1. November 2014

Stalins Superman und andere Genossen

Science-Fiction-Comic-Neuheiten im November

Lesezeit: 7 min.

Eine Neuauflage von Mark Millars Elseworlds-Saga um einen kommunistischen Superman, das nächste Kapitel des vielleicht doch nicht so isoliert dastehenden Uncanny-Avengers-Epos von Rick Remender, eine frankobelgische Hommage an das gesamte Science-Fiction-Genre sowie Altes und Neues vom britischen Steampunk-König Bryan Talbot: Hier sind die strahlenden Science-Fiction-Comic-Neuheiten des Monats November, die jede Nebelwand durchbrechen!

 

Valerian & Veronique Bd. 22: Souvenirs der Zukunft

Carlsen, Album, 56 S.

Mit ihrer Serie um die Raum-Zeit-Agenten Valerian und Veronique haben Christin und Mézières eine der größten Science-Fiction-Serien der frankobelgischen Comicwelt geschaffen – das erste Abenteuer des Agenten-Duos in der Zukunft erschien immerhin schon 1967 (derzeit gibt es eine Gesamtausgabe auf Deutsch)! Mit Band 22 liegt nun das neueste Album des SciFi-Dauerbrenners vor, in dem Autor und Zeichner noch einmal zurückblicken und Anekdoten aus den zahlreichen Reisen und Missionen der Titelhelden erzählen: Eine Würdigung der eigenen Leistung und der Popularität der beiden Helden, aber auch eine Hommage an das Science-Fiction-Genre, in dem Valerian und Veronique nun schon so lange zuhause und erfolgreich sind.

 

Genosse Superman

Panini, Softcover/Hardcover, 180 S.

Das Elseworlds-Konzept von DC hat einige herausragende Alternativwelt-Geschichten mit Batman, Superman und Co. hervorgebracht. Mark Millars „Genosse Superman“ (im Original 2003 als „Superman – Red Son“ veröffentlicht und auf Deutsch vor zehn Jahren schon mal als „DC Premium Bd. 29“ erschienen) ist nicht der beste aller Elseworlds-Titel, jedoch allemal ein hübsches Gedankenspiel und gerade zu Beginn eine gelungene, substanzvolle Provokation, deren Neuauflage angesichts Millars anhaltender Popularität im Mainstream jenseits des Comicmediums absolut Sinn macht. Denn Millar, aufgrund seiner Filmdeals um „Kick-Ass“ und andere wohl einer der erfolgreichsten Comicautoren der Gegenwart, erzählt in „Genosse Superman“ die Geschichte des Stählernen völlig neu: Baby-Supermans Rakete kracht nicht in Smallville, Kansas auf die Erde, sondern in der damaligen Sowjetunion. In der Folge wird Supes nicht der Über-Pfadfinder und Super-Verteidiger des amerikanischen Traums – er wird Genosse Superman, ein stählerner Held der Arbeit und Streiter für Stalins System und den roten, sozialistischen Traum. Die Neuausgabe als Paperback und Hardcover folgt, was das Bonusmaterial angeht, übrigens der amerikanischen Deluxe-Edition der von Dave Johnson, Kilian Plunkett und anderen illustrierten Miniserie.

 

Deepwater Prison Bd. 1: Konstellation

Splitter, Hardcover, 112 S.

Der unermüdliche Comic-Autor Christophe Bec hat mal wieder eine neue Science-Fiction-Comicserie am Start, und natürlich erscheint sie bei Splitter auf Deutsch. Diesmal geht es um ein Hochsicherheitsgefängnis in den kalten, dunklen Tiefen des Meeres, das uns im ersten Hardcover-Album vorgestellt wird. Ohne diesen Knast bei den Riesencalamari ginge es nicht mehr im Jahre 2027, denn die Kriminalität in den Vereinigten Staaten hat massiv zugenommen, und die normalen Gefängnisse sind allesamt gerammelt voll. Deshalb also der Tiefseeknast vor der Küste der Bermudas, in dem 900 Meter in der Tiefe besonders fiese Kriminelle eingesperrt werden. An so einem Ort ohne echte Fluchtmöglichkeit ist die Verzweiflung natürlich groß, und so schreibt der U-Gefängnis-Mikrokosmos fast einen Kilometer unter dem Meeresspiegel mühelos seine eigenen beklemmenden Geschichten…

 

Uncanny Avengers Bd. 4

Panini, Softcover, 108 S.

