10. August 2015 3 Likes

Bizarre Postapokalypse

Joe R. Lansdales Kult-Trilogie „Drive-In“ erstmals komplett auf Deutsch

Lesezeit: 4 min.

1988 veröffentlichte der texanische Ausnahme-Erzähler und Alles-Schreiber Joe R. Lansdale seinen relativ schmalen Roman „The Drive-In“. 1989 folgte ein Sequel, 2005 ein weiteres. Regisseur Don Coscarelli („Beastmaster“) hätte das erste Buch beinahe einmal verfilmt, doch wurde aus dem Projekt nichts – 2002 verfilmte er dafür Lansdales schräge Horror-Novelle „Bubba Ho-Tep“, mit dem überragenden Bruce „Ash“ Campbell als Elvis und Ossie Davis als schwarzem John F. Kennedy in einem Altenheim, das von einer dämonischen Mumie heimgesucht wird. Klingt abgefahren, ist letztlich aber nichts gegen die drei „Drive-In“-Romane. Diese wurden jetzt erstmals auf Deutsch in einem Band gesammelt, wobei es sich bei den Fortsetzungen sogar jeweils um eine deutsche Erstveröffentlichung handelt. Alle, denen die übliche Postapokalypse mehr oder weniger zum Hals raushängt und die es gerne mal härter mögen, dürfen sich offiziell auf etwas freuen und ferner gefasst machen. Denn in Texas servieren sie Apokalypse mit Blut, Popcorn und völlig ohne Hemmungen …

Wer Mr. Lansdales Romanen, Novellen, Kurzgeschichten, Comics und Trick-Episoden aus den Genres Horror, Krimi, Western, Science-Fiction, Fantasy und Superhelden eine Weile folgt, dem werden gewisse wiederkehrende Elemente auffallen: Viele von Lansdales Geschichten spielen in seiner osttexanischen Heimat, oftmals am Sabine River. Einige der besten Lansdale-Storys führen überdies jugendliche Helden, Wildschweine, Stürme, starke Frauen, ungewöhnliche Freunde, Außenseiter, Rassisten oder Kampfsportler in ihrer Inventar-Liste. Und ein Drive-In-Autokino findet man bei Mama Lansdales Jüngstem auch abseits jener drei Romane, in deren Titel das Wort so prominent vorkommt.

Das Autokino, mit dem in „Drive-In“ alles anfängt, ist allerdings etwas Besonderes. Beim Orbit handelt es sich um ein riesiges Freiluft-Kino in – natürlich – Texas, das viertausend Autos aufnehmen kann, während alte B-Movies auf die Leinwände projiziert werden. Eines Abends schaut im ausverkauften Orbit die Apokalypse vorbei: Ein roter Komet mit Sägezahn-Grinsen fliegt über das Drive-In, schneidet es vom Rest der Welt ab und hüllt es in ein schwarzes Nichts, das alles verzehrt, mit dem es in Berührung kommt. Es dauert nicht lange, und die eingesperrten Autokino-Jünger drehen am Rad, und Popcorn vermischt sich mit Blut, Hunger und Wahnsinn. Es kommt zu Gewaltausbrüchen und selbst Kannibalismus – und dann ist da ja noch der unheimliche Popcorn King, der nicht mehr viel menschliches an sich hat.

Lansdale nutzt dieses endzeitliche Setting für ein krasses Splatter-Kammerspiel in einer gar nicht so kleinen Kammer ohne Dach. In den beiden Fortsetzungen indes lässt er seine verbliebenen Protagonisten die postapokalyptische Welt jenseits der Schwärze und des Drive-In erkunden – eine wilde Welt, in der es ziemlich rau und brutal zugeht, in der man Dinosaurier und den ein oder anderen Leviathan antrifft, und wo ein Mann einen Fernseher als Kopf haben kann. Eine anarchistische Welt nach dem Ende der Zivilisation, hinter deren Kulissen eine unglaubliche Wahrheit wartet …

Einmal Splatter, zweimal postapokalyptisches Roadmovie, und Seite für Seite viel Bizarres und Heftiges in der gewohnt derben Sprache eines typischen Lansdale-Ich-Erzählers – der „Drive-In“-Dreiteiler ist Kult von der Sorte, den nur ein löchriger Gartenzaun vom Trash trennt, dem schon ein paar Latten fehlen. Darüber hinaus sind die drei Romane mit ihrer ganz eigenen Analyse vom Menschsein und der menschlichen Moral lupenreine Bizarro Fiction, die im Original freilich allesamt herauskamen, ehe dieses verrückt-drastische Subgenre der modernen Fantastik einen Namen bekam und zu einem Kleinverlags-Trend wurde, der viele Anhänger hat, denen normaler Horror oder normale Weird Fiction nicht mehr reichen.

Zugegeben, Joe R. Lansdale hat bessere Romane als „Drive-In“ geschrieben – dass diese Lansdale-Lücke für die hiesige Leserschaft endlich geschlossen wurde und dieses legendäre Werk des Texaners nun vollständig auf Deutsch vorliegt, ist dennoch höchst erfreulich. Nicht zuletzt, weil die Veröffentlichung zeigt, wie sich das Standing des 1951 geborenen, u. a. mit dem Edgar Award ausgezeichneten Amerikaners in den letzten Jahren hierzulande gewandelt hat, hauptsächlich durch aktuelle Romane wie „Dunkle Gewässer“ oder „Das Dickicht“. Langsam begreift man auch fernab des Sabine River, dass Daniel Woodrell, James Sallis, Joe Hill und Lansdales Kumpel Andrew Vachss ihren Kollegen keineswegs aus Spaß an der Freude preisen. Mal sehen, was noch so passiert, wenn die TV-Serie um Lansdales dynamisches Duo Hap und Leonard aufschlägt, die momentan gedreht wird.

Der klotzige Heyne-Hardcore-Sammelband der kompletten „Drive-In“-Saga bringt es als E-Book und als Klappenbroschur im Paperback so lange auf über 700 Seiten und kommt mit einem Nachwort von Feuilleton- und Science-Fiction-Autor Dietmar Dath (im Shop) daher, der den ersten Roman Ende der 90er sogar ins Deutsche übertragen hat.

Joe R. Lansdale: Drive-In. Die Trilogie in einem Band • Heyne Hardcore, München 2015 • 736 Seiten • 14,99 Euro

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