NY Noir, Hexenhorror und Comic-Stars
Phantastik-Comic-Neuheiten im November und Dezember
Die Comic-Adaption von Paul Austers „New-York-Trilogie“ ist endlich abgeschlossen, Solo Otero lässt Hexen sprechen, und für die Simpsons, Batman, „Creepshow“ und „Das Phantom der Oper“ muss man unterm Weihnachtsbaum reichlich Platz schaffen.
David Mazzucchelli, Lorenzo Mattotti u a.: New-York-Trilogie
30 Jahre hat es gebraucht, um die Comic-Adaption von Paul Austers „New-York-Trilogie“ zu beenden. Unter redaktioneller Mirarbeit Art Spiegelmans erschien 1994 Paul Karasiks und David Mazzucchellis Graphic Novel „Stadt aus Glas“, auch heute noch eins der eindrücklichsten Beispiele für eine kongeniale Übertragung von Literatur in Panel-Bildsprache. In dieser Gesamtausgabe sind nun auch „Schlagschatten“ (vom italienischen Maestro Lorenzo Mattotti, der sich größtenteils auf Illustrationen beschränkt) und „Hinter verschlossenen Türen“ (von Paul Karasik diesmal nicht nur wie die anderen beiden geschrieben, sondern auch gezeichnet) enthalten. Es sind ambitionierte Formatwechsel, eigenständige, interessante Variationen der Romane, aber „Stadt aus Glas“, der „eigentümliche Doppelgänger des Buches“, wie Art Spiegelman einmal sagte, überschattet sie beide. Für die Metafiktion des Romans, der zunächst wie eine mysteriöse Detektivgeschichte eröffnet wird, gibt Mazzucchellis Strich zwar einen naturalistischen Rahmen, der sich aber, wie die identitären Sicherheiten des Protagonisten, im labyrinthischen Sog der Erzählung immer mehr verselbstständigt und Abstraktionen und Metamorphosen weicht, etwa wenn auf einen Daumenabdruck auf einer Fensterschreibe „herangezoomt“ wird, dessen feine Struktur erst ein Labyrinth und dann eine Tresortür mit Vorhängeschloss offenbart – Formenspiele, die der strengen Komposition von neun gleichgroßen Panels pro Seite erst ihre metaphorischen Qualitäten verdanken. Reprodukt hat noch schnell zum Jahresende ein Meisterwerk in einer perfekten Edition herausgehauen.
David Mazzucchelli/Lorenzo Mattotti/Paul Karasik/Paul Auster: New-York-Trilogie • Reprodukt, Berlin 2025 • Hardcover • 400 Seiten • 29,00 Euro
Solo Otero: Hexenkunst
Hexenhorror aus Argentinien: Neun Geschichten, meist in Buenos Aires spielend, heute wie gestern, immer verbunden durch drei Hexen und einer Ziege, mit denen es die Figuren zu tun kriegen, mit dem klassischen „Short Cuts“-Effekt: Spätere Querverbindungen rücken manch vorhergehende Handlung in ein neues Licht – das ist der narrative Rahmen der Zeichnerin Solo Otero. Alles läuft sehr unheilvoll ab, doch nicht ohne Humor: In der zweiten Geschichte treffen sich zwei Freunde im Cafe, und der eine klagt dem anderen sein Leid über das Sexleben seiner Nachbarn, viel zu laut, viel zu lang. Also beginnt er irgendwann dem Mann regelmäßig nachzustellen, sobald der außer Haus ist. Das führt ihn letztlich auf einen Baum, von dem aus er die bizarren Sex-Rituale der drei Hexen in einem Herrenhaus beobachtet, die ihn erst empören, dann schockieren, schließlich verändern. Dass er sich dabei wie ein manischer Voyeur benimmt, der sich wegen seiner sexuellen Frustration selbst in diese Lage gebracht hat, kommt ihm nicht in den Sinn. In einer anderen Story fasst Otero den getakteten Alltag einer Frau, die an Agoraphobie leidet, auf einer Seite mit daumennagelgroßen Panels zusammen, auf denen abwechselnd nur Alltagsgegenstände, Bewegungsabläufe und Buchtitel zu sehen sind – tragikomisch und als Refugium gleichermaßen bedroht, nachdem diese Frau in Mailkontakt mit einem einsamen Tierarzt gerät, der adoptiert wurde und nach und nach das seltsame Benehmen seiner Mutter und ihrer beiden Schwestern enthüllt, bei denen er immer noch lebt. Der Text dieser Story besteht ausschließlich aus den Mail-Nachrichten, in einer weiteren liest man die Tagebucheinträge einer Dreizehnjährigen, deren Neugier zum Verhängnis wird. Aus dieser großen Variabilität der Text- und Bildebenen schöpft „Hexenkunst“ eine flüssig-verspielte Erzählstruktur, die die Pole Komik und Schrecken sanft austariert.
