8. Dezember 2022 1 Likes

„Irrlicht“: Umweltschutz, Feuerwehrmänner und viele Penisse

Federleichte Extravaganz mit dem Herz am rechten Fleck

Lesezeit: 3 min.

Irrlicht“, der neue Film des portugiesischen Regie-Frechdachses João Pedro Rodrigues („Der Ornithologe“, 2016) beginnt mit einem Furz. Dem Furz eines Sterbenden. Beim Sterbenden handelt es sich um seine Hoheit Prinz Alfredo, an der Seite des Sterbebettes spielt ein kleiner Junge mit einem Feuerwehrauto und draußen fliegt gerade ein Raumschiff vorbei. Wir befinden uns im Jahr 2069 und Alfredo erinnert sich zurück an die Zeit seiner Kindheit, an die Zeit des Erwachsenenwerdens und vor allem an den Prozess des sexuellen Erwachens. Letzteres wird motivisch direkt mit der Natur verknüpft, denn als der blonde Lockenkopf im Jahr 2011 mit seinem Vater durch einen Wald geht und dieser von der Disziplin und dem geraden Wuchs der königlichen Kiefern schwärmt, fordert, dass der Nachwuchs sich von den steil gegen Himmel wachsenden Bäumen, ihren kräftigen Stämmen, dem siedenden Harz unter ihrer Rinde, inspirieren lassen soll, kriegt der Königssohn eine stramme Erektion, die er gerade so kaschieren kann. Doch Alfredo fängt sich schnell, denn Papa fängt an zu singen, was in eine mitreißende, super-süße Hymne an den Wald mit einer überraschend auftauchenden Gruppe von Kindern mündet.

Als nächstes springt „Irrlicht“ ein paar Jahre weiter: Nicht nur in Portugal brennen Wälder, überall auf der Welt ist die Waldbrandgefahr gestiegen. Alfredo ist mittlerweile Student der Kunstgeschichte und schwer von Greta Thunberg beeindruckt, was er seine Familie beim gemeinschaftlichen Mahl spüren lässt, denn er zitiert nicht nur ihre bekannte Wutrede von 2019, sondern will zur freiwilligen Feuerwache. Die Eltern sind davon nicht gerade amused, aber der adelige Sprössling geht seinen Weg und landet in einer Feuerwache, in der seine mit Jockstraps oder auch gar nicht bekleidete Kollegen mit der Nachstellung berühmter Gemälde sein Kunstwissen auf die Probe stellen. Zudem trifft er auf den schwarzen Ausbilder und Soziologiestudenten Afonso, der ihn bei einer Übung aus dem dritten Stock rettet, was allerdings wiederum ein Feuer der ganz anderen Art zum Lodern bringt und ein weiteres Themenfeld aufmacht – die Liebe zwischen einem Schwarzen und einem Weißen. An dieser Stelle kann man den Versuch einer Inhaltsangabe dann getrost abbrechen und sich mit dem Hinweis begnügen, dass die Geschichte zum Schluss wieder in der Zukunft landet und man über einige selbst für Sci-Fi-Verhältnisse noch abenteuerliche Kostüme entzückt sein darf.

Rodriguez’ Film wird im Vorspann als „musikalische Fantasie“ angekündigt und das ist absolut zutreffend: Es geht kreuz und quer, sprunghaft, in einem Moment wird getanzt, in einem anderen enorm gewichtige Themen angerissen, aber nie sonderlich vertieft, weil das Drehbuch sich schon wieder mit was anderem beschäftigt. Das hat dem gerade mal 67 Minuten langen Film (in dem es mit Sicherheit soviel Schwänze zu sehen gibt, wie in keinem anderen Film dieses Jahr) an der ein oder anderen Stelle den Vorwurf der Oberflächlichkeit eingebracht, was aber zu eingezäunt gedacht ist. Wer sich dieser federleichten Extravaganz mit konventionellen Erwartungen nährt, versucht sie zu greifen, in ein Raster zu pressen, wird glücklos stranden. Im Umkehrschluss bedeutet das aber nicht, dass die am Chaotischen kratzende Nonchalance, mit der hier alles Mögliche verwoben wird, reiner Manierismus ist, im Gegenteil: Die Tragweite des Angesprochenen wird durchaus erkannt, der Portugiese Rodriguez erweist sich nur ein bisschen als das Gegenteil des Österreicher Michael Haneke, der mit donnerndem Lehrer-Lämpel-Gestus seine Anliegen dem Zuschauern ins Gesicht brüllt: Hier reicht schon eine wunderbar inszenierte, aufrichtig und ehrliche Ode an den Baum, „ein Freund“, und man möchte sofort raus rennen und einen ganzen Wald umarmen.

„Irrlicht“ läuft ab dem 8.12.2022 im Kino.

Irrlicht (Frankreich/Portugal 2022) • Regie: João Pedro Rodrigues • Darsteller: Mauro Costa, André Cabral, Joel Branco, Oceano Cruz, Margarida Vila-Nova, Miguel Loureiro, Dinis Vila-Nova

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