27. September 2014 1 Likes

Ich sehe was, was du nicht siehst

„I Origins“ beleuchtet den sechsten Sinn

Lesezeit: 4 min.

Mit ihrem Mini-Hit Another Earth lieferten Regisseur Mike Cahill und seine Hauptdarstellerin/Co-Autorin Brit Marling 2011 ein paradigmatisches Beispiel dessen ab, was nicht erst seitdem zunehmend als „Sundance Sci-Fi“ bezeichnet wird. Hinter diesem etwas unscharfen Begriff, der das Genre in Relation zu Robert Redfords tradiertem Arthouse-Festival stellt, verbirgt sich die Verbindung Independentkino-typischer Stil- und Produktionsmittel mit inhaltlichen Tropen und motivischen Strömungen der Science-Fiction. Filme wie Shane Carruths Primer (2004) und Upstream Color (2013) oder Jonathan Glazers Under The Skin (2013) entstanden nicht nur für schmales Geld, sondern stellten darüber hinaus ästhetische Besonderheiten des Indie-Kinos mit seiner DIY-Optik, den Mumblecore-Dialogen, den ungekämmten Protagonisten und ihren zwischenmenschlichen Problemen gleichberechtigt neben Genrethemen wie Zeitreise, Biotechnologie und fiese Aliens. 
Cahills Another Earth entwickelte vor dem inhaltlichen Hintergrund der Entdeckung einer Parallel-Erde ein in winterlich-ausgewaschener Optik gehaltenes, intensives Zwei-Personen-Drama über Schuld und Sühne, in dem das fantastische Erscheinen einer Spiegelwelt unaufdringlich und wohltuend unspektakulär als Metapher für die Sehnsucht nach neuen Anfängen und der Vergebung vergangener Verfehlungen funktionierte. Das Ganze weniger plotgetrieben, als vielmehr atmosphärisch motiviert und mit seiner Handkamera- und Closeup-Ästhetik und seinem Fokus auf das dünne Eis psychosozialer Dynamik ein herausragendes Beispiel dieses neuen Trends.


Drei Jahre später kommt nun der Nachfolger. Und I Origins ist in vielfacher Hinsicht ein typisches überambitioniertes Nachfolgewerk geworden – in positivem wie im negativen Sinne. Cahill arbeitet hier mit ähnlichen Stilmitteln wie in Another Earth, erweitert jedoch die Palette sowohl formal als auch inhaltlich, was sich in erster Linie in einem deutlich größeren erzählerischen Scope niederschlägt. Relevantere Themen, mehr Protagonisten, zeitliche und räumliche Sprünge – wo Another Earth verdichtete, konkretisierte, sezierte, begibt sich I Origins auf eine epische Reise zur Erforschung der Dichotomien von Glaube und Wissenschaft, Fühlen und Denken, Spiritualität und Empirie. Dabei verschiebt sich der Motor der Erzählung von der atmosphärischen Darstellung hin zum Handlungsorientierten – zwar finden sich weiterhin zahlreiche impressionistische Momente, doch hier ist eindeutig der Plot der Star.


Und der hat es in sich: Die beiden jungen Biologen Ian und Karen erforschen die Evolution des Auges und haben es sich zum Ziel gesetzt, eine Ursprungsspezies zu finden, deren Entdeckung nach Ansicht des Atheisten Ian die Nichtexistenz Gottes beweisen würde. Auf einer Party lernt der Doktorand die freigeistige und spirituell begeisterte Sophie kennen, mit der er eine leidenschaftliche Beziehung beginnt – lebhafte Diskussionen über divergierende Ansichten inbegriffen. Als sich im Labor ein entscheidender Durchbruch ereignet, ist die Begeisterung bei den Science-Nerds groß – zum Missfallen der verständnislosen Sophie, die lieber ihren sechsten Sinn pflegt, als sich mit endlosen DNA-Sequenzen zu beschäftigen. Kurz darauf kommt es zu einem tragischen Unfall, und um Spoiler zu vermeiden, endet die kurze Inhaltsangabe an dieser Stelle. Nur so viel: Die Handlung springt um einige Jahre in die Zukunft, ein dubioses Spiel sinisterer Weißkittel mit biometrischen Datenbanken führt zu Spekulationen über eine ganz real wissenschaftliche nachweisbare Möglichkeit der Reinkarnation, eine Reise nach Indien wird für Ian zu einem Trip ins Innere seiner Überzeugungen, ins Wesen seiner Glaubenskrise, an dessen Ende er die Tür in eine andere Welt aufstößt.


Durchaus faszinierend und erfrischend widmet sich Cahill hier – ganz im Sinne klassischer SF – den großen Themen der Menschheit und bietet eine wirklich sehenswerte filmische Variation der bewährten Auseinandersetzung zwischen kreationistischen Anhängern eines „intelligent designs“ und naturwissenschaftlichen Vertretern der knallharten Evolutionslehre. Und so spannend das auch ist, so sehr leiden darunter die Figuren seines Films. Hatte Another Earth noch zwei, wenn auch nur skizzenhaft, so doch durch und durch überzeugend gezeichnete, menschliche Charaktere zu bieten, so repräsentieren Ian, Karen und Sophie in erster Linie Sprachrohre der jeweiligen dargestellten Glaubens- und Überzeugungsrichtungen. Und leider möchte Cahills Film doch noch mehr sein als reines Thesenkino, möchte Lovestory, Beziehungsdrama, philosophisches Manifest und pathetisches Erweckungsdrama unter einem großen Dach vereinen. Das ist etwas zu viel, als die jungen Hauptdarsteller auf ihren schmalen Schultern tragen können, und die Tatsache, dass das Drehbuch ihre Charaktere nie wirklich über ihre allegorische Funktion hinaus weiter entwickelt, macht es schwer, sich auf die drei als psychologisch ausdefinierte Persönlichkeiten einzulassen. 


Dabei hat Cahill durchaus Sinn für gelungene Metaphern – das Auge als buchstäblicher Spiegel der Seele zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und fungiert als motivischer Antrieb einer Erzählung, die wirklichen Fokus aber leider vermissen lässt. Und so bleibt diese Reise zum Ausgangspunkt disparater Weltsichten eine rein schematische. Was nicht unbedingt schlecht ist, aber da wäre mehr drin gewesen. Anders als etwa Shane Carruth, der mit Upstream Color einen wirklich harten, genreübergreifenden Brocken des enigmatischen Erzählens ablieferte, bleibt hier alles immer ein kleines bisschen zu banal für große SF – und ist dabei doch nicht banal genug für großes Melodram. Die einzelnen Elemente finden einfach nicht zusammen – was am Ende auf die Leinwand projiziert wird, ist ein wirklich faszinierendes thematisches und motivisches Tohuwabohu.

Viel hilft eben nicht immer gleich viel. Doch den Regisseur Mike Cahill muss man definitiv im Auge behalten – da wird noch einiges zu sehen sein.

„I Origins – Im Auge des Ursprungs“ ist seit dem 25.9. bei uns im Kino zu sehen.

I Origins – Im Auge des Ursprungs • USA 2014 • Regie: Mike Cahill • Darsteller: Michael Pitt, Brit Marling, William Mapother, Astrid Berges-Frisbey, Steven Yeun

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