gespieltes Drama über Schuld und Vergebung, das auf Lebensweisheiten aus dem Katalog von Hobbypsychologen verzichtet. Cahill und Marling treiben das Doppelgänger-Motiv quasi global auf die Spitze und erzählen stellvertretend vom Identitätsverlust ihrer Protagonistin, der an Selbstaufgabe grenzt. Rhodas einzige Hoffnung ist, dass ihre Doppelgängerin auf Erde 2 nicht denselben Fehler begangen hat wie sie. Daher bewirbt sie sich für einen freien Platz an Bord eines privaten Raumschiffs, das zu dem neuen Planeten aufbrechen will. Doch gleichzeitig nimmt sie Kontakt zu John Burroughs (William Mapother) auf, dem Mann, dessen Familie sie auf dem Gewissen hat. Und legt damit ganz unbewusst den Grundstein für eine wesentlich irdischere Alternative zu ihrer verzweifelten Flucht.
In gewisser Hinsicht ist Another Earth eine Mischung aus der melancholisch-naiven Weltraumsehnsucht, die Ray Bradbury in den Fünfzigern in Vollendung beschrieb, mit dem »Inner Space«, den die literarische SF in den späten Sechzigern entdeckte, erzählt mit den Mitteln des US-Indie-Kinos. Und damit ist nicht die kuschelig-bunte Zooey-Deschanel-Version gemeint, sondern eine stahlblaue, unbequeme und deutungsoffene Variante, die auch Scheitern billigend in Kauf nimmt. Statt Hipstern gibt es depressive Putzen, statt Vampire Weekends nettem Pop einen mal energetischen, mal klassischen Score des Elektronik-Duos Fall on Your Sword, und statt aufgepimptem Erzählkino gibt es filmische Ellipsen. Cahill und Marling, die Another Earth für nur 200.000 Dollar inszenierten, bewegen sich sehr selbstbewusst auf ziemlich dünnem Eis, aber sie brechen nicht ein, sondern steuern auf ein bestechendes Schlussbild zu, das äußerst zwiespältige Gefühle auslöst und lange nachwirkt. Ein grandios getimter und virtuos inszenierter Schock, und dann ist Schluss. Man traut seinen Augen kaum.
Another Earth • USA 2011 • Regie: Mike Cahill • Darsteller: Brit Marling, William Mapother
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