13. Oktober 2016 1 Likes

Physik und Hefeteig

Was die Gewinner des diesjährigen Physik-Nobelpreises mit Gebäck zu tun haben

Lesezeit: 3 min.

Neulich wurde ich in der Redaktionsrunde gefragt, ob ich etwas über die diesjährigen Gewinner des Physik-Nobelpreises schreiben könne. „Klar“, antwortete ich. „Kein Problem.“ Selten lag ich mit einer Einschätzung so weit daneben.

Am 4. Oktober 2016 wurden die britischen Physiker David Thouless, Duncan Haldane und Michael Kosterlitz für ihre „theoretische Entdeckungen topologischer Phasenübergänge und topologischer Phasen von Materie“ mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet. In der Begründung der Schwedischen Akademie der Wissenschaften liest sich das so:

Die Geehrten haben eine Tür zu einer unbekannten Welt geöffnet, in der Materie seltsame Zustände annehmen kann. Sie haben fortschrittliche mathematische Methoden benutzt, um ungewöhnliche Phasen oder Zustände von Materie zu untersuchen, beispielsweise Supraleiter, Supraflüssigkeiten oder dünne magnetische Schichten. Dank ihrer Pionierarbeit ist die Jagd auf neue und exotische Zustände von Materie eröffnet.

Jep, ich habe genauso geschaut wie Sie jetzt, als ich das gelesen habe. Eine Tür in eine Welt geöffnet, in der Materie seltsame Zustände annehmen kann? Erinnert mich irgendwie an den pelzigen Joghurt, den ich neulich aus meinem Kühlschrank extrahieren musste … Das Nobel-Komitee entschied sich, den bahnbrechenden Erfolg der Physiker durch ein anderes Medium zu illustrieren: das der Backwaren. Professor Thors Hansson entschied sich für ein kohlehydratreiches Mittagessen, bestehend aus einer Zimtschnecke, einem Bagel und einer Breze, um uns die Tür in die unbekannte Welt der topologischen Phasenübergänge zu öffnen.


Professor Hansson und sein Mittagessen

Die Topologie ist ein Teilgebiet der Mathematik und klassifiziert geometrische Objekte. So ist ein Bagel ein Bagel, weil er ein Loch hat, und eine Breze eine Breze, weil sie zwei Löcher hat (ja, in Schweden ist das so!). Der Backwaren-Connaisseur kann sofort die Unterschiede aufzählen: das eine ist süß, das andere salzig, sie bestehen aus unterschiedlichen Teigen, und sie haben verschiedene Formen. Der Topologe hingegen bemerkt sofort: Objekt Nummer 1 hat gar kein Loch, Objekt Nummer 2 hat ein Loch, und Objekt Nummer 3 bringt es auf zwei Löcher. Die Anzahl der Löcher ist die topologische Invariante. Ein Hefegebäck mit einem Meter Durchmesser und einem Loch in der Mitte ist ebenso ein Bagel wie der, den Sie vielleicht heute zum Frühstück gegessen haben. Topologische Invarianten sind also Merkmale, die sich auch dann nicht ändern, wenn das Objekt, zu dem sie gehören, gedehnt oder zusammengedrückt wird.

Jetzt kommt die Herausforderung: Stellen Sie sich ein Gebäckstück mit einem halben Loch vor. Eben – ich kann das auch nicht! Müssen wir aber auch nicht können, denn: es gibt gar keine halben Löcher! Wenn man einen Bagel streckt, wird er irgendwann auseinanderbrechen, und dann hätten wir zwei Objekte ohne Loch. Er wird aber nie einen Übergangszustand annehmen, in dem er nur ein halbes Loch hat.

Das ist keine neue Erkenntnis, aber eine, die noch nie aus der Topologie in die Physik übertragen wurde. Und da kommen jetzt die Professoren Thouless, Haldane und Kosterlitz ins Spiel. Sie studierten sehr, sehr dünne Materialien (Flüssigkeiten, um genau zu sein) und fanden dabei heraus, dass Materialien mit einer bestimmten Topologie eine bestimmte Leitfähigkeit haben. In der Gebäck-Analogie bedeutet das: je mehr Löcher, desto höher die Leitfähigkeit. Natürlich untersuchten die Professoren keine winzigen Bagels in irgendwelchen Flüssigkeiten, sondern Elektronen und ihre Wellenlängen, und wie sich eben diese veränderten, wenn sie in einem bestimmten Medium geleitet werden. Das sind die topologischen Phasen der Materie. Die neuen und exotischen Zustände von Materie, auf die man in Schweden letzte Woche die Jagd eröffnet hat, sind vor allem Nanomaterialien und Supraleiter – Materialien, die langsam die Theorie einholen, sodass experimentelle Physiker das beobachten können, was ihre theoretisch arbeitenden Kollegen vorhersagten. Weil die topologischen Invarianten sich nicht verändern, suchen Wissenschaftler auch nach Möglichkeiten, sie als Informationsträger in moderneren Computersystemen – lies: Quantencomputer – zu verwenden. Allerdings brauchen die topologischen Phasenübergänge derzeit noch Temperaturen um den absoluten Nullpunkt herum und sehr, sehr starke Magnetfelder, um vollzogen zu werden, weswegen wir wohl nicht so bald mit dem Quantenlaptop im Internet surfen werden. 

Ob Professor Hansson sein Mittagessen nach der Präsentation verzehrt hat, ist bisher ungeklärt. 

Titelbild: essen&trinken.de/Diana; Bild: AFP

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