15. Mai 2024

Willkommen in der Wolfszone

Ein Werkstattbericht zum neuen Roman von Christian Endres

Lesezeit: 6 min.

Es freut mich sehr, meinen Science-Fiction-Krimi „Wolfszone“ (im Shop) nun endlich in freier Wildbahn zu sehen – und Ihnen und euch hier auf diezukunft.de gleich noch ein bisschen was darüber erzählen zu dürfen! Denn die Cyborg-Wölfe begleiten mich schon eine ganze Weile, und haben sich unterwegs ziemlich verwandelt …

 

Eine Magazin-Story mutiert

Ende 2019 jonglierte ich mit der Idee zu einer neuen SF-Kurzgeschichte. Schon beim Brainstormen und Plotten ging es sofort um geschlossene Mega-Mülldeponien in Asien und Afrika, im deutschen Wald abgeladenen Hightech-Schrott sowie die Folgen dieser Umweltverschmutzung. Um hochentwickelte, hochadaptive Nanobots, die aus einer Forschungseinrichtung entkommen sind, und kybernetische Mutationen im Wald, vor allem bei den Wölfen. Das war nicht zuletzt eine Reaktion auf die reale Rückkehr der Wölfe nach Deutschland, deren Comeback vor Corona immer wieder für Schlagzeilen sorgte.

Damals schrieb ich direkt die Erstfassung der Story über den Krieg zwischen Menschen und Maschinenwölfen, die ich im Januar polierte und beim Magazin „Spektrum der Wissenschaft“ einreichte. Die Geschichte wurde angenommen und erschien im März des darauffolgenden Jahres unter dem Titel „Wer hat Angst vorm bösen W@lf?“ in „Spektrum“-Ausgabe 4.21. Doch schon als die Story Anfang 2020 bei meinen Beta-Readern zirkulierte, die meine Manuskripte stets als Erste lesen, bekam ich einige Male zu hören, dass diese Kurzgeschichte eigentlich den Stoff oder wenigstens das Setting für einen Roman bieten würde.

Dieser Gedanke ließ mir keine Ruhe mehr, und als es an der Zeit war, mich nach „Die Prinzessinnen: Fünf gegen die Finsternis“ für ein neues Buchprojekt zu entscheiden, hielt ich mich an die mechanisch aufgemotzten Wölfe, die mich weiterhin faszinierten und reizten. Ab Mai 2021 schrieb ich also die Roman-Erstfassung von „Wolfszone“ als Cyberthriller über die nahe Zukunft Deutschlands, voller Klimawandel, kybernetischer Monster, künstlicher Intelligenz. Weite Strecken des Romans entstanden in einem Sommer unter den Eindrücken von Extremwetter und Corona. Oft saß ich nachts am MacBook im Halbdunkel und wunderte mich selbst über den Flow, den ich trotz der ganzen Störgeräusche in der aus den Fugen geratenen Welt beim Verfassen von „Wolfszone“ hatte.

 

Hardboiled und Near-Future

Im Morgen meines Romans ist der Mai so heiß wie der August im Heute, und nach Corona hat es weitere Pandemien gegeben. In einem Wald in Brandenburg haben sich zudem Wölfe in riesige Cyborgs verwandelt. Die Republik steht Kopf, die ganze Welt blickt auf die Geschehnisse an der deutsch-polnischen Grenze, Polen baut eine Mauer, England will den Eurotunnel dichtmachen. Im Bundestag wird in Kürze darüber abgestimmt, ob der Wald hinter dem Dorf Dölmow zum Reservat erklärt wird, oder ob man einen entscheidenden militärischen Vernichtungsschlag gegen die Wölfe startet. Die Bundeswehr hat den Forst bereits mit einem Stützpunkt, einem Sicherheitszaun, Drohnen und mechanischen Kampfläufern abgeriegelt. Die Pressemeute belagert Dölmow, die Aktivistinnen und Aktivisten von ProW@lf haben eine Zeltstadt vor der Zone errichtet, von wo aus sie ihre diversen Protestaktionen starten. Viele der einheimischen Gemüter sind in mehr als einer Hinsicht erhitzt.

In diesem aufgeheizten Klima soll der Berliner Privatdetektiv Joe Denzinger die im Camp von ProW@lf verschwundene Lisa Kraupen finden, die Tochter von Sylvia Kraupen, Deutschlands reichster und mächtigster Rüstungsunternehmerin und Drohnenfabrikantin, Gesicht des Krieges in der Zone. Schnüffler, Hauptstädter, Vegetarier, Zyniker, moderner Ritter mit Fedora, Hang zum Sarkasmus und extravaganten Kraupen-Befugnissen in Dorf und Bundeswehr-Basis – Joe eckt in der brandenburgischen Provinz überall an. Aber er lässt sich nicht einschüchtern und gibt alles, um Lisa Kraupen zu finden. Joe ist zweifellos die Hauptfigur des Romans, hat die meisten Szenen, doch es gibt noch weitere Perspektiven auf Zone und Zukunft, die den Plot tragen, während sich die Figuren auf Kollisionskurs miteinander befinden:

Wissenschaftlerin Kira hat einen zahmen Wolf namens Winslow an ihrer Seite, der sie zum Lächeln bringt, selbst wenn die Biologin unter den Problemen mit ihrer Ehefrau daheim und ihren Verpflichtungen gegenüber dem Militär leidet. Soldat Tariq, auf die Wartung der spinnenbeinigen Kraupen-Kampfläufer spezialisiert, kann den Rassismus innerhalb der Truppe nicht mehr einfach so hinnehmen. Adrenalinjunkie Marija, die als Profi-Mountainbikerin eine Extremsport-Ikone war, rast heute als Fahrradkurierin tagsüber durch das Dorf Dölmow, und nachts als Drogenschmugglerin für die örtlichen Gangster durch den Wolfswald. Und dann ist da noch der mutierte Wolf DW-7X, dessen Posttraumatische Belastungsstörung dazu geführt hat, dass er sein Rudel verlassen musste, zumal natürlicher Instinkt und künstliche Intelligenz permanent in ihm ringen …

Mir war schnell klar, dass ich aus der ursprünglichen Kurzgeschichte, die man als Cyber-Fabel bezeichnen könnte, für den Roman einen waschechten Krimi machen würde – dass ich auf Buchlänge einen Privatdetektiv in der Tradition von Raymond Chandler und Philip Marlowe nutzen würde, um dessen Ermittlung alle anderen Handlungsstränge in und neben der Sperrzone rotieren. (Okay, ganz am Anfang überlegte ich mal kurz, einen zahmen Fuchs zum allwissenden Erzähler des Romans zu machen. Davon übrig blieb nur, auch als Referenz an die ursprüngliche Story aus „Spektrum“, dass alle Hauptfiguren im Roman nun einmal ein- und demselben Fuchs begegnen.)

An der Verbindung von Near-Future-Science-Fiction und Hardboiled-Krimi reizt mich besonders, die Grenzen zwischen Gegenwart und Zukunft zu verwischen. Es geht um ein mögliches Morgen, aber dort toben eben die Probleme und Themen von Heute wie junge Wölfe herum. Das erzeugt im Noir-Revier eine zusätzliche Spannung abseits der Handlung, und rückt das Jetzt und das Was-noch-kommen-könnte ganz dicht zusammen. „Wolfszone“ vereint letztlich meine persönlichen Vorlieben für aktuelle SF und moderne Krimis am Puls der Zeit.

 

Maschinenwölfe bei Heyne

Wie „Wolfszone“ zu Heyne gekommen ist? Nicht über den Star Wars-Bingo-Abend der diezukunft.de-Redaktion – dafür ist die Strecke Würzburg-München etwas zu weit. Ich habe Exposé und Leseprobe meines SF-Romans dem Heyne-Lektorat geschickt, das ich zugegebenermaßen ein bisschen leichter erreichen und nerven kann, aber ansonsten galten für mich dieselben Regeln wie für alle anderen Schreibenden oder Agenturen. Doch ich spürte schnell, dass bei Sebastian Pirling und Co. aufrichtige Begeisterung für „Wolfszone“ herrscht. Und so wurde der Roman ein Heyne-Titel. Ein Buch in genau dem Verlag, in dem vor 25 Jahren Werke von William Gibson, Terry Pratchett und Co. erschienen sind, die ich als Teenager verschlungen habe.

Als Anfang 2024 dann noch prominente Kollegen wie Andreas Eschbach, Brandon Q. Morris und Andreas Brandhorst „Wolfszone“ vorab lasen und ein paar Blurbs/Zitate fürs Backcover schickten, bin ich fast aus den Socken gekippt. Mal ganz im Ernst jetzt, und alle Gelassenheit beiseite: Ich hätte doch nie im Leben gedacht, dass mir Andreas Eschbach, dessen Tipps zum Schreiben und Veröffentlichen ich einst förmlich studiert habe, mir mal sagen würde, dass ihn mein superspannender Roman bis in seine Träume verfolgt hat

Mich verfolgen seit einigen Monaten indes die Fotos halb aufgefressener Rehkadaver, die mir Bekannte von ihren Waldspaziergängen in Brandenburg schicken, seit sie wissen, worum es in meinem aktuellen Roman geht. Keine Sorge: Ich werde diese Fotos nicht auf Instagram teilen, das mir meistens als Lesetagebuch dient, und wo ich so einiges zu „Wolfszone“ gepostet habe und noch posten werde. Etwa Infos zu Maschinenwolf“, einem Kurzgeschichten-Prequel zum Roman (im Shop), das Anfang Mai als Gratis-E-Book erschienen ist. Selbstverständlich funktioniert „Wolfszone“ aber auch ohne die Vorgeschichte, die zwei Jahre nach dem Roman entstand – „Maschinenwolf“ ist wirklich ein Prequel. Keine Pflicht, eher ein hübscher Bonus, ob Appetizer oder Dessert.

Wenn dieser Text online geht, steht das metallisch-schimmernde Hardcover von „Wolfszone“ in den Läden. Ich hoffe, dass die Kombination aus meinen Lieblingsgenres – meinen literarischen Herzensbereichen – Science-Fiction und Hardboiled-Krimi im Roman vielen Menschen gefallen wird. Und natürlich würde ich mich wahnsinnig bis wölfisch darüber freuen, wenn ein paar von Ihnen und euch, die meinen Namen seit zehn Jahren regelmäßig hier auf diezukunft.de lesen, einen Blick in die Wolfszone werfen!

Und weitererzählen, dass in den Wäldern Brandenburgs Wölfe umgehen, die sich durch menschliches Zutun und künstliche Intelligenz verändert haben …

Christian Endres: Wolfszone • Roman • Heyne, München 2024 • 512 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: 20,00 € • im Shop

Christian Endres: Maschinenwolf • Kurzgeschichte • Heyne, München 2024 • Gratis-eBook • im Shop

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