31. August 2016 2 Likes

Notwendige Paranoia

Zwei hervorragende Dokumentarfilme fragen nach den Folgen ungezügelter technischer Entwicklungen

Lesezeit: 3 min.

Mit dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima begann die Diskussion über Waffen, die das Ende der Menschheit bewirken konnte. Die Folge: Seit dem 9. August 1945 wurde nie wieder eien Atombombe in einer Kriegshandlung gezündet, das Atomwaffenarsenal der offiziellen und inoffiziellen Nuklearmächte reicht zwar aus, die Erde zigfach zu zerstören, aber ernsthaft denkt niemand an den Einsatz dieser Waffe.

Im Juni 2010 wurden die iranischen Nuklearanlagen in Natanz von einem Computervirus angegriffen, der Zentrifugen zur Urananreicherung zerstörte. Bis heute sind nicht alle Details dieses Cyberangriffs bekannt, der wohl von amerikanischen und israelischen Geheimdiensten ausgeführt und als Stuxnet-Virus bekannt wurde. Über die Möglichkeiten, Folgen und Gefahren des Cyberkrieges wird dementsprechend auch nicht diskutiert, schon gar nicht in der breiten Öffentlichkeit, der kaum bewusst ist, wie verletzlich eine Welt ist, die zunehmend Digital und Online funktioniert.

Wie notwendig diese Diskussion wäre ist das Fazit von Alex Gibneys brillanter Dokumentation „Zero Days“, die im Frühjahr im Wettbewerb der Berlinale Premiere hatte und nun kurz im Kino zu sehen ist. Wie ein Thriller wirkt Gibneys Film oft, wie eine kaum zu glaubende Phantasie über die Möglichkeiten der Technologie, mit der von praktisch jedem Ort der Welt Einfluss genommen werden kann, Computersysteme manipuliert, spioniert und zerstört.

In eine ganz ähnliche Kerbe schlägt auch „Krieg & Spiele“, ein Film der deutschen Dokumentarfilmerin Karin Jurschick, die einen größeren Bogen als Gibney schlägt, aber ganz ähnliche Fragen aufwirft. Von Künstlicher Intelligenz, ferngesteuerten Waffensystemen – vor allem den immer komplexer und mächtiger werdenden Drohnen – vor allem aber den ethisch-moralischen Fragen, die aus dieser Entwicklung der Technik resultieren, erzählt Jurschick. Welche Auswirkungen hat es, wenn man dem Feind nicht mehr Auge in Auge gegenüber steht, sondern ihn per Joystick und Mausklick eliminieren kann, ohne Gefahr für das eigene Leben, ohne die Folgen des Angriffs wirklich abschätzen zu können?


aus „Krieg und Spiele“ © Bildersturm Film

Zumal die Entwicklung der Technik längst daran arbeitet, den Menschen obsolet zu machen. Automatische Erkennung von Feinden, das Aufspüren „verdächtiger“ Bewegungen stehen auf dem Programm der Softwareentwickler, die bald die menschliche Komponente ausschließen könnte. Doch welche „Moral“ hat ein Computer? Welcher Ethik folgen programmierte Systeme, die keine Skrupel kennen und nicht an ihren Entscheidungen zweifeln?

Sowohl bei Jurschick als auch bei Gibney führt die Beschäftigung mit technologischen Entwicklungen zu Warnungen von skeptischen Experten, die sich für den unbedarften Laien wohl oft wie Verschwörungstheorien oder Paranoia anhören. Wenn da die Autorin Yvonne Hofstetter wie in ihrem Buch „Sie wissen alles“ beschreibt, wie sehr wir uns von dem Versprechen von Big Data abhängig machen, nur die Versprechen von immer größerem Wissen durch immer größere Datenmengen sehen, aber die Gefahren ignorieren, wähnt man sich fast in einem Paranoia-Thriller der 70er Jahre.

Doch auch damals waren die Gefahren nicht aus der Luft gegriffen, sondern hatten ihre Basis in der Realität. Es dürfte dann auch kein Zufall sein, dass mit „Krieg & Spiele“ und „Zero Days“ nun zwei Dokumentationen fast zeitgleich ins Kino kommen, die auf ganz ähnliche Weise vor Gefahren einer unkontrollierten technologischen Entwicklung warnen. Und in ein paar Wochen geht es weiter, dann in Spielfilmform, wenn Oliver Stone in „Snowden“ ein flammendes Plädoyer wider die totale Überwachung hält.

Große Abb. Postermotiv „Zero Days“ © Universum

Krieg & Spiele •  Regie: Karin Jurschick • D 2016 •  90 Minuten • bereits angelaufen

Zero Days • Regie: Alex Gibney • USA 2016 • 116 Minuten • Start am 1. September, ab 6. September digital, ab 16. Septemebr auf DVD & Blu-ray

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.