7. April 2017 3 Likes 1

Netzgeschichten

Werner Herzog hat es wieder getan: „Wovon träumt das Internet?“

Lesezeit: 3 min.

Werner Herzog ist ein Mann des Mythischen - und vor allem als Mann mittlerweile selbst zum Mythos geworden. Seine Frühwerke sind Monolithen des Neuen Deutschen Films, sein amerikanisches Schaffen wunderbar verschrobenes Kino zwischen Kunst und Kitsch, seine Dokumentationen Reisen in die Abgründe des menschlichen Geistes und des kollektiven Weltgedächtnisses. In „Wovon träumt das Internet?“ (Original: „Lo and Behold, Reveries of the Connected World“) widmet sich der bayerische Tausendsassa mit seiner patentierten Mischung aus naivem Staunen und heiligem Ernst der Geschichte des Internets. Und hat dabei erstaunlich viel Spaß. In zehn Kapiteln präsentiert er seinen ganz eigenen, mäandernden Blick ohne Anspruch auf eine vollständige Exploration des Themas – hier geht’s einzig und allein um das, was ihn persönlich interessiert.

Dabei bleibt er anfangs noch recht klassisch „dokumentarisch“: Die ersten drei Kapitel widmen sich den Pionieren des Internets, die direkt in Herzogs Kamera hinein von den frühen Tagen der bald weltumspannenden Revolution berichten, von den Querdenkern und Innovatoren des neuen vernetzten Denkens, von Roboter-Freunden, Wissenschaftlern, Spiele-Entwicklern und anderen Apologeten des World Wide Web. In Kapitel 4, betitelt „The Dark Side“, wird’s dann erst mal düster. Dieser Teil besteht lediglich aus dem Tableau einer amerikanischen Familie, deren Tochter bei einem Autounfall getötet wurde. Ein Foto vom fast vollständig abgetrennten Kopf der jungen Frau gelangte ins Internet und erreichte so auch die Eltern. Dass Herzog die Grausamkeit dieses Ereignisses andeutet, ohne explizit das entsetzliche Bild zu zeigen, und dabei dicht an den schwer traumatisierten Menschen bleibt, könnte man ihm als schlecht verkleideten Voyeurismus ankreiden (wie beispielsweise die berühmte Tonband-Szene in „Grizzly Man“). Im Grunde genommen steht dieser Absatz aber symptomatisch für seinen Ansatz: Das Internet ist bei ihm Projektionsfläche für Emotionen und Metapher für die Verbundenheit aller Weltbürger untereinander. Der Geist der Technologie ist bei Herzog ein dem Menschen immanenter Wesenszug; das globale Netz ein Katalysator und Verstärker der „human nature“. Bei aller Begeisterung für die technologischen Aspekte des Sujets ist Herzog dann auch in den weiteren Kapiteln immer wesentlich mehr an den Personen und ihren Geschichten interessiert, sei es der berüchtigte Hacker, der ihm erzählt, wie doof eigentlich die NSA ist, die glücklichen Bewohner eines kleinen Landstrichs, der ganz ohne Netzzugang auskommt, oder die Endzeitpropheten, deren apokalyptische Schreckensszenarien für den Ausfall des Webs er mit kindlicher Begeisterung teilt.


Leonard Kleinrock, Internet-Pionier, Elektroingenieur und Informatiker von der UCLA

Und Herzog wäre nicht Herzog, wenn sich nicht auch irgendwann die Frage nach den mythischen Proportionen stellen würde, Begriffe wie Gott, Revolution und Moral völlig fehlten und die Lust an der Spekulation ausbliebe. All das gibt es hier, und dass Herzog sich als Quälgeist aus dem Off immer wieder einbringt und brillante Geister wie den PayPal-Erfinder und privaten Raumfahrtunternehmer Elon Musk mit seinen herrlich depperten Nachfragen immer wieder aus dem Konzept bringt, sorgt nicht nur für das Salz in der Suppe, sondern auch für die ganz eigene Stimme dieser manchmal etwas zusammengeschustert wirkenden, aber wirklich sehenswerten Dokumentation.

Wenn dann unter dem Abspann wunderbar rustikal Bluegrass-Musik gefiddelt wird und die bierbäuchigen Bewohner der internetfreien Enklave zum Tanz aufspielen, während die Kamera sie irre umfliegt – dann weiß man, dass hier nicht nur Werner Herzog seinen Spaß hatte.

Wovon träumt das Internet? ist seit dem 23. März auf DVD und Blu-ray sowie als Stream auf Netflix erhältlich.

Wovon träumt das Internet? • USA 2016 • Regie: Werner Herzog • Darsteller: Werner Herzog, Elon Musk, Lawrence Krauss, Sebastian Thrun, Kevin Mitnick

Kommentare

Bild des Benutzers Johann Seidl

Danke für den Hinweis, schau ich mir auf jeden Fall an!

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.