29. Juli 2020 1 Likes

Zoë Beck: „Paradise City“ - Ungesunde Wahrheiten

Ein dystopischer, erschreckend aktueller Zukunftskrimi

Lesezeit: 3 min.

Bereits 2017 (ja, das ist schon wieder drei Jahre her …) machte die bekannte deutsche Krimi-Autorin Zoë Beck mit ihrem Roman „Die Lieferantin“ einen Ausflug ins Science-Fiction-Genre. Damals kamen die Drogen im Buch aus dem Online-Shop im Darknet per Drohne, während in einem zu jener Zeit noch futuristischen Post-Brexit-England rechte sowie linke Gewalt eskalierten. Unter dem Titel „Paradise City“ ist soeben ein weiterer eigenständiger Zukunftskrimi der 1975 geborenen, mit diversen Preisen ausgezeichneten Beck bei Suhrkamp erschienen. Diesmal setzt die Geschichte der Autorin, Verlegerin und Übersetzerin mehrere Jahrzehnte in der Zukunft ein – und in Deutschland.

Durch flächendecke Pandemien und Antibiotikaresistenz ist die Bevölkerung Europas um vierzig Prozent zurückgegangen. An den deutschen Küsten verleibt sich das Meer immer mehr Land ein, Großstädte wie Frankfurt fressen derweil die umliegenden Städte und Dörfer und werden zu waschechten Mega Citys – obendrein fungiert die Main-Metropole inzwischen als deutsche Hauptstadt. Von dort aus wird alles kontrolliert und reguliert. Der öffentliche Raum ist mit Videokameras und Gesichtserkennung abgedeckt, die Gesundheit der Menschen wird von einer App überwacht und sogar gesteuert, jeder hat eine Wohnung, einen Job und massig Freizeit, Diskriminierung wegen Geschlecht, Sexualität oder Rasse gibt es praktisch nicht mehr.

Entsprechend gering fällt die Empörung angesichts der permanenten Überwachung und Beeinflussung oder der vielen, längst zur Normalität gewordenen Fake News aus. Und wenn doch einmal eine hässliche Wahrheit aufgedeckt wird und durchdringt, sind die meisten Leute von ihrem paradiesischen Wohlbefinden und Alltag so eingelullt, dass es sie nicht weiter schert. Dennoch kämpfen Menschen wie Liina für die echte Wahrheit inmitten der Propaganda und der Lügen. Als Recherchistin prüft die junge Frau mit dem transplantierten Herzen trotz ihrer labilen Gesundheit im ganzen Land Fakten, damit ihre Kollegen daraus die letzten echten Nachrichten machen können. Zwar würde Liina am liebsten den ganzen Tag mit Videoblocker gegen die Kameras herumlaufen und ihre allwissende, strenge Gesundheits-App ausschalten, doch das wäre zu auffällig. Also nutzt sie eine Tarnidentität, wenn sie etwa über eine Frau recherchiert, die angeblich von einem Schakal getötet wurde (der Natur geht es ebenso wie den Menschen besser). Liina ahnt nicht, was für eine Verschwörung sie und ihre Kollegen erwartet, und wie gefährlich und persönlich diese Story für sie wird …


Zoë Beck. Foto © Victoria Tomaschko

Zoë Becks zackiger, schlanker Krimi-Schreibstil passt gut zu ihrem Cyberpunk, ergibt und bestätigt eine klassische Genre-Kombination. Das bemerkenswerte Worldbuilding fußt auf skizziertem Detailreichtum, bei einem Bild würde man von großer Tiefe trotz leichter Pinselführung sprechen. Dass die Wirklichkeit die Science-Fiction indes wieder einmal schnell eingeholt hat, kommt Becks Roman ausnahmsweise zugute. Als sie sich die Zukunft ihres Buches vorstelle und ausmalte, hielt sie verheerende Pandemien für wahrscheinlich und unvermeidlich – dass wir nun zum Erscheinen von „Paradise City“ tatsächlich mit Corona und z. B. einer staatlichen Gesundheits-App konfrontiert wurden, ist schon ziemlich abgefahren. Und es hilft natürlich ungemein dabei, die Realität von Liina zu packen zu bekommen: fraglos Science-Fiction, fühlt sie sich durch das gerade erlebte jedoch noch plausibler und realistischer an als ohnehin. Ein fast unheimlicher Effekt.

„Paradise City“, das auch einen nichtenglischen Titel vertragen hätte, gefällt als smarter, knackig geschriebener Zukunftskrimi aus und über Deutschland, der mit einem gelungenem Zukunftsszenario und guten Charakteren punktet. Die Auflösung am Ende wird dem Aufbau und dem Setting zwar nicht ganz gerecht, doch das sollte niemanden davon abhalten, auch Becks neuen SF-Roman wieder zu lesen und bei den nächsten Vorschlags- und Abstimmungsrunden von Kurd-Laßwitz-Preis und Co. zu berücksichtigen.

Und jetzt hofft man und freut man sich schon auf den nächsten SF-Krimi von Zoë Beck …

Zoë Beck: Paradise City • Suhrkamp, Berlin 2020 • 281 Seiten • Paperback m. Klappenbroschur: 16 Euro

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