16. März 2018 1 Likes

Manipulation am Betriebssystem des Menschen

In „Bios“ setzt sich Daniel Suarez mit den Möglichkeiten moderner Gentechnik auseinander

Lesezeit: 4 min.

1997 kam ein Film in die Kinos, in dem ein Identitätswechsel durch Gesichtstransplantationen möglich wurde: „Face/Off – Im Körper des Feindes“ von John Woo. Für die Mitmenschen des Verbrechers Castor Troy (Nicolas Cage) und des FBI-Agenten Sean Archer (John Travolta) war nicht mehr erkennbar, wer der „echte“ und wer der „falsche“ Troy/Archer war. Was hat ein Action-Thriller aus dem vorigen Jahrhundert mit einem Roman aus dem letzten Jahr  gemeinsam? In beiden geht es um die Möglichkeiten (und Grenzen) der Wissenschaft bei der Formung des eigenen Körpers, der so individuell ist wie die eigene Persönlichkeit. In „Face/Off“ hätte vielleicht eine einfache Blutprobe Auskunft darüber geben können, wer Freund und wer Feind ist. Kenneth Durand kann in Daniel Suarez‘ „Bios“ nicht einmal auf die Aussagekraft einer DNA-Analyse bauen. Dem Interpol-Analytiker in der Abteilung „Genetic Crime Division“ passiert etwas, das selbst im Jahr 2045 als unmöglich gilt: in vivo Gen-Editing.

Durand und seine Kollegen sind spezialisiert darauf, unter Verwendung von Datenanalysen kriminelle Aktivitäten aufzuspüren und so versteckte Gen-Labore ausfindig zu machen. Obwohl eine UN-Konvention DNA-Modifikationen nur in einem begrenzten Rahmen erlaubt, boomt das Geschäft mit illegalen Eingriffen an Embryonen. Wer möchte nicht das klügste, sportlichste, oder schönste Kind haben? Neues Ziel für die GCD ist die Verbrecherorganisation Huli jing und ihr Anführer Marcus Demang Wyckes. Der lukrative Menschenhandel ermöglicht es dem Syndikat, unzählige DNA-Proben zu sammeln und für seine eigenen Labore zu nutzen. Durands Methoden sollen dabei helfen, Wyckes gefangen zu nehmen. Doch noch am selben Tag fällt der Ermittler einem Anschlag zum Opfer. Nach einem mehrwöchigen Koma erwacht er im Krankenhaus, hat jedoch eine beunruhigende Metamorphose durchgemacht: er wurde äußerlich zu Wyckes, steckt also im Körper des Feindes. Selbst die DNA-Proben weisen Durand als das berüchtigte Oberhaupt der Huli jing aus. Von nun an wird der Agent nicht nur von seinen eigenen Leuten gejagt, sondern auch von dem Syndikat. Wyckes‘ Plan? Er möchte Durands Leichnam als seinen eigenen ausgeben, um so Interpol zu täuschen und den Mann loszuwerden, der hunderte seiner Labors hat auffliegen lassen. Durand bleibt nur die Flucht. Gemeinsam mit dem unter Achondroplasie leidenden Untergrund-Genetiker Bryan Frey macht er sich daran, die Veränderung rückgängig zu machen und die Huli jing zu zerschlagen.

Schon in seinem Debütroman „Daemon“ befasste sich der US-Amerikaner Daniel Suarez mit realen Technologien und deren Einsatzmöglichkeiten. Dieser Thematik bleibt sich der Softwaretechniker seitdem treu. In „Bios“ dominieren jedoch weniger die Verheißungen der IT, als die der Biologie. Dreh und Angelpunkt der Geschichte ist CRISPR/Cas9, eine auch als „Genschere“ bezeichnete Methode, die nicht nur in der Wissenschaft seit einigen Jahren für Furore sorgt. Das Verfahren bietet eine relativ einfache Möglichkeit, die DNA zu manipulieren. Erbkrankheiten könnten somit bald der Vergangenheit angehören, sofern die fehlerhaften Gensequenzen bei Embryonen durch eine gesunde ausgetauscht würden. In den USA gab es bereits den Versuch, eine erblich bedingte Herzkrankheit durch CRISPR zu „reparieren“: 72 Prozent der geneditierten Embryonen zeigten nach der Behandlung keine Spuren mehr von der Krankheit. Suarez geht in seinem neuen Roman einen Schritt weiter: Was wäre, wenn sich die Gene eines Erwachsenen so manipulieren ließen, dass sich dadurch sein äußeres Erscheinungsbild verändern würde? Die Angst vor einer Gesellschaft, in der die eigene Identität radikale Veränderungen zuläßt und Missbrauch Tür und Tor geöffnet werden, treibt seinen Held um.

Stilistisch wagt Suarez hingegen keine Experimente. Während CRISPR/Cas 9 und andere Technologien die Welt verändert haben, kommt seine Erzählung etwas altbacken daher. Nach einigen Kapiteln weiß der Leser ziemlich viel über den fiktiven Lauf der Geschichte, die zum status quo im Jahr 2045 geführt haben: wie und warum Singapur zum Hotspot der Gentechnik wurde, welche Folgen der Klimawandel hat, durch welche Technik das Smartphone abgelöst wurde, wieso Autokarosserien aus Chitin sind und wodurch sich „totfreies“ Fleisch auszeichnet. Auch wenn diese Erzählweise in Zeiten von rasant erzählten Thrillern etwas altmodisch wirkt, werden wissenschaftsaffine SF-Fans schon recht bald vom Geschehen in seinen Bann gezogen. Vor allem Suarez‘ Weltenbau kann auf ganzer Linie überzeugen, basieren doch viele seiner Spekulationen auf aktuellen Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Naturwissenschaften. Das Wall Street Journal geht sogar so weit, „Bios“ auf eine Stufe mit William Gibsons „Neuromancer“-Trilogie (im Shop) zu stellen. So wie Gibson mit seinem Werk den „Cyberpunk“ geprägt habe, könnte Suarez‘ „Bios“ den „Biopunk“ populär machen. Beim Kampf um die Krone des Subgenres hat sicherlich Genreliebling Paolo Bacigalupi (im Shop) noch ein Wörtchen mitzureden.

Daniel Suarez‘ „Bios“ ist ein spannender SF-Thriller und Pageturner, der sich mit den Hoffnungen und den Abgründen der modernen Gentechnik auseinander setzt. In seinen besten Momenten verneigt sich der US-Autor vor Aldous Huxleys „Schöne Neue Welt“, deren Realität nur einen Steinwurf von „seinem“ Jahr 2045 entfernt zu sein scheint, dem doch eine ganz eigener Horror inne wohnt.

Daniel Suarez: Bios • Aus dem Englischen von Cornelia Holfelder-von der Tann • rororo, Hamburg, 2017 •  544 Seiten • 12,99 €

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