Mit dem Start der Ära Marvel NOW! wurde „Uncanny Avengers“ von Autor Rick Remender und Zeichner John Cassaday als Marvels neuer Flaggschiff-Titel beworben. Seltsamerweise kocht Remender mit einem Team aus Avengers und X-Men (mit dabei: Captain America, Havok, Scarlet Witch, Wolverine, Thor und Wasp) aber komplett sein eigenes Süppchen. Inzwischen ist die Serie nach der Vernichtung der Erde (!) sogar auf einem eigenen Zeitstrahl angekommen und schert sich Null um das Geschehen im restlichen Marvel-Universum. Die Mutanten, die vor der Vernichtung der Welt und der Menschheit gerettet wurden, leben im aktuellen vierten Band auf einem fremden Planeten, wo die letzten beiden Uncanny Avengers Wasp und Havok unerbittlich von Magnetos X-Force gejagt werden, weil man sie für den Untergang der Erde verantwortlich macht. Da schneit mal wieder der schurkische Zeitreisende Kang vorbei und bietet Havok die Chance, sich an den wahren Zerstörern der Erde zu rächen… Obendrein gibt’s im Band noch ein sehr witziges Annual, in dem es die Uncanny Avengers mit Mojo zu tun bekommen, einem aus einer anderen Dimension stammenden Reality-TV-Mogul, sowie den Rächern des Übernatürlichen. Klingt jetzt alles nicht so essenziell, gerade wegen der erwähnten Abschottung zum restlichen Marvel-Universum, aber: „Avengers & X-Men: Axis“, das nächste Marvel-Crossover-Event nach dem im Dezember auf Deutsch startenden Superhelden-Krimi „Original Sin“, wird von Remender geschrieben und greift das Geschehen aus „Uncanny Avengers“ auf, vor allem aus den ersten Bänden. Vielleicht also doch kein schlechter Gedanke, sich die überschaubare Serie mit ihrem guten Artwork und ihren schon sehr netten Ideen mal reinzuziehen.

 

Last Man Bd. 1

Reprodukt, Softcover, 204 S.

2013 sorgte im comic-verrückten Frankreich kein anderer Comic für so viel Begeisterung wie „Last Man“, die Gemeinschaftsarbeit von Balak, Michaël Sanlaville und Bastien Vivès, der damit einmal mehr seine Vielseitigkeit unter Beweis stellt. Die abenteuerliche Geschichte der Teilnehmer eines Kampfsportturniers ist eine rasante, amüsante, stilistisch hoch interessante Hommage an die erzählerischen und visuellen Tropen des Manga- und Anime-Hits „Dragon Ball“, der in Deutschland viel für den Manga-Boom getan hat. Das spaßige Science-Fantasy-Spektakel, dessen erster Band bei Reprodukt nun auf Deutsch erscheint, könnte auch hierzulande kurz vor knapp eine der großen Überraschungen des Jahres werden, selbst wenn die Serie 2014 auf dem wichtigen Comic-Fest in Angoulême trotz der angedachten Favoritenrolle in mehreren Preis-Kategorien komplett leer ausging.

 

Zombies: Nechronologien Bd. 1: Die Elenden

Splitter, Hardcover, 48 S.

Die europäische Zombie-Horrorcomicserie im großen Albenformat ist rein formell schon mal ein hübscher Kontrast zu „The Walking Dead“ (erst recht, da Robert Kirkmans Zombie-Untoten-Bestseller hierzulande im A5-Format erscheint, was ihr oder dem Artwork allerdings nicht schadet). Inhaltlich konnte die Euro-Zombieplage bisher nicht immer überzeugen, weil sie zu oft am amerikanischen Vorbild klebte. Jetzt gibt es den ersten Band eines Spin-Offs zu „Zombies“, in dem ein Virus Paris in eine tickende Zeitbombe verwandelt hat. Während ganz Europa von einem Zombie-Flächenbrand heimgesucht wird, konzentriert sich „Die Elenden“ auf Charles, den langjährigen Leibwächter des französischen Präsidenten – eines Mannes, der Charles’ Schutz eigentlich gar nicht verdient hat. Entscheidet Charles sich also für die Pflicht, oder für den Instinkt, um jeden Preis seine eigene Haut zu retten? Das klingt vom Ansatz her endlich mal eigenständig und ziemlich innovativ für die europäische Zombie-Saga beim Bielefelder Verlag!

 

Superman/Wonder Woman Bd. 1

Panini, Softcover, 180 S.

Im neuen DC-Universum nach dem großen Relaunch ist Superman nicht mehr mit der ehrgeizigen, hübschen Reporterin Lois Lane liiert. Stattdessen hat er mit seiner Helden-Kollegin Wonder Woman angebandelt. Der stählerne Kryptonier und die göttliche Amazonenprinzessin sind ein Paar, bei dessen Streitigkeiten man möglichst weit weg sein möchte. Und um diese Streitigkeiten und Probleme, die ein Paar unabhängig seiner Superkräfte hat, geht es im ersten Band ihrer neuen gemeinsamen Serie genauso wie um ihre Schwierigkeiten mit Gegnern wie Doomsday oder General Zod. Der im November auf Deutsch erscheinende Band mit den ersten sieben Kapiteln der US-Serie stammt von Autorensenkrechtstarter Charles Soule (der mittlerweile exklusiv bei Marvel unter Vertrag steht und den Tod von Wolverine inszeniert) und zeigt das typische Artwork von Batman-Zeichner und Fanliebling Tony S. Daniel (der als Zeichner wesentlich besser ist denn als Autor, solange er keine Pferde zeichnen muss), sowie von Paulo Siqueira.

 

He-Man und die Masters of the Universe Bd. 2

Panini, Softcover, 150 S., Sprache: Deutsch

DC hat es sich und den Kinderzimmer-Legenden vom Planeten Aternia mit dem Comic-Neustart selbst unnötig schwer gemacht. Das hier ist allerdings ein netter, für sich stehender Band mit abgeschlossenen Geschichten um die Masters of the Universe, in denen die neuen oder aktualisierten Herkunftsgeschichten von He-Man, Skeletor, Battle Cat, König Randor, Man-At-Arms, Trapjaw, Orko, Evil Lyn und Hordak erzählt werden. Geschrieben und gezeichnet haben die Storys obendrein einige durchaus nennenswerte Kreative aus dem Superhelden-Metier, darunter Keith Giffen (klar, er hat beim ganzen Masters-of-the-Universe-Relaunch ja von Anfang an seine Finger im Spiel gehabt), aber auch Jeff Parker, Kyle Higgins, Joshua Hale Fialkov, Frazer Irving und Ben Oliver. Kein schlechter Einstieg nach dem konfusen ersten Band, und eine gute Vorbereitung auf die gelungene große fortlaufende Storyline ab Band 3 und das Crossover mit den DC-Recken im nächsten Jahr.

 

Arkwright Integral & Grandville: Noel

Dark Horse, Hardcover, 560/104 S., Sprache: Englisch

Bryan Talbot ist ein Urgestein der modernen britischen Comicszene. Im November erscheint im englischen Original nicht nur der vierte Band seiner herausragenden Steampunk-Alternativwelt-Krimi-Serie „Grandville“, die irgendwo zwischen Sir Arthur Conan Doyle, Ian Fleming, Kenneth Grahame, Jules Verne und Quentin Tarantino liegt und bisher mit jedem famos aufgemachten Album begeistern konnte. Darüber hinaus erscheint bei Dark Horse noch eine überfällige Gesamtausgabe von Talbots Luther-Arkwright-Geschichten. Die apokalyptische Parallelwelten-Science-Fiction um den Titelhelden, der in den Siebzigern seinen ersten Auftritt hinlegte und Teil der britischen Underground-Comic-Bewegung war, ist sicherlich eine der einflussreichsten originär englischen Comic-Veröffentlichungen aller Zeiten, und das liegt keineswegs einzig und allein an der Nähe zu Michael Moorcock. Gut, dass man sich diesen sperrigen, exzentrischen Klassiker des grafischen Erzählens nun am Stück im Hardcover einverleiben kann. Sicher, Talbots Stil als Autor und erst recht als Zeichner ist in beiden Fällen eigensinnig und gewöhnungsbedürftig – doch es lohnt sich.

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