27. April 2015 3 Likes

Zeitreisende Helden ohne Skrupel

Die heftige Comic- und Genre-Parodie „Bob Marone“ als Neuauflage

Lesezeit: 4 min.

Der kurzgewachsene Kommandant Bob Marone und sein hünenhafter Freund Bill Gelatine teilen nicht nur das Bett miteinander, sondern auch die Erinnerung an zahlreiche gefährliche Abenteuer, die sie als dynamisches Duo gemeinsam bestanden haben. Als Bob von seiner Mutter auf das alte Anwesen der Marones bestellt wird, dauert es ein Weilchen und ein paar Scharmützel, bis herauskommt, was eigentlich los ist: Dass der Ehemann von Bobs Jugendfreundin Carlotta in der prähistorischen Vergangenheit festsitzt, um seine Zeugungsunfähigkeit mit dem Erlegen eines Dinosauriers zu kompensieren, wie echte Männer das eben so machen. Sobald das jedoch erst einmal ans Licht gekommen ist, springen der französische Kommandant mit dem Vaterkomplex und sein schottischer Liebhaber mit den Bärenkräften sofort in die nächstbeste Zeitmaschine und eilen zur Rettung der gestrandeten Jägers. So bekommen es die erfahrenen Helden und ihre Begleiter viele Millionen Jahre in der wilden Vergangenheit der Erde mit den Schrecken der Urzeit zu tun, zu denen unter anderem ein sexuell ausgehungerter Albino-Dino gehört …

Achtung, diese Parodie hat es in sich und ist nur für Erwachsene! Aber was soll man auch anderes erwarten, wenn das kreative Gespann hinter der Comicserie „Helden ohne Skrupel“, das aus einem fleißigen „Spirou“-Autor und dem neuen „Asterix“-Zeichner besteht, schon vor über 30 Jahren auszog, um ein paar Grundfesten ihrer Branche und einige der wichtigsten Konzepte diverser Genres zu erschüttern?

Das Beste: Um an den vielen kleinen – und nicht wenigen großen – Skrupellosigkeiten und Gemeinheiten in „Bob Marone: Der weiße Dinosaurier“ seinen Spaß zu haben, muss man im Grunde gar nicht wissen, worauf es diese heftige Verulkung schon allein vom Titel und den Hauptfiguren her in erster Linie abgesehen hat. Hauptziel des Spotts ist aber natürlich Henri Vernes Science-Fiction-Abenteuer-Held Bob Morane, über den seit 1953 an die 200 Romane und 100 Comics von William Vance, Dino Attanasio und anderen entstanden. Sogar einen Film, eine TV-Serie, ein Videosiel und eine stylische Animationsserie gibt es, während die Geschichten um Bob Morane und seine Mitstreiter die Genres Abenteuer, Krimi, Fantasy und selbstverständlich Science Fiction abdecken – manchmal agiert Morane sogar als Agent der Zeitpatrouille, einer Polizei-Organisation aus der Zukunft, die den Zeitstrom überwacht und dafür sorgt, dass Zeitreisende nicht aus der Reihe tanzen und über die Stränge schlagen und so für Chaos Sorgen; Moranes Erzfeind ist außerdem Mr. Ming, der gefürchtete, fürchterliche Gelbe Schatten, eine Art Fu Manchu, der sich das Geheimnis des ewigen Lebens, aber auch von Zeitreisen und künstlicher Intelligenz erschlossen hat.

Doch all diese Details über Bob Morane muss man, wie gesagt, gar nicht kennen, um sich mit Bob Marone vergnügen zu können – mit dieser Neuauflage von „Der weiße Dinosaurier“ als Doppelalbum, das erstmals die Geschichte aus den beiden Original-Bänden, die Mitte 1986 bereits einmal bei Carlsen als Softcover herauskamen, in einem Hardcover zusammenfasst. Es genügt vollkommen, wenn man aufgrund der eigenen Lese-Erfahrung von z. B. allgemein angesehenen Comic-Klassikern wie „Tim und Struppi“ oder „Spirou“ ein ungefähres Gefühl dafür hat, wie konservativ abenteuerliche Comics damals tickten und ticken mussten –  wie die frankobelgische Comiclandschaft bis und bei Erscheinen von Yann le Pennetiers und Didier Conrads „Bob Marone“ Anfang der Achtziger Jahre aussah, als der heutige Vielschreiber Yann und der schon immer starke Conrad die nicht gerade konventionellen Helden Bob Marone und Bill Gelatine auf ihre Vorbilder, deren Mechanismen und Macken und letztlich eine Leserschaft losließen, die inhaltlich nicht unbedingt anderes gewohnt war.

Immerhin nehmen Yann und Conrad mit ihren zunächst wunderbar beiläufig als schwul charakterisierten Helden sowie den sexistischen und rassistischen Holzhammer-Gags die klassischen Funny- und Abenteuercomics einer ganzen Ära aufs Korn. Doch die französischen Comicmacher schossen keineswegs bloß gegen die obligatorischen Männerfreundschaften von Spirou und Fantasio bis hin zu Batman und Robin; oder die fragwürdige Darstellung von Frauen und Ausländern in Comics, die sie für ihre Persiflage skrupellos auf die Spitze trieben. Nein, das Größen-Verhältnis von Asterix und Obelix wurde genauso veralbert wie die typische Erzählweise ihres Metiers – etwa mit über Gebühr hinausgezögerten, überfälligen Wendungen. Das ist mehr als 30 Jahre nach dem ursprünglichen Erscheinen noch herrlich fies und ungebrochen provokant, wenn auch nicht allzu ironisch oder feinsinnig – um nicht zu sagen, ganz schön böse und derb. Wer das abkann, wird bei dieser Neuausgabe voll auf seine Kosten kommen.

Bleibt zu hoffen, dass Carlsen nach diesem zeitlosen Integral-Band mit einem Skizzen-Anhang und einem Nachwort von Andreas Knigge auch noch das auf Deutsch bisher unveröffentlichte Einzelalbum bringt, das Yann und Conrad erst 2013 nachreichten und in dem es um Bobs und Bills Jagd nach dem rosaroten Yeti geht. Klar, worum auch sonst?

Das Erscheinen des neuen Asterix-Albums mit Conrads Zeichnungen, das im Oktober 2015 erscheinen soll, wäre doch ein schöner Anlass für eine solche Bob-Marone-Erstveröffentlichung.

Abb. © Yann, Bob Marone, Carlsen Verlag GmbH

Yann, Conrad & Lucie: Bob Marone Bd. 1: Der weiße Dinosaurier • Carlsen, Hamburg 2015 • 112 Seiten • € 19,90

 

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