Solo Otero: Hexenkunst • Reprodukt, Berlin 2025 • 376 Seiten • Hardcover • 34,00 Euro
The Simpsons. Treehouse of Horror Necronomnibus Band 3
Sämtliche Halloween-Storys und Grusel-Spielereien der Simpsons-Comics sind mit diesem dritten, abschließenden Band der dicken Treehouse-Anthologien nun abgedeckt und fürs bibliophile Gemüt mustergültig aufbereitet. Im Kurzgeschichten-Format funktioniert die längst dem erzählerischen Zenit zurückwinkende Simpsons-Masche oft erstaunlich gut, und so ist auch der dritte Trumm eine vergnügliche Reise durch den Horror-Kanon, auf der man u. a. „Rosemary’s Baby“, „Der Exorzist“, „Ghostbusters“, „Evil Dead“, „Haus der 1000 Leichen“, „Der Blob“, „Nosferatu“, „Es“, „Schrei, wenn der Tingler kommt“, „Swamp Thing“ auflesen oder den Gastkünstlern Pater Bagge, Garth Ennis, Peter Kuper, Stan Sakai, Bernie Wrightson begegnet.
The Simpsons. Treehouse of Horror Necronomnibus Band 3: Finstere Fabeln über dämonische Delikatessen • Toonfish, Bielefeld 2025 • 416 Seiten • Hardcover • 49,80 Euro
Gaetan und Paul Brizzi: Das Phantom der Oper
Der Kanon der Weltliteratur ist der Steinbruch der italienischen Brüder Brizzi, aus dem sie dann für französische Verlagshäuser mit beschwingtem Bleistiftstrich ungeheure Comic-Adaptionen zaubern. In den Bildern erkennt man sowohl die Liebe der Brizzis zu Gustave Doré als auch ihre Vergangenheit als Animationszeichner der Disney-Studios. Die expressiven Nuancen im Mimenspiel der Figuren stehen im ständigen Wechsel mit großformatigen Tableus der Schauplätze. Psychologisierung ist bei den Brizzis eine visuelle, keine dialogische Strategie, und die Blickführung verrät viel über die filmischen Vorbilder. Man muss auch beim „Phantom der Oper“ erneut konstatieren, dass nur wenige Comic-Umsetzungen von Laroux‘ Roman so bildgewaltig geraten sind. Es ist höchstens die Stoff-Wahl der Brizzis selbst, die langsam so viel Aufregung versprüht wie der Fördergeldantrag für die Eröffnung eines Literaturhauses in Hodenhagen.
Gaetan und Paul Brizzi: Das Phantom der Oper • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 160 Seiten • Hardcover • 35,00 Euro
Creepshow Band 2
„Creepshow“, darauf wurde hier bereits hingewiesen, ist nicht nur im TV, sondern auch als Comic-Anthologie wiederauferstanden, zwar weit entfernt von Stephen Kings und Bernie Wrightsons subversiver Eleganz, aber dank der vielen Künstler*innen als abwechslungsreicher Splatter-Gulasch, der sich rabiat durch die bigotte US-Gesellschaft schlachtet – und immer auf der richtigen Seite, wenn faschistische Senatoren oder pädophile, frömmelnde Väter die Hölle auf Erden erleben. Die deutsche Ausgabe bietet aufgrund des übergroßen DIN A4-Formats im Hardcover gegenüber der kleinen US-SC-Edition außerdem einen optisch gewaltigen Mehrwert.
Creepshow Band 2 • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 128 Seiten • Hardcover • 29,80 Euro
Batman Klassiker: Batmans unheimliche Fälle
Beeindruckend ist auch das Format dieser Sammlung fünf gruseliger Batman-Kurzgeschichten aus den 70ern, deren Größe mit den Volksausgaben des Taschen-Verlags mithalten kann. In jener Zeit bemühte man sich bei DC redlich, das alberne Image der herzallerliebsten TV-Serie aus den 60ern abzustreifen. Statt Camp mit Ansage setzte es Gothic-Stimmung, bis die Seiten zitterten. Dafür sorgten etwa Bernie Wrightson, Len Wein, Neal Adams und Denny O’Neil und zitieren in den hier kompilierten Storys beispielsweise Edgar Allan Poe oder, noch eindrucksvoller, Tod Brownings „Freaks“. Das wirkte schon damals, als das Horror-Genre längst Splatter als Methode für sich entdeckte, sympathisch aus der Zeit gefallen und ist schon ob dieses Zauderns einen Blick wert. An der Zusammenstellung gibt’s nichts zu rütteln; es bleiben erhabene Begegnungen mit den sich langsam ankündigenden Umbrüchen im Batman-Kosmos, die in den 80ern mit Miller und Mazzucchelli ihre ganze Radikalität entfalten sollten.
Batman Klassiker: Batmans unheimliche Fälle • Panini, Stuttgart 2025 • 80 Seiten • Hardcover • 29,00 Euro
Abb. ganz oben: Paul Auster - New-York-Trilogie • Reprodukt